(Rechts)extrem erfolgreich

Front National: Kann man eine Partei dauerhaft von der Macht fernhalten?

Front National. Kann ma eine Partei dauerhaft von der Macht fernhalten?

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Es gab in der französischen Demokratie ein Tabu, das denselben Stellenwert hatte wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Es lautete: Niemals darf der Front National siegen. Alle politischen Kräfte - mit Ausnahme der Geächteten selbst - stimmten darin überein, dass diese Partei jenseits der republikanischen Werteordnung stehe und als rechtsextreme Kraft den nationalen und den europäischen Konsens zerstöre. Die Republik müsse vor einem solchen Affront bewahrt werden, da er ihr Ende bedeuten könnte. Dieses Tabu wurde am 25. Mai 2014 gebrochen. Die Nationale Front erreichte bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in Frankreich mit fast 25 Prozent der abgegebenen Stimmen Platz eins und siegte damit erstmals bei einem landesweiten Urnengang.

Wie konnte das passieren? Wer ist schuld? Und was kann man daraus lernen?

In den Tagen nach dem Wahlsieg der Partei von Marine Le Pen war die Resignation im Land zum Greifen. Am Donnerstag vergangener Woche, vier Tage nach dem Tabubruch, gingen gerade einmal 4200 Personen in Paris auf die Straße, um gegen den Front National zu demonstrieren. Als Jean-Marie Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2002 als Zweitplatzierter in die Stichwahl gekommen war, hatten sich 1,3 Millionen Menschen in ganz Frankreich versammelt, um ihren Protest zu zeigen. Damals machte die Aufwallung noch Sinn, Le Pen ging im zweiten Wahlgang unter. Der Triumph seiner Tochter hingegen kann nicht mehr verhindert werden.

Der Aufstieg des Front National zur Siegerpartei ist kein ausschließlich französisches Problem. Auch in anderen Ländern - nicht zuletzt in Österreich - wollen ähnliche Gruppierungen an die Macht.

Der Cordon Sanitaire hält nicht

Von allen Ländern, in denen eine weit rechts stehende Partei den republikanischen Frieden störte, hatte Frankreich lange Zeit das beste Image. Als die ÖVP im Jahr 2000 eine Regierungskoalition mit der FPÖ bildete, zürnte Paris und verwies auf den eigenen Umgang mit dem Front National: Ein "Cordon Sanitaire“ - ein politischer Sicherheitsgürtel - sollte die Rechtsextremen von der Macht fernhalten. Konkret funktionierte das so: Wenn bei Wahlen ein FN-Kandidat in den zweiten Wahlgang kam, gaben alle Parteien eine Empfehlung für den am besten platzierten Gegenkandidaten ab.

Doch der Cordon Sanitaire offenbarte bald seine Schwäche: Die republikanische Front, die konservative und linke Parteien bildeten, bot dem FN die Gelegenheit, alle anderen als "Freunderln“ zu verspotten, die nichts voneinander unterschied. Bei den Wählern der konservativen Partei UMP und auch bei denen der Sozialisten schwand nach und nach die Motivation, aus staatsbürgerlicher Räson dem politischen Gegner die Stimme zu geben, nur um den Front-National-Kandidaten zu stoppen. Vor allem die UMP verzichtete immer öfter darauf, zur Stimmabgabe für einen linken Kandidaten aufzurufen, und ging zu einer Politik des "weder noch“ über - also de facto zur Stimmenthaltung. So schrumpfte auch bei den sozialistischen Wählern die Begeisterung, im Ernstfall für die UMP zu votieren.

Als bei Kantonalwahlen im Oktober 2013 in der kleinen südfranzösischen Stadt Brignoles der FN-Kandidat einem UMP-Kandidaten gegenüberstand, riss der Cordon Sanitaire: Die linken Wähler blieben zu einem großen Teil dem Urnengang fern, am Ende siegte der FN mit fast 54 Prozent.
Es sollte ein Omen sein.

Ächtung nützt sich ab

Jean-Marie Le Pen war ein Glücksfall für seine Gegner. Der alternde, arrogante Mann, der mit haarsträubenden Bemerkungen das Publikum schockierte, erfüllte alle Klischees eines extremistischen Politikers. Die Gaskammern des Dritten Reichs seien "ein Detail der Geschichte des Zweiten Weltkrieges gewesen“, sagt er einmal. Dann wieder warnte er vor den Aids-Kranken, die mittels Schweiß, Tränen und Speichel ansteckend seien.

Die radikale Diktion und die ungewohnte Verachtung, die aus Le Pens Wortmeldungen sprach, führten dazu, dass die Bezeichnung "rechtsextrem“ für ihn und seine Partei weithin übernommen wurde. Dass der Front National ausländerfeindliche Positionen vertrat und antisemitische Aussagen seiner Funktionäre duldete, passte gut ins Bild.

Medien traten FN-Repräsentanten anders gegenüber als Politikern anderer Parteien. Die Gebote der Objektivität und der Äquidistanz schienen keine Gültigkeit zu haben. Jean-Marie Le Pen wurde, wenn überhaupt, dann nur mit dem Ziel eingeladen, ihn zur Strecke zu bringen. Der Front National galt als der Outlaw, und mehrere Verurteilungen seines Präsidenten bestätigten seine Gegner in dieser Haltung.

Ähnlich wie man in Österreich eine Zeit lang versuchte, die FPÖ als "außerhalb des Verfassungsbogens“ zu stellen, definierte man den FN in Frankreich als "unrepublikanisch“.

Dann kam Marine Le Pen und veränderte das Erscheinungsbild der Partei radikal - optisch, im Stil und auch politisch. Sie begann, antisemitische und grob rassistische Äußerungen aus ihren Reihen mit Sanktionen zu belegen; sie gab die Order aus, FN-Bürgermeister sollten nicht radikale Positionen in die Tat umsetzen, sondern erst einmal zeigen, dass sie eine Stadt gut verwalten können. Und sie kämpfte gegen die Bezeichnung "rechtsextrem“: 2013 kündigte die Parteichefin an, sie werde gegen diese Punzierung notfalls gerichtlich vorgehen.

Das heißt nicht, dass die Nationale Front unter der neuen Führung harmloser oder moderater geworden wäre. Ihre Ausbrüche gegen den Islam oder die EU sind heftig wie eh und je. Doch die beiden Themen sind auch im Mainstream häufig negativ besetzt, sodass Attacken in diesem Bereich Attribute wie "unrepublikanisch“ oder "rechtsextrem“ nicht rechtfertigen. Auch der französische Starautor Michel Houellebecq bezeichnete den Islam als "dümmste aller Religionen“ und dessen Schriften als "Texte des Hasses“ und wurde von einem Gericht vom Vorwurf der Anstiftung zum Religionshass freigesprochen.

Marine Le Pen schwadroniert nicht wie ihr Vater über die Kriege in Indochina und Algerien, sondern gibt sich als moderne Frau, zum zweiten Mal verheiratet, drei Kinder. Angesichts der Wahlerfolge können auch die Medien Le Pen nicht übergehen, und so hat sich die Nation langsam an die Frau gewöhnt, die darauf beharrt, "weder rechts noch links“ zu sein.

Wer im politischen Alltag permanent gegenwärtig ist, ist schwer zu ächten. Kein Zufall, dass bei internationalen Treffen von Rechtsaußen-Parteien in den Medien jeweils die ausländische Formation als das schlechthin Böse dargestellt wird. In österreichischen Zeitungen ist es der Front National, in französischen Zeitungen die FPÖ.

Der Wunsch, den Front National per Definition aus der Politik zu verdrängen und als Phänomen außerhalb der Zivilisation zu behandeln, ist aus Sicht ihrer Gegner verständlich - aber vergeblich.

Rechts außen sind die Rechtsaußen-Parteien schwer zu überspielen

Konservative und Sozialdemokraten sprechen es nie aus, aber eine ihrer Strategien besteht darin, die Rechten auf deren Gebiet - Sicherheit und Ausländer - zu schlagen. Der letzte konservative Wahlsieger war ein ehemaliger Law-and-Order-Innenminister, der ankündigte, in den Vororten "das Gesindel mit dem Kärcher“ zu entfernen: Nicolas Sarkozy, Staatspräsident von 2007 bis 2012. Der aktuelle Hoffnungsträger der Sozialisten war ebenfalls Innenminister und katapultierte sich unter anderem damit an die Spitze der Umfragewerte, dass er den Roma bescheinigt hatte, nur eine Minderheit unter ihnen wolle sich in Frankreich integrieren und ihre Lebensweise sei im Vergleich zu unserer eine "extrem unterschiedliche“: Manuel Valls, derzeit Premierminister.

Unter Sarkozys Präsidentschaft wurden Lager der Roma abgerissen, unter Präsident François Hollande verdoppelte sich die Zahl der Räumungen. Der Anspruch der Sozialisten, die Integration der Roma zu verbessern, blieb uneingelöst.

Der Front National fühlt sich in seiner feindlichen Haltung gegenüber den Roma bestärkt. Ein großer Teil der Wählerschaft kann nicht erkennen, weshalb die Forderung des FN, Roma des Landes zu verweisen, rechtsextrem sein soll, wo doch die anderen Parteien mit den Zuwanderern offenbar auch nicht klarkommen.

Vergangene Woche trugen die Sozialisten unter dem Eindruck der Wahlschlappe ihr Projekt zu Grabe, Nicht-EU-Ausländern auf kommunaler Ebene das Wahlrecht einzuräumen. Es war eines der Wahlversprechen von François Hollande gewesen. Sein Vorgänger François Mitterrand hatte dieselbe Forderung bereits 1981 erhoben. Die Ablehnung des Front National blieb über Jahrzehnte hinweg unverrückbar.

Ganz rechts behalten immer die ganz Rechten Recht.

Die einfachen Lösungen sind die besten - und die schwierigsten

François Hollande ist ein political animal, und da die Sozialisten seit über 30 Jahren Strategien gegenüber dem Front National wälzen, ist er wohl auch in dieser Frage ein Experte. Vergangenen Oktober war der Staatspräsident im südfranzösischen Department Loire unterwegs und erläuterte Journalisten seine Ansicht, wie man die Rechtsextremen eindämmen könne. In der kürzesten Fassung klang das sehr simpel: "Resultate.“

Hollande vermutet, dass ein großer Teil der Wählerschaft von einem Gefühl der Ohnmacht erfasst ist und der Regierung nicht zutraut, die Probleme des Landes zu lösen. In dieser Gemütslage wandten sie sich dem Rechtsextremismus zu. "Werden wir in der Lage sein, aus der Krise herauszukommen, oder werden wir noch tiefer in dem Klima von Pessimismus, Wut und Frustration versinken?“, fragte der Erste Mann im Staat.

Er und seine Regierung versprachen, den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu stoppen und die negative Tendenz auf dem Arbeitsmarkt umzukehren. Hätte das den Aufstieg des Front National stoppen können? Sind Marine Le Pens Behauptungen, der Euro und die Ausländer seien schuld an der Misere des Landes, auf diese Weise zu entkräften? Schwer zu sagen, denn Hollande scheiterte. Die angekündigten Resultate blieben aus.

Dann eben Fatalismus

Wer sagt überhaupt, dass eine politische Formation auf Dauer von der Macht fernzuhalten ist? Bei einer Wahl, an der über 40 Millionen Menschen teilnehmen, ist menschliches Versagen schwer auszuschließen. Und eine Partei, die rechtmäßig kandidiert, kann man nicht verbieten, nur weil sie gesiegt hat.

Noch steht dem FN das Mehrheitswahlrecht bei Parlamentswahlen im Weg, das nach geltender Lehrmeinung Extremismen ausschließen helfen soll. Noch ist nicht gesagt, dass tatsächlich Marine Le Pen in einer allfälligen Stichwahl um die Präsidentschaft die attraktivere Kandidatin sein könnte.

Aber die Möglichkeit besteht. Dann müsste Marine Le Pen mit all ihren abstrusen Forderungen wie dem Austritt aus dem Euro, der Wiedereinführung der früheren Franc-Währung, dem Zuwanderungsstopp, dem wirtschaftlichen Protektionismus und noch vielen anderen krausen Ideen das zweitgrößte Land Europas regieren. Die nicht ganz abwegige Annahme: Das Experiment mündet in ein Desaster und macht Strategien gegen den Front National für längere Zeit verzichtbar.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur