Hurrikan „Irma“ in Florida: Bloß weg hier

Hurrikan "Irma" in Florida: Bloß weg hier

Eine Österreicherin besucht gerade ihre 83-jährige Mutter in Florida. Plötzlich wird klar: Hurrikan „Irma“ wird die Stadt in der sie wohnen, wahrscheinlich mit voller Wucht treffen. Silvia Skelac berichtet von vier Tagen voller Ungewissheit.

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Mittwoch

Eines war schnell klar: Der heutige Flug heim nach Österreich muss verschoben werden. Meine 83-jährige Mutter kann ich jetzt nicht alleine lassen. Hurrikan "Irma" – einer der stärksten Stürme, der je im Atlantik gemessen wurde – soll in nur wenigen Tagen in Florida aufschlagen. Am stärksten soll es die Region um Miami treffen, also auch die Küstenstadt Fort Lauderdale. Unser Haus seht in zweiter Reihe am Strand, nur 70 Meter vom Meer entfernt.

Donnerstag

Die große Frage: Versuchen wir wegzukommen oder bleiben wir in Fort Lauderdale? Zu dem Zeitpunkt wurde prognostiziert, dass der Hurrikan am Samstagnachmittag an der Ostküste auftreffen soll. Bleiben hieße für uns, in eines der sogenannten Shelter zu flüchten. In Broward County, unserer Region, leben etwa 700.000 Einwohner, in den Unterkünften war höchstens Platz für etwa 30.000 Menschen.

Zusätzliche Züge oder Busse hat es in dieser Ausnahmesituation keine gegeben. Die meisten Flüge gingen von Miami weg, von Fort Lauderdale gab es nur wenige zusätzliche Maschinen. Ab Freitag wurden ohnehin alle Flughäfen gesperrt. Man war auf sich allein gestellt. Wäre meine Mutter alleine gewesen, sie wäre wahrscheinlich zu den Nachbarn geflüchtet und hätte die Tage im Hauseingang oder im Einbaukleiderschrank mit einer Matratze über dem Kopf verbracht. Alleine hätte sie das nicht verkraftet.

Als wir losgefahren sind, wussten wir nicht, ob wir nach dem Hurrikan noch ein Haus haben werden.

Schnell stand fest, wir hauen ab. Das Haus wurde gesichert; die Fenster und Türen haben wir mit Läden dicht gemacht, etwa zehn Müllsäcke haben wir mit Rindenmulch gefüllt und vor die Eingänge gelegt. Draußen habe ich versucht, alles so gut wie möglich festzubinden. Die wichtigen Papiere und Fotoalben haben wir entweder mitgenommen oder in Sicherheit gebracht – also weg vom Boden und ganz oben in den Schränken verstaut. Dann ging es los.

Als wir losgefahren sind, wussten wir nicht, ob wir nach Hurrikan "Irma" noch ein Haus haben werden. Ich habe mir schon überlegt, was ich dann bloß mit der Mama machen soll.

Wir waren nicht die einzigen, die sich auf den Weg machen wollten. Ein freies Zimmer im Norden Floridas zu finden, war nicht einfach. Die Hotels waren größtenteils ausgebucht. Auf Buchungsplattformen wie booking.com oder Expedia.at kam im Minutentakt nur eine einzige Meldung: „Das letzte Zimmer wurde gerade gebucht.“ Wir buchten ein freies Apartment in Destin, einer kleinen Stadt Nahe der Grenze zu Alabama; exakt 1000 Kilometer weg von Fort Lauderdale. Die Stadt liegt zwar am Strand, aber so weit im Norden, dass wir dort hoffentlich sicher sind.

Freitag

Am Freitag ging es dann um 6 Uhr morgens los. Die ersten Probleme taten sich bald auf: An den Tankstellen gab es fast kein Benzin mehr zu kaufen, das Wasser in den Supermärkten war nahezu aus. Schnell noch zu McDonalds. Hier zeigte sich ein schräges Bild: Die Menschen arbeiteten ganz normal weiter. Auch an den Kassen in den Supermärkten und den Tankstellen. Ich dachte mir: Wieso fahrt ihr nicht weg von hier?

Um Staus zu vermeiden, wählten wir nicht die Hauptroute, sondern eine kleinerer Route durch die Mitte des Landes.

Wir hatten noch Glück. Am Freitag wurde dann eine Ausgangssperre für die Region um Fort Lauderdale und Miami verhängt. Da geht dann nichts mehr, da sind alle Geschäfte, Restaurants und Tankstellen zu, niemand darf sich mehr draußen aufhalten. Es herrschte Lebensgefahr. Die Ausgangssperre wurde erst am Montag wieder aufgehoben.

Um Mitternacht kamen wir nach 16 Stunden in Tallahassee, im Norden Floridas, an. Nachdem wir nirgends Benzin bekommen konnten, schliefen wir, wie zahlreiche andere Menschen auch, für ein paar Stunden im Auto auf einem Hotelparkplatz. Die Hotels waren alle voll. Dort konnten wir wenigstens auf die Toilette gehen.

Samstag

Um 4 Uhr wachte ich auf, etwas in Panik, mein erster Gedanke war: Bloß raus hier, bevor alle anderen auch losfahren. Der Highway war nämlich die ganze Nacht ein einziger Stau. Richtung Destin wurde es besser, nach weiteren vier Stunden kamen wir um etwa 9 Uhr in der kleinen Stadt an.

Mittlerweile hatte sich der Hurrikan gedreht. So wie es aussieht, werden wir noch ein Zuhause haben, wenn wir wieder heimkommen. Schlimm sieht es für die Menschen an der Westküste aus. Man hatte zu spät erfahren, dass der Hurrikan nun hier auftreffen wird. Für viele war es für eine Flucht zu spät. Auch hier gab es fast keinen Benzin mehr, die Gefahr in einen Stau zu geraten und kein freies Hotel mehr zu finden, war für viele einfach zu groß.

Sonntag

Auch im Norden Floridas herrscht ein böiger Wind. Bäume und Stromkabel liegen auf den Straßen. Aber jetzt erst einmal etwas schlafen.

Montag

Am Montag gab es für Fort Lauderdale neue Tornado-Warnungen. Wir haben wieder um unser Haus gebangt. Laut unseren Nachbarn gab es bei uns aber keine Überschwemmungen.

Wann es wieder nach Hause geht, wissen wir noch nicht. Alle wollen wieder heim, überall gibt es Überflutungen, Brücken sind ausgefallen. Jetzt heißt es erst einmal abwarten, hoffen und dankbar sein. Abwarten bis alles vorbei ist, hoffen, dass der Sturm hier vorbei zieht und dankbar sein, dass unser Haus noch steht.