Ausland

Es war einmal eine Mannschaft

Sie spielten Basketball in der Frauen-Nationalmannschaft Afghanistans. Dann kamen die Taliban. Was ist aus den Sportlerinnen geworden?

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Faribah Hamdard, 23, hat Tee gekocht und im kleinen Laden am Strand Nüsse und Kekse gekauft. Jetzt sitzt sie in ihrem Zimmer mit der Nummer 702, das sie so persönlich eingerichtet hat, wie es in einem Ferienhotel an der Adria eben möglich ist: eine Gebetsecke am Fenster, ein selbst gebastelter Kalender an der Wand, ein Schminktisch in der Ecke und auf einem beigen Fauteuil: ihr Basketball.

 

Hamdard stammt aus Afghanistan und war 15 Jahre alt, als ihr großer Traum in Erfüllung ging. Seit sie acht Jahre alt war, wollte sie Basketball-Spielerin werden, genauso wie ihre große Schwester Faridah, die sie zum Training mitnahm. Die beiden tragen beinahe denselben Namen, nur ein Buchstabe ist anders. Sie ähneln einander auch optisch sehr. Beide tragen die schwarzen Haare bis zur Hüfte und binden sie zu einem langen Zopf, wenn sie aufs Spielfeld laufen. Beide begannen ihre Karriere in ihrem Schulteam in der Provinz Herat und landeten irgendwann in der höchsten Liga: der Nationalmannschaft Afghanistans.

 

„Ich war so glücklich. Ein vergleichbares Gefühl hatte ich nie wieder in meinem Leben“, sagt Faribah Hamdard heute. Sie geht zum Schrank in ihrem Hotelzimmer und holt ein ärmelloses Trikot heraus, auf dem ihr Name steht. Es ist das letzte T-Shirt, das ihr geblieben ist. Den Rest haben sie und ihre Schwester verbrannt: Urkunden, Fotos, Sportkleidung.

"Haben gegen Ideologie gespielt"

Faribah Hamdard war Teil einer Mannschaft, die mit der Machtergreifung der Taliban im August 2021 staatenlos geworden ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie je wieder spielen wird, ist gering. Dabei hatte jede einzelne Spielerin so viel gegeben, um ein Teil davon zu sein. Sie haben gegen ihre Väter und Ehemänner rebelliert, ihre Mütter angelogen und nicht selten das eigene Leben aufs Spiel gesetzt. Die Taliban und islamistische Gruppen drohten der Mannschaft mit Gewalt. Die Frauen spielten trotzdem weiter. Mit schwarzen, langen Strümpfen unter den kurzen Hosen, damit niemand ein Stück ihrer Haut sehen konnte, und mit eng anliegenden Kopftüchern. Es kam trotzdem vor, dass Spielerinnen nicht auf Auslandsspiele nach Indien oder China mitkommen durften, weil es ihre Ehemänner verboten hatten.

„Wir haben vor allem gegen eine Ideologie gespielt“, sagt Samira Asghari, die ehemalige Kapitänin der Mannschaft.

„Wir haben immer wieder Drohungen erhalten“, sagt Ghulam Ghous Nikbeen, der Coach der Mannschaft. Die Taliban, erzählt er, schickten dem Verband Briefe, in denen stand: „Basketball ist nicht gut für Frauen. Wenn ihr das nächste Mal spielt, werden wir euch töten.“

Faribah, eine der jüngsten Spielerinnen aus dem Team, erzählt, wie sie von Verwandten und sogar von Lehrern immer wieder denselben Satz hörte: Frauen spielen kein Basketball.

Hamdard ist heute 23 Jahre alt und auf der Flucht. Sie lebt in einem Hotelzimmer an der Küste Albaniens und geht jeden Morgen am Strand joggen. Ihr Kopftuch hat sie durch eine Schirmkappe ersetzt, die Haare trägt sie offen.

Das Interview mit Faribah steht am Ende einer langen Spurensuche, angetrieben von der Frage: Was wurde aus ihrer alten Mannschaft?

profil hat mehrere Spielerinnen ausfindig gemacht. Die Frauen leben auf der ganzen Welt verstreut – in Deutschland und der Türkei, in der Schweiz und in den USA. Kurz gab es einen Ort, an dem alle Tür an Tür lebten, bevor eine nach der anderen umverteilt wurde. Dieser Ort heißt Hotel Rafaelo.

Von Kabul an die Küste

Das Rafaelo ist eigentlich ein Ort, an dem Familien Urlaub machen. Bis das Hotel im August 2021 von der Weltpolitik überschattet wurde. Seitdem sind hier nicht nur Touristen, sondern auch Tausende Flüchtlinge aus Afghanistan ein- und wieder ausgezogen. Das Rafaelo ist das wohl luxuriöseste Auffanglager Europas.

Von Hamdards Zimmer blickt man auf Ferienwohnungen hinüber. Auf der anderen Seite der Anlage liegt ein türkisfarbener Pool unter Palmen. Manche Zimmer haben Meerblick, das Wetter ist fast immer sonnig und warm. Bis in den September hinein verkaufen Händler Donuts, Eis und Badeschlapfen an der Promenade. In den vergangenen zweieinhalb Jahren wurden hier Tausende Evakuierte aus Afghanistan untergebracht: Staatsanwältinnen, TikTok-Stars, Regierungsberater, Mitarbeiter von Entwicklungsprojekten, die Frauen der Fußball-Nationalmannschaft, die mittlerweile in Australien leben, und die Frauen des Basketball-Teams. Albanien nahm sie auf Bitte der USA auf.

Gegründet von den Amerikanern 

Es waren auch die Vereinigten Staaten gewesen, die 2001 den Grundstein für ein afghanisches Nationalteam im Frauen-Basketball legten. Die erste Mannschaft wurde von US-Soldaten gegründet, die gemeinsam mit ihren Alliierten in Afghanistan einmarschiert waren und die erste Taliban-Regierung (1996–2001) gestürzt hatten. Die Frauen trainierten im renovierten Ghazi-Stadion, in dem die Taliban einst öffentliche Hinrichtungen durchgeführt hatten.

Faribah Hamdard war noch ein Baby, als die Amerikaner kamen, hineingeboren in eine Familie mit fünf Schwestern und drei Brüdern. Der Vater, ein Kommandant der Armee, sträubte sich später dagegen, dass seine Mädchen Mannschaftssport betreiben. Doch Faribahs sechs Jahre ältere Schwester Faridah leistete Widerstand.

Sie knotete ihr Kopftuch zu einem Ball 

„Ich habe ständig von meinen Verwandten gehört, dass Frauen keinen Sport machen sollen, sondern sich auf die Ehe vorbereiten müssen: kochen, putzen und sich um die Schwiegereltern kümmern. Das waren die Regeln, mit denen ich aufgewachsen bin. Aber ich habe sie immer ignoriert“, erzählt Faribahs Schwester Faridah in einem Interview, das profil im Februar 2022 mit ihr führte.

„Ich habe meine Eltern angelogen, dass ich zum Englischunterricht gehe. In Wahrheit habe ich heimlich trainiert“, sagte sie damals nicht ohne Stolz. Weil es in ihrer Schule nur einen Ball gab, knotete sie stattdessen ihr Kopftuch zusammen und übte damit in den Pausen das Körbewerfen. Als ihr Vater ihr verbot, für ein Auswahlspiel nach Kabul zu reisen, sperrte sich Faridah in ihrem Zimmer ein und sagte: „Wenn du mich nicht gehen lässt, werde ich nichts mehr essen.“

Ähnliche Widerstände erfuhr Farzana Habibi, die im Jahr 2012 zur Mannschaft stieß und heute Anfang 30 ist. Sie lebt mittlerweile in Deutschland und erzählt profil ihre Geschichte am Telefon.

„Als meine Brüder herausgefunden haben, dass ich Basketball spiele, haben sie sich eingemischt und gesagt, dass das schlecht für unsere Familie ist“, sagt sie. Farzana schaffte es, ihren Vater vom Gegenteil zu überzeugen. Er gab ihr sogar 1000 Afghani, umgerechnet rund zehn Euro, mit auf die Reise nach Kabul. Dort trafen einmal im Jahr alle regionalen Teams aufeinander, die besten Spielerinnen wurden für die Nationalmannschaft auserkoren. „Als ich ausgewählt wurde, konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen, weil ich so glücklich war“, sagt Farzana.

Zehn Euro im Monat 

Geld, so erzählen es alle Spielerinnen, war nie ihre Motivation.

„Uns standen umgerechnet zehn Euro im Monat zu“, sagt Faribah in ihrem Hotelzimmer in Albanien, „aber nicht einmal das hat uns der Sportverband ausbezahlt.“ Im Winter war die Halle nicht beheizt, häufig ging der Strom aus, und nach dem Spiel gab es nicht genug Wasser, um sich zu duschen.

Samira Asghari, die ehemalige Kapitänin der Mannschaft, bestätigt das. Der Sportverband sei korrupt und schlecht organisiert gewesen, erzählt sie. Die Mannschaft der Frauen wurde zum Beispiel nie bei der FIBA, dem Weltbasketballverband, registriert. Das sollte noch fatale Folgen für die Spielerinnen haben.

2020 verließ Asghari die Mannschaft und ging zum Studium in die Schweiz. Als ein Jahr später die Taliban an die Macht kamen, kehrte Asghari nicht zurück, sondern setzte alles daran, ihre Freundinnen aus dem Land rauszuholen.

Warum übernimmt FIBA keine Verantwortung?

„Weder eine Regierung noch eine Menschenrechtsorganisation oder Flüchtlingsagentur übernahm die Verantwortung für die Sicherheit der afghanischen Sportlerinnen, also haben wir es getan“, sagt Mara Gubuan. Die US-Amerikanerin lebt in New York und hat die Nichtregierungsorganisation (NGO) „Equality League“ gegründet, die Gleichberechtigung im Sport fördert.

Gubuan hat sich unter anderem dafür eingesetzt, das Kopftuchverbot in der FIFA aufzuheben, aber auch an einem Dokumentarfilm über afghanische Radfahrerinnen mitgearbeitet.

Samira Asghari in der Schweiz und Mara Gubuan in den USA vernetzten sich und stellten in wenigen Tagen eine Liste von 1000 Namen zusammen. Darauf fanden sich Männer und Frauen unterschiedlicher Nationalteams, von Handball über Volleyball bis Fußball.

„Ich habe diese Liste dem US-Außenministerium vorgelegt“, erinnert sich Gubuan, „aber dort gab man zu, dass es keinerlei Pläne oder Protokolle gab, um zu helfen.“ Auch die FIBA mit Sitz in der Schweiz fühlte sich nicht zuständig – und das bis heute. Auf Anfrage von profil antwortet der Weltbasketballverband: „Laut unseren Informationen gibt es kein Nationalteam der Frauen im Basketball in Afghanistan.“

Am Ende half FIFA

So viel ist klar: Das Team existiert nicht auf dem Papier, aber die Frauen gibt es wirklich. Mara Gubuan in New York ist der letzte Strohhalm, an den sie sich im August 2021 klammern. Und Gubuan hat eine letzte Karte: FIFA. Der Weltfußballverband ist so etwas wie der große Bruder der FIBA, aber streng genommen nicht für Basketball-Spielerinnen zuständig. Gubuan hofft, dass das in dieser Situation keine Rolle spielt. Die Taliban machen keinen Unterschied, ob Frauen Bälle werfen oder kicken.

Aber nur ein Bruchteil hat es herausgeschafft

„Als wir erfahren haben, dass die Taliban von Haus zu Haus gehen, hat mich meine Mutter angewiesen, alle Sachen zu verbrennen“, sagt Faribah.

„All das hat sich für mich wie ein Traum angefühlt. Ich habe jederzeit damit gerechnet, aufzuwachen“, sagt ihre Schwester Faridah. Und: „Der Moment, als die Taliban Herat, meine Stadt, einnahmen, fühlte sich an, als hätten sie mir meine Seele genommen.“

Faridah hatte in der Zwischenzeit geheiratet und zwei Söhne, Zwillinge, bekommen. Als die Taliban an die Macht kommen, schlägt sich die Familie nach Kabul durch und versucht, über den Flughafen das Land zu verlassen. Als dieses letzte Nadelöhr Ende August seine Pforten schließt, steigt die Angst, es niemals außer Landes zu schaffen. Die Sportlerinnen verstecken sich im Haus ihres ehemaligen Trainers in Kabul. Auch Faribah kommt in die Hauptstadt, weil sie gehört hat, dass ihr Name auf einer Evakuierungsliste steht.

Zwei Monate lang, von Mitte August bis zur Evakuierung der Gruppe am 20. Oktober, gibt Mara Gubuan in New York ihr Handy nicht aus der Hand. Sie nimmt es mit ins Badezimmer und legt es in der Nacht unter ihr Kopfkissen, damit ihr keine Nachricht und kein Klingeln entgeht. Samira Asghari unterbricht ihr Studium in der Schweiz, weil sie sich nicht mehr konzentrieren kann. Sie schläft kurz und isst wenig. „Wir hatten Angst, dass sie nicht durch die Taliban-Kontrollpunkte kommen und es nicht an Bord des Flugzeugs schaffen“, erinnert sich Gubuan.

Ausgerechnet die wegen Menschenrechtsverbrechen in Verruf geratene Fußball-Weltmeisterschaft in Katar half den Basketball-Spielerinnen bei der Flucht. „Es waren die Kataris, die der FIFA geholfen haben, mit den Taliban zu verhandeln“, so Gubuan. Am Ende gelang es, zwei Flüge und Sitzplätze für 160 Menschen zu organisieren, darunter 29 für das Basketball-Team. 18 davon sind Spielerinnen, die anderen Trainer, Sportfunktionäre und vereinzelt Familienmitglieder, zum Beispiel Ehemänner und Kinder.

Nur 160 Menschen von den insgesamt 1000 auf der ursprünglichen Liste haben es außer Landes geschafft.

Einige der besten Spielerinnen sind in Afghanistan zurückgeblieben

Mara Gubuan, Equality League

„Vergiss uns nicht!“

„All das war für mich sehr intensiv“, sagt Mara Gubuan, „einerseits bin ich glücklich für alle, die es geschafft haben. Andererseits schreiben mir die Frauen, die zurückgelassen wurden, bis heute. Diese Nachrichten sind niederschmetternd.“

„Vergiss uns nicht!“ und „Wir leben in Angst, dass uns die Taliban finden und töten“, steht in diesen Nachrichten.

Als die Spielerinnen in Katar ankamen und einen Monat später nach Albanien weiterreisten, wurde Gubuan klar, dass sie nicht die gesamte Nationalmannschaft evakuiert hatte. Unter den 18 Frauen, die es herausschafften, befanden sich auch viele regionale Spielerinnen oder solche aus der Juniormannschaft. „Einige der besten Spielerinnen sind in Afghanistan zurückgeblieben“, sagt Gubuan. Ihre NGO „Equality League“ setzt sich bis heute dafür ein, dass die FIBA, der Weltbasketballverband, die restlichen Frauen evakuiert. Gubuan beklagt, dass dieser keine Verantwortung übernehme.

„Wenn ich sie anrufe, dann weinen sie“, sagt Farzana, die Spielerin, die in Deutschland lebt: „Sie beneiden mich darum, dass ich studieren kann.“ Viele ihrer ehemaligen Team-Kolleginnen leiden an Depressionen, erzählt sie: „Alles hat schlagartig für sie aufgehört. Wenn ich in ihrer Situation wäre, würde ich sterben.“

Mara Gubuan ist bis zum Schluss an der Seite der Afghaninnen geblieben. Sie zog für sieben Monate an die Küste Albaniens, um ihnen Mut zu machen und Druck auf die Behörden in den USA auszuüben, sie schnell und zügig umzuverteilen. Faribah war die letzte Spielerin, die im September 2023 abgereist ist.

Mittlerweile ist sie in den USA angekommen, wo sie bei ihrer Schwester lebt. Mindestens vier Spielerinnen leben heute in Texas, zwei weitere in Tennessee. Zwischen ihren Städten liegen drei Flugstunden. Faribah glaubt, dass die Mannschaft nie wieder zusammenkommen wird. „Unser Team ist auseinandergerissen“, sagt der ehemalige Trainer Ghulam Ghous Nikbeen.

Unser Team ist auseinandergerissen

Trainer Ghulam Ghous Nikbeen

Er sitzt auf der Terrasse des Hotel Rafaelo in Albanien, umgeben von Badegästen, die einen der letzten Sommertage genießen. Es sei zu einem Streit zwischen ihm und Mara Gubuan gekommen, erklärt Nikbeen. Es ging um die Art und Weise, wie er den Verein führte, angeblich auch um Machtmissbrauch. Er weist das zurück. Gubuan sagt, einzelne Spielerinnen hätten sich im Vertrauen an sie gewandt.

Farzana Habibi spielt heute in Deutschland in einer Hobbymannschaft. Faribah will Profi-Spielerin in den USA werden. Eine weitere Spielerin hat gerade ihren Führerschein gemacht, die nächste ihre Verlobung gefeiert.

„Sie müssen jetzt noch einmal ganz von vorn anfangen“, sagt Samira Asghari, die ehemalige Kapitänin, „aber ich kenne meine Teamkolleginnen als hart arbeitende Frauen. Sie haben die Kraft dafür."

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.