Mach's noch einmal!

Hillary Clinton: die Siegerin der Präsidentenwahlen 2016?

USA. Hillary Clinton: die Siegerin der Präsidentenwahlen 2016?

Drucken

Schriftgröße

W ahrscheinlich will es die Geschichte so. Oder Hegels Weltgeist. Oder die Hand Gottes, wie damals bei Maradona. Nur geht es diesmal nicht um ein Fußballtor, sondern um die amerikanische Präsidentschaft. Fast scheint programmiert, dass ab 2017 der mächtigste Mensch auf Erden Hillary Clinton heißen wird. Diesen Mittwoch sind es noch genau 1000 Tage, bis in den Vereinigten Staaten ein neuer Präsident gewählt wird. Schon Ende 2015 beginnt mit dem Ausleseprozess der Kandidaten die gewaltigste und verrückteste Politshow der Welt.

Das mag noch lange hin sein, aber Hillary ist schließlich nicht irgendwer. Und je mehr der Stern Barack Obamas verglüht, desto aufgeregter wendet sich die schnell gelangweilte amerikanische Nation der Frage aller Fragen zu: Wird sie antreten? „Das ist eine sehr persönliche Entscheidung, die sie nicht über den Zaun brechen wird“, erklärt Hillarys Sprecher Nick Merrill. Ein langjähriger Freund, der anonym bleiben möchte, wird deutlicher: Aber klar – „absolutely“ werde sie 2016 kandidieren.
Wahrscheinlich lässt ihr der Lebenslauf gar keine andere Wahl: Gouverneursgattin, First Lady, Senatorin des Staats New York, danach Außenministerin. Und bekanntlich auch besiegte Präsidentschaftskandidatin. Sie hat es ja schon einmal versucht, damals bei der Wahl 2008. Anstatt Geschichte zu machen, wurde sie von der Geschichte überrollt. Es war eine bittere Pille, an der sie und ihre Vertrauten lange Zeit kauten. Jetzt stehen neuerlich Entscheidungen an: Nach den Kongresswahlen im November muss sie sich erklären.
Öffentlich halte sich Hillary noch bedeckt, befand das Magazin „Politico“ vergangenes Jahr – in Wahrheit führe sie aber längst einen „Schattenwahlkampf“.

Bereits im Frühsommer 2013 war sie in ihrem Haus im Washingtoner Nobelviertel Georgetown mit demokratischen Strategen zusammengetroffen, um sich ein Bild zu verschaffen, was es für einen neuerlichen Anlauf bräuchte. Zahlen machten die Runde, Termine für die parteiinternen Vorwahlen wurden gecheckt, mögliche Probleme debattiert.
Dieses zum Beispiel: Beim Einzug ins Weiße Haus wäre Hillary 69 Jahre alt. Das ist zwar kein Hindernis, aber es gibt in der Politik kaum eine größere Herausforderung für Physis und Psyche als einen amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf.

Hillary Clinton weiß das. Die Erinnerungen an die Strapazen von 2007 und 2008 sind frisch geblieben, gesundheitliche Schwierigkeiten dazugekommen – etwa ein Blutgerinnsel im Gehirn, das sie 2012 umkippen ließ. Manche ihrer engsten Freunde und Weggenossen raten ihr daher dringend ab, darunter Cheryl Mills, ihre ehemalige Stabschefin im Außenamt.

„Zuerst einmal ist sie meine Mutter“
Tochter Chelsea überlässt es dagegen ganz der Mutter, ob sie auf Biegen und Brechen nochmals in den Kampf ziehen will. Sorgen macht sich die Tochter trotzdem. „Zuerst einmal ist sie meine Mutter“, sagt sie. Und Bill Clinton? Er hüllt sich in Schweigen, doch würde der Ex-Präsident einen Einzug ins Weiße Haus an der Seite seiner Frau gewiss als Krönung des gemeinsamen Lebenswerks empfinden: „Ihr kriegt zwei Präsidenten zum Preis von einem“, hatte er sich und Hillary 1992 vollmundig angepriesen.
Ob die Amerikaner das schon wieder wollen, bleibt abzuwarten.
Kaum jemand bezweifelt, dass Hillary 2016 Präsidentschaftskandidatin der Demokratischen Partei wird, falls sie dies möchte. „Kann jemand Hillary stoppen?“, fragte „Time“ unlängst auf dem Titelblatt mehr oder weniger rhetorisch.

Obamas Vize Joe Biden kann es sicherlich nicht. Erste Umfragen zeigen einen gewaltigen Vorsprung vor potenziellen demokratischen Mitbewerbern: 73 Prozent für Hillary, zwölf Prozent für Biden – der inzwischen erklärt hat, nur anzutreten, wenn Clinton verzichte. Andere mögliche Kandidaten wie Marylands Gouverneur Martin O’Malley oder New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo hätten ebenfalls kaum eine Chance. Politisch schwimmt sie im Mainstream der Partei: wirtschaftsfreundlich, aber um soziale Gerechtigkeit bemüht, pro Homo-Ehe und insgesamt liberal in der Gesellschaftspolitik.

Und Barack Obama hat signalisiert, dass auch er auf Hillary setzt. Sein ehemaliger Top-Berater und Spendensammler Jim Messina ist schon zur Kandidatin in spe übergewechselt – mit stillschweigender Billigung des Präsidenten, mit dem Hillary nach eigenen Worten eine „persönliche Freundschaft“ verbindet.

Inzwischen tauchen bereits die ersten Autos mit Wahlkampf-Aufklebern im amerikanischen Straßenverkehr auf: „Bereit für Hillary“ steht darauf.
Aber noch entspannt sich die potenzielle erste Präsidenten der Vereinigten Staaten vor der großen Schlacht, so sie denn kommt. „Wir haben eine prima Zeit, wir lachen über unsere Hunde, wir schauen uns dumme Filme an, wir machen lange Spaziergänge oder gehen schwimmen“, vertraute Hillary im vergangenen Sommer dem „New York Magazine“ an.
Derzeit ist also Cocooning im New Yorker Heim angesagt – der Gegenentwurf zum stressigen Politikerleben der Vergangenheit, das im Fall der Clintons geradezu groteske Züge angenommen hatte. Einmal zum Beispiel waren sich die beiden eher zufällig im kolumbianischen Bogota über den Weg gelaufen, beide in unterschiedlicher Mission. Man speiste gemeinsam, danach zog jeder samt Entourage in ein anderes Hotel ab.
Das Bild von der Idylle mit Hunden und Filmabenden trügt aber auch jetzt: Hillary hält Reden zum Preis von 200.000 Dollar pro Auftritt, sie sucht das Rampenlicht, sie ist präsent. Neulich führte sie sogar die Liste der „zehn faszinierendsten Menschen 2013“ an, erstellt von der TV-Institution Barbara Walters. Selbst den Papst hängte sie ab, den NSA-Aufdecker Edward Snowden ebenfalls.

Die Republikaner dagegen befinden sich in der schwersten Krise ihrer Geschichte und bringen derzeit keinen Fuß auf den Boden.
Das klingt fast, als ob nichts und niemand Hillarys Griff nach der Macht verhindern könnte. Aber das glaubten die Clintons bereits 2008.
Mit der Unausweichlichkeit ist es nämlich so eine Sache, besonders in Amerika, wo der Glaube daran verpönt ist. „Damals ist sie gescheitert, weil sie in dieser vermeintlichen Unausweichlichkeit eingekapselt war“, erinnert Barack Obamas Wahlkampfstratege David Axelrod an die schmerzliche Pleite der Konkurrentin.

Beim zweiten Anlauf soll es klappen: keine Keilereien eines zerstrittenen Stabs, keine Freibeuter-Allüren eines Ehemanns, den 2008 niemand zu kontrollieren vermochte und der gelegentlich mit verbalen Ausrutschern für helle Aufregung sorgte. Nein, diesmal will Hillary allein die Herrin ihres politischen Schicksals sein.

Vergeben mag manches sein, vergessen ist nichts
Es könnte funktionieren: Bill Clinton gibt sich leiser dieser Tage, ist älter und vielleicht auch ein Stück weiser geworden. Gleichwohl wird die seltsame Beziehung der beiden Ehegatten wohl wieder ins Gerede kommen. Schließlich sind die Clintons seit 1988, als Bill eine überlange Rede auf dem demokratischen Parteitag in Atlanta hielt, ein nationales Thema. Vergeben mag manches sein, vergessen ist nichts.
„Wie ein Raubtier“ habe sich Bill Clinton im Weißen Haus benommen, stichelte unlängst der republikanische Senator Rand Paul im Fernsehen. Paul möchte selbst Präsident werden. Manchmal könne man die Clintons „kaum auseinanderhalten“, sagte er.

Namen oder Ereignisse muss Rand Paul nicht nennen. Jeder weiß, wer Monica Lewinsky ist. Bill ein Raubtier, Hillary eine Eisprinzessin, die es dem reichlich mit Libido gesegneten Gatten nie richtig besorgt habe und womöglich eine Lesbe sei: So lästern sie im konservativen Lager seit Jahrzehnten. Sexistisch ist manches, unappetitlich einiges.
Da war der Leibwächter, der in einem konservativen Magazin mit der Behauptung zitiert wurde, Hillary habe dem untreuen Gatten auf der Treppe der Gouverneursvilla in Little Rock in Arkansas zornentbrannt entgegengeschleudert, auch sie brauche Sex. Da war das erstaunliche TV-Interview mitten im demokratischen Vorwahlkampf 1992, als Bill bekannte, er habe in seiner Beziehung „Schmerz“ verursacht. Da war der aberwitzige Feldzug der Republikaner gegen die Clintons, der in einem Anklageverfahren gegen den Präsidenten im Kongress gipfelte. Und da war vieles mehr, Lustiges und überhaupt nicht Lustiges.

Vielleicht befällt die Amerikaner vor dem Wahltag 2016 auch deshalb eine bleierne Müdigkeit, was Bill und Hillary betrifft – obwohl eine zweite Staffel der Soap Opera „Die Clintons im Weißen Haus“ wahrscheinlich ohne viele erotische Eskapaden auskommen müsste. Skandalisierungspotenzial hat da schon eher das Treiben in „Clintonland“, dem weitverzweigten Netzwerk von Freunden, Vertrauten, Mitarbeitern und Geldgebern, in dem emsig an diversen Strippen gezogen und manchmal auch kräftig in die eigene Tasche gewirtschaftet wird.

Die Clintons lebten „in einer Welt voller Geld“, murrte neulich der parteilose linke Senator Bernie Sanders. Bevölkert wird diese Welt von Figuren wie Terry McAuliffe, der für die Wahlkämpfe der Clintons massenhaft Geld einsammelte. Zu diesem Zweck ließ McAuliffe sein neugeborenes Baby samt der weinenden Gattin Dorothy im Auto zurück, um auf einer Party in Washington schnell eine Million Dollar einzuheimsen. „Dorothy tat mir leid, aber es war eine Million Mäuse für die Partei“, erklärte McAuliffe, inzwischen Gouverneur von Virginia, anschließend schulterzuckend.
Als Kathedrale von „Clintonland“ dient die Stiftung der Clintons. Sie tut gute Dinge, wozu natürlich Geld gebraucht wird. Nachdem die „New York Times“ berichtet hatte, die Stiftung funktioniere nicht richtig und sei defizitär, klingelten nicht die Kirchen-, sondern die Alarmglocken.
Die Zustände in „Clintonland“ könnten zum Wahlkampf-thema werden, ein Stolperstein hingegen sind sie wohl kaum. Schon eher dürfte es demokratische Aktivisten stören, dass Hillary außenpolitisch eine so strikte Hardlinerin ist, dass sogar Barack Obamas ehemaliger Verteidigungsminister Robert Gates – ein Republikaner – in seinen Memoiren Erstaunen über die aggressive Politik der Kollegin im State Department zum Ausdruck brachte.

2002 stand Hillary als Senatorin voll hinter George W. Bushs Einmarsch in den Irak – eine Haltung, aus der ihr Barack Obama 2008 einen Strick knüpfte. Als Außenministerin befürwortete sie eine massive Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan, begrüßte die westliche Intervention in Libyen und sprach sich für ein Eingreifen in Syrien aus.
Die demokratische Basis liebt Hillary trotzdem. Sie ist eine bekannte Größe und jetzt sogar auf den mit Volldampf fahrenden Zug gegen die grassierende soziale Ungleichheit in Amerika aufgesprungen. Erst ein Afroamerikaner, dann eine Frau: Hell leuchten da die demokratischen Augen! Wer wollte mit seiner Stimme nicht Geschichte machen? Oder der Vorsehung zu Diensten sein?

Im Lager der Republikaner, wo man sie einst inbrünstig hasste, mittlerweile jedoch zähneknirschend akzeptiert, würde Hillarys Kandidatur Nervosität auslösen. Nicht nur, dass sie eine talentierte Politikerin mit Instinkt ist. Sie treibt zudem Geld ein wie andere Leute Kühe in den Stall. Vor allem die Herzen der mehrheitlich demokratisch wählenden Amerikanerinnen würden ihr zufliegen – und möglicherweise auch ihr Spendengeld. Das ist wichtig, denn für den Wahlkampf braucht Hillary mindestens eine Milliarde Dollar.
Andererseits gäbe es für die Republikaner viel zu wühlen und zu finden im langen politischen Leben von Hillary Clinton. Etwa die Ermordung des US-Botschafters im libyschen Bengasi 2012 durch militante Islamisten. Als damals zuständige Außenministerin trage Hillary die Verantwortung für ungenügende Sicherheitsvorkehrungen, werfen ihr die Konservativen nunmehr geradezu genussvoll vor. „Was macht das jetzt schon für einen Unterschied?“, schleuderte sie ihnen bei einer Anhörung vor dem Kongress entgegen. Das stimmt wohl. Aufgewärmt wird die Geschichte trotzdem werden.

„Sie ist zu schlagen, jeder Kandidat hat Schwächen“, glaubt A. J. Spiker, Vorsitzender der Republikanischen Partei im Staat Iowa. Die republikanischen Bonzen in Washington teilen seine Meinung. Formidabel sei Hillary schon, aber als Präsidentin keineswegs unausweichlich.
Die potenzielle Kandidatin umgibt unterdessen eine Aura charmanter Gelassenheit. „Das ist so eine schwierige Entscheidung, ich werde das nicht übereilen“, sagt sie. Und das, obwohl der Weltgeist auf sie wartet.

+++ Lesen Sie hier: Das 17-Billionen-Dollar-Spiel: Einmal mehr stehen die USA vor dem Bankrott +++