„Free Carola“: Hunderte demonstrierten in Wien für die Freilassung der Kapitänin

„Free Carola“: Hunderte demonstrierten in Wien für die Freilassung der Sea-Watch-Kapitänin

„Wer Leben rettet, kann kein Verbrecher sein“ sagen Demonstranten vor dem italienischen Konsulat.

Drucken

Schriftgröße

Nach der Festnahme der Kapitänin Carola Rackete in Lampedusa forderten Demonstranten in Wien am Dienstag ihre Freilassung. Sie sprachen sich gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung und für sichere Fluchtwege aus. „Kein Menschenleben ist weniger wert als ein anderes Menschenleben. Zu retten ist keine Wahl, sondern Pflicht. Dieser Pflicht ist Carola Rackete nachgekommen, deswegen drücken wir ihr heute unsere Solidarität aus und verneigen uns vor ihr“, so Faika El-Nagashi, Grünen-Abgeordnete zum Wiener Landtag und Gemeinderat, zu Beginn der Demonstration. Neben El-Nagashi hielten außerdem Fiona Herzog von der Sozialistischen Jugend Wien, Saya Ahmad, die SPÖ-Bezirksvorsteherin von Wien-Alsergrund sowie Erich Fenniger, der Direktor der Volkshilfe Österreich, Reden. Die Demonstration startete vor der Oper und zog dann zur italienischen Botschaft, wo die Abschlusskundgebung stattfand. Laut den Veranstaltern, der Plattform für menschliche Asylpolitik, nahmen 2.600 Menschen teil, die Polizei bestätigte 800. Noch während der Demonstration wurde bekannt, dass der Haftbefehl gegen Carola Rackete aufgehoben wurde, nachdem eine Untersuchungsrichterin der sizilianischen Stadt Agrigent diesen nicht bestätigte.

Rackete war am Samstag verhaftet worden und stand bis Dienstag Abend unter Hausarrest, nachdem sie mit 40 Flüchtlingen an Bord im Hafen von Lampedusa angelegt hatte. Die Organisation Sea Watch, für die Rackete arbeitet, hatte Mitte Juni 50 Flüchtlinge in Seenot vor der lybischen Küste gerettet, zehn von ihnen wurde im Laufe der Wochen die Erlaubnis erteilt, an Land zu gehen, da es sich um medizinische Notfälle handelte. Rackete sagte noch am 27. Juni, nachdem sie bereits mehrere Tage vor der italienischen Küste ausharrte: „Wir können nicht warten, bis jede einzelne Person ein medizinscher Notfall wird, bis Europa ihre Grundrechte anerkennt.“ Rackete entschied sich zwei Tage später, illegal in Lampedusa einzulaufen. Sie befürchtete, dass Passagiere Selbstmord begehen könnten, nachdem sich vereinzelt schon Personen ob der Aussichtslosigkeit der Situation selbst verletzt hatten, begründet Carola Rackete in einem Interview mit dem italienischen „Corriere della Sera" ihre Entscheidung. Das Anlegen von privaten Schiffen ist in italienischen Häfen verboten. Der Beschluss, den die Regierung vor zwei Wochen getroffen hat, untersagt ihnen die Durchfahrt und den Aufenthalt, aus Gründen der nationalen Sicherheit.

Der italienische Innenminister Matteo Salvini bezeichnete Racketes Vorgehen als „eine kriegerische Handlung". Beim Einfahren in den Hafen hatte Rackete ein Schiff der italienischen Finanzpolizei gerammt. Weil diese in Italien militärisch organisiert und dem Heer untergeordnet ist, wurde Rackete vorgeworfen, Widerstand gegen ein Kriegsschiff geleistet zu haben, worauf bis zu 13 Jahre Haft stehen können. Diese Sachverhalte sah die Untersuchungsrichterin aus Agrigent nicht gegeben. Racekte ist jetzt auf freiem Fuß, muss jedoch bis zum 9. Juli in Italien bleiben und sich dann vor der Staatsanwaltschaft verantworten, weil sie der Begünstigung der illegalen Migration beschuldigt wird. Das internationale Seerecht besagt jedoch, dass alle Schiffsführer verpflichtet sind, Menschen in Seenot zu helfen. Die geretteten Personen müssen dann unverzüglich in einen sicheren Hafen gebracht werden.

Wer Menschen einsperrt, weil sie anderen Menschen das Leben retten, der ist im Unrecht

Die Organisation Sea Watch und Carola Rackete treffen auf breiten Rückhalt in Deutschland und Österreich. Die deutschen TV-Moderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf haben am Wochenende eine Spendenaktion ins Leben gerufen, bis Dienstag Abend wurden mehr als 900.000 Euro gesammelt. In einem You-Tube Video sagt Böhmermann: „Wer Menschen einsperrt, weil sie anderen Menschen das Leben retten, der ist im Unrecht. Das war gestern so, das ist heute so und das wird auch immer so sein.“ Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen äußerte sich ebenfalls im Rahmen des Staatsbesuches des italienischen Präsidenten Sergio Mattarella: „Wenn ich in Österreich an einem Binnensee ein Boot in Not sehe und nicht zur Hilfe eile, dann werde ich bestraft wegen unterlassener Hilfeleistung – aber ich werde nicht dafür bestraft, wenn ich diese Hilfe leiste.“

Auch in Frankfurt und München fanden bereits Demonstrationen vor dem italienischen Konsulat statt. Für Samstag, den 6. Juli, hat das Bündnis „Seebrücke“ außerdem in mehr als 20 deutschen Städten und auch in Wien Protestaktionen für sichere Häfen und die Entkriminalisierung von Seenotrettung angekündigt.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.