Israel und Palästina

Israel und Palästina: 10 Fragen und Antworten zum Nahost-Konflikt

Aktuell. 10 Fakten zum Nahost-Konflikt

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1. Wie hat der Nahost-Konflikt begonnen?

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand der Zionismus, der einen eigenen Nationalstaat für die Juden im „Gelobten Land“, also in Palästina, forderte. Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Europa und die damit einhergehende Judenverfolgung stieg die jüdische Einwanderung plötzlich sprunghaft an, wurde von den Palästina im Auftrag des Völkerbunds verwaltenden Briten aber vorerst noch, teils mit Gewalt, zurückgedrängt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wuchs die internationale Unterstützung für die zionistische Bewegung und Ende 1947 beschloss die UN-Generalversammlung die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Der Großteil der Juden gab sich mit der Resolution zufrieden, die Araber lehnten den „Landraub“ jedoch ab.

Dennoch war es am 14. Mai 1948 soweit und Israels erster Premier, David Ben Gurion, verlas die Unabhängigkeitserklärung. Noch in derselben Nacht erklärten Ägypten, Syrien, Jordanien, der Libanon, der Irak und Saudi-Arabien Israel den Krieg. 15 Monate später war der „Israelische Unabhängigkeitskrieg“ entschieden und Israel hatte sein ursprüngliches Staatsgebiet deutlich vergrößert.

Über 60 Jahre und sechs weitere Kriege später ist die Lage weitgehend unverändert.

2. Welchen Hintergrund hat die aktuelle Eskalation im Gazastreifen?

Die israelische Armee fliegt seit etwa zwei Wochen massive Luftangriffe, um den Abschuss palästinensischer Raketen auf Israel zu stoppen. Die israelische Zeitung „Haaretz“ sprach am Mittwoch von über 1.800 Luftangriffen seit Beginn der Aktion. Mittlerweile scheint auch eine Bodenoffensive immer wahrscheinlicher zu werden, Bewohner des östlichen Gazastreifens wurden bereits dazu aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Nach Angaben palästinensischer Hilfsorganisationen sind durch den Beschuss bereits über 200 Menschen ums Leben gekommen, die überwältigende Mehrheit davon Zivilisten.

Die Hamas setzt ihrerseits den Beschuss Israels mit Raketen und Granaten fort, mangels ausgereifterer Technologie schlagen die meisten davon jedoch in unbewohntem Gebiet ein. 230 der insgesamt bereits über 1.200 abgefeuerten Flugkörper fing das Abwehrsystem „Eisenkuppel“ ab. Am Dienstag lehnte die Hamas eine von Ägypten vermittelte Waffenruhe ab und setzte den Beschuss fort, woraufhin auch die israelische Armee, die die Luftangriffe für einige Stunden eingestellt hatte, wieder in Aktion trat.

3. Was hat die Unruhen ausgelöst?

Auslöser der aktuellen Auseinandersetzungen war die Entführung dreier Jugendlicher im Westjordanland am 12. Juni. Israel machte die Hamas dafür verantwortlich und verhaftete hunderte Mitglieder der radikalislamischen Terrororganisation, darunter mehrere Dutzend, die erst 2011 im Zuge eines Gefangenenaustausches freigekommen waren. Die Hamas begann daraufhin mit verstärktem Beschuss Israels aus dem Gazastreifen - ihrer eigentlichen Hochburg -, Israel konterte mit Luftangriffen und die Spirale nahm ihren Lauf.

Am 26. Juni gab Israel bekannt, zwei Hamas-Mitglieder als Täter identifiziert zu haben, vier Tage später wurden die Leichen der erschossenen Jugendlichen nahe Hebron gefunden. Am 2. Juni wurde in einem offensichtlichen Racheakt ein palästinensischer Jugendlicher in Jerusalem verschleppt und bei lebendigem Leib verbrannt. Am 7. Juni gestanden drei radikale Juden die Tat und sagten, sie hätten aus Rache und Hass auf die Araber gehandelt.

4. Was ist die „Eisenkuppel“?

„Eisenkuppel“, auch unter dem englischen Begriff „Iron Dome“ bekannt, ist das seit März 2011 im Einsatz befindliche israelische Abwehrsystem für Kurzstreckenraketen. Wurde das System zu Beginn wegen seiner Kosten (israelischen Medienangaben zufolge etwa 800 Millionen Euro plus etwa 15.000 Euro pro Abschuss) und seiner vermeintlich geringen Durchschlagskraft noch heftig kritisiert, überschlagen sich Medien und Öffentlichkeit inzwischen vor Freude und Erleichterung. Derzeit sind die dumpfen Explosionen abgefangener Hamas-Raketen täglich zu hören, nach Militärangaben werden 90 Prozent der Flugkörper abgefangen. Nicht zuletzt wegen der „Eisenkuppel“ hat Israel während der aktuellen Auseinandersetzungen bislang nur einen Toten zu beklagen. Ein Faktor sind die Kosten aber nach wie vor, darum wird das System nur eingesetzt, wenn Raketen auf bewohntes Gebiet zusteuern.

5. Was sind die Gründe der neuen Eiszeit?

Die Beziehungen zwischen Palästinensern und Israelis befanden sich bereits seit Ende April in einer neuen Eiszeit. Auslöser dafür war die Versöhnung der zwei maßgeblichen Gruppen auf palästinensischer Seite, der gemäßigten Fatah von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas sowie der Hamas, die dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht. Die Fatah hat ihre Machtbasis im Westjordanland, die Hamas kontrolliert seit einem Bürgerkrieg 2007 den Gazastreifen. Die beiden Gruppen einigten sich auf die Bildung einer Übergangsregierung aus unabhängigen Experten und baldige Neuwahlen.

Israel sagte daraufhin ein geplantes Vermittlungstreffen ab, Premier Benjamin Netanyahu gab zu Protokoll, Abbas habe „die Hamas und nicht den Frieden gewählt“. Auch international sorgte die Einheitsregierung für Besorgnis und Kritik. Als weitere Reaktion genehmigte Israel Gelder für den Bau tausender neuer Wohnungen im besetzten Westjordanland. Die Ankündigung neuer Siedlungen sorgte wiederum nicht nur bei den Palästinensern, in den USA und der EU, sondern auch in Israel für Kritik. Justizministerin Tzipi Livni sprach von einem „diplomatischen Fehler“, der es noch schwieriger machen werde, die Welt gegen die Hamas zu gewinnen.

Ein weiterer Faktor ist zunehmender Druck auf die Hamas von innen. Laut dem Nahost-Experten Daniel Levy muss die Hamas „ihre rechte Flanke“ gegenüber langsam auch in Gaza erstarkenden islamistischen Gruppen wie der IS stärken, wie er dem „Standard“ sagte.

6. Wie steht es um die Siedlerfrage?

Insgesamt leben etwa 600.000 israelische Siedler in von der Armee bewachten Wohnanlagen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem. Die Palästinenser und die internationale Gemeinschaft betrachten diese Siedlungen als völkerrechtswidrig, da Staaten laut Genfer Konvention keine eigene Zivilbevölkerung in besetzte Gebiete umsiedeln dürfen. Israel sagt wiederum, das im Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberte Westjordanland sei zuvor kein eigener Staat gewesen und das gleichfalls 1967 besetzte Ost-Jerusalem sei mittlerweile Teil des vereinigten Jerusalem.
Für die Palästinenser ist jeder weitere Ausbau der Siedlungen ein rotes Tuch, da sie realistischerweise nicht damit rechnen können, besiedelte Gebiete im Falle einer Einigung auf die Zwei-Staaten-Lösung zugeschlagen zu bekommen. Mit jeder neuen Wohneinheit schwindet also ihr potenzielles Staatsgebiet. Neben der Verweigerung des Existenzrechts Israels durch radikale Palästinenser gilt die israelische Siedlungspolitik als größtes Hindernis auf dem Weg zum Frieden.

7. Was tut die internationale Gemeinschaft?

Vereinte Nationen, USA und EU riefen beide Seiten zur Mäßigung und zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Neben der Einbindung der Hamas in die Einheitsregierung auf palästinensischer sowie der neuerlichen Siedlungsinitiative auf israelischer Seite sorgt vor allem die fortgesetzte Bombardierung des Gazastreifens für Kritik. "Das Ausmaß der menschlichen Opfer und der Zerstörung in Gaza ist wirklich immens", teilte etwa das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) mit. Human Rights Watch warf Israel „unrechtmäßige Angriffe“ und einen Bruch des Völkerrechts vor. Die Armee habe wiederholt Ziele attackiert, obwohl unverhältnismäßig viele Zivilisten gefährdet worden seien. Zu diesem Problem trägt freilich auch bei, dass die Hamas die Zivilbevölkerung dazu aufgefordert hat, sich als menschliche Schutzschilde zur Verfügung zu stellen und sich bevorzugt in dicht besiedelten Gebieten verschanzt.

8. Was versteht man unter der Zweistaatenlösung?

Kurz gesagt: Die friedliche Koexistenz eines israelischen und eines palästinensischen Staates als – von so gut wie allen Seiten favorisierte - finale Lösung des Nahost-Konflikts. Der palästinensische Staat soll die 1967 von Israel besetzten Gebiete des Westjordanlandes und des Gazastreifens umfassen.

9. Welchen Staus soll Jerusalem bekommen?

Die Palästinenser und auch der internationale Konsens sehen Ost-Jerusalem als Teil des palästinensischen Staates, Israel hat Jerusalem jedoch bereits 1980 zur ewigen und unteilbaren Hauptstadt erklärt. Sollte es eines Tages tatsächlich zu ernsthaften Verhandlungen über die Zweistaatenlösung kommen, wird das Schicksal der heiligen Stadt dreier Religionen also einer der heikelsten Punkte.

10. Wie geht es weiter?

Das ist schwer vorauszusagen. Momentan liegen die Hoffnungen wieder einmal auf Ägypten, das bereits in der Vergangenheit immer wieder Waffenstillstände vermitteln konnte, zuletzt etwa 2012. Der große Unterschied: Die damals regierende Muslimbruderschaft unter Präsident Mohammed Mursi unterhielt enge Kontakte zur - ursprünglich aus der ägyptischen Muslimbruderschaft heraus entstandenen - Hamas.

Heute ist die Lage eine andere, Präsident Abdel Fattah al-Sisi lässt nicht nur Muslimbrüder in Ägypten gnadenlos verfolgen, sondern steht auch der Hamas äußerst reserviert gegenüber. Er betrachtet die Terrororganisation als Risikofaktor für die Sinai-Halbinsel und wirft ihr die Unterstützung in Ägypten operierender Terrorgruppen vor. In diesem Zusammenhang verwunderte es wenig, dass die Hamas die von Ägypten vermittelte Waffenruhe abgelehnt hat.

Dennoch soll Palästinenser-Präsident Abbas am Donnerstag in Kairo mit al-Sisi zusammentreffen, um über einen Waffenstillstand zu verhandeln. Ob die Hamas dabei mitspielt, ist allerdings fraglich.

Eine andere Initiative kam am Mittwoch aus Frankreich. Außenminister Laurent Fabius schlug eine europäische Unterstützungsmission an den Grenzübergängen zwischen Israel und dem Gazastreifen vor, von der sich Paris einen dauerhaften Waffenstillstand erhofft. Eine solche Mission gab es bereits zwischen 2005 und 2007, doch ob sie diesmal für Frieden sorgen kann, steht aufgrund der festgefahrenen Positionen in den Sternen.

Mit Dank an die Kollegen von News.at