Nahost

Terror in Israel: Wie erkennt man Fakes und Propaganda im Netz?

Digital-Expertin Ingrid Brodnig warnt: Bei einem Ausnahmezustand wie dem Hamas-Angriff auf Israel lauern in den sozialen Medien viele Gefahren. Was Nutzer beachten sollten und warum Elon Musks das Problem befeuert.

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Videos von entführten Israelis, weinende Kinder, gekidnappte Familien in der Hand der Hamas, zerbombte Häuser und verwaiste Dörfer. Am 7. Oktober wurde Israel von einer beispiellosen Terrorangriff überrascht - und die Weltöffentlichkeit war via sozialer Medien wie X, TikTok und Instagram live dabei. Aber welche Videos sind echt, was wird gezielt zur Desinformation eingesetzt - und wie erkennt man Propaganda? Eine Einordnung in fünf Punkten:

Im Ausnahmezustand sollte man misstrauisch sein.

Wenn sich die Ereignisse überschlagen, werden emotionalisierende Nachrichten, die oft falsch sind, von Trittbrettfahrern verbreitet. Bei Terroranschlägen wie in Israel hilft es, auf Social Media nur dann etwas als gesichert anzunehmen, wenn renommierte Medien und Nachrichtenseiten wie die BBC, Reuters oder der “New York Times” das bestätigt haben – auch qualitätsvolle heimische Medien haben teils auch Korrespondent:innen mit Fachwissen zur betroffenen Region. Durchschnittliche User:innen haben hingegen oft nicht die Zeit, einzelne Fotos oder Videos, die im Netz kursieren, hinterher zu recherchieren. Außerdem sollte man darauf achten, zu kontrollieren, ob die Accounts etablierter Medien echt sind oder es sich um Fake-Profile handelt. Es gibt immer wieder Fälle, wo ganze Social-Media-Accounts oder Websites detailliert nachgebaut und mit Falschmeldungen geflutet werden.

Starke Emotionalisierung ist ein Hinweis für Fake News.

Zum Beispiel instrumentalisieren viele Falschmeldungen Kinder oder liefern besonders beeindruckende Videos (wie Fallschirmspringer oder Bomben, die abgeworfen werden). Solche Videos können echt sein, aber oft werden bei militärischen Konflikten Aufnahmen von älteren Kriegen missbraucht. Heißt: Krieg sieht in unterschiedlichen Gegenden oft gleich aus. Für den Laien lässt sich oft nicht erkennen, ob es sich bei den Aufnahmen um eine israelische oder zum Beispiel syrische Stadt handelt. Das Phänomen lässt sich in den digitalen Raum übertragen: Videospiele wie “Arma 3” sehen so realistisch aus, dass sie für Propagandazwecke missbraucht werden können. 

Digital-Expertin Ingrid Brodnig: "Der Krieg hat einen zusätzlichen Schauplatz bekommen."

Im Zweifelsfall gilt bei Breaking News: Weniger ist mehr.

Natürlich wollen viele ihre Solidarität und ihr Entsetzen ausdrücken, aber man muss nicht jedes brisante Video teilen. Stattdessen kann man zum Beispiel in einfühlsamen Worten seiner Solidarität und Trauer mit Israel Ausdruck verleihen oder namhafte Stimmen und Accounts aus Israel sichtbar machen und der eigenen Community zu empfehlen. Wenn Menschen aus dem eigenen Umfeld fragwürdige Videos teilen, kann auch sinnvoll sein, in einer privaten Nachricht auf die Gefahren eines unhinterfragt Weiterverbreitens von Inhalten hinzuweisen. Gerade bei Israel besteht die Gefahr, dass durch Postings Antisemitismus befördert wird – die zum Beispiel das Existenzrecht Israels infrage stellen. Außerdem gilt: Neben Propaganda-Accounts, die die Hamas glorifizieren, gibt es auch Trittbrettfahrer: Menschen, die im Verbreiten von Fake News eine Chance, schnell und einfach Klicks zu generieren, Reichweite mit spektakulären Behauptungen zu erzielen und ihre eigenen 15 minutes of fame zu bekommen. 

Journalismus ist ein Wachhund der digitalen Diskussionskultur.

Die Bedeutung von Journalismus ist in Zeiten der Social-Media-Flut gestiegen. Medien haben zwar nicht mehr die klassische Gatekeeper-Funktion, bestimmen nicht mehr allein, was Leser:innen sehen oder nicht sehen, aber aktuell liegt es umso mehr an Journalistinnen und Journalisten, Fakten, Videos und Bilder zu checken und Propaganda zu entlarven. Es reicht heute nicht mehr, dass Reporterinnen oder Reporter vor Ort sind, sondern gleichzeitig muss auch Social Media als Ort der Kriegsdeutung beobachtet werden. Heißt: Der Krieg hat einen zusätzlichen Schauplatz bekommen. 

X zeigt ein neues Level fehlender Qualitätssicherung.

Auch vor der Twitter-Übernahme des Tech-Investors Elon Musk gab es Fehler im System, es war aber grundsätzlich leichter, seriöse und unseriöse Profile zu unterscheiden. Aktuell gibt es auf X (wie Twitter jetzt heißt) mehrere Probleme: Es gibt Accounts, die sich als Reporter:innen etablierter Medien ausgeben, obwohl sie dort gar nicht arbeiten und ihre Reichweite für Falschmeldungen nutzen. Die Abschaffung der normalen Verifizierung, welches Medienschaffende mit einem blauen Häkchen kennzeichnete, befeuert dieses Problem zusätzlich. Zudem hat X mit Musk einen Besitzer, der selbst höchst fragwürdige Quellen verbreitet und zum Beispiel einen Account empfiehlt, der durch antisemitische Äußerungen aufgefallen ist.

 

Protokoll: Philip Dulle