Ist diese Statue sexistisch?

Im süditalienischen Sapri wurde eine Bronzefigur enthüllt - jetzt diskutiert das ganze Land darüber.

Drucken

Schriftgröße

Sie trägt ein enges, transparentes Kleid. Neckisch blickt sie nach hinten. Es wirkt, als würde sie auf einem Laufsteg posieren. Ob Feldarbeiterinnen Mitte des 19. Jahrhunderts so ausgesehen haben?

Wohl kaum. Die heiße Sonne hätte ihnen die Schultern verbrannt, ständig wären die locker sitzenden Haare ins Gesicht gefallen. Ölmalereien aus jener Zeit zeigen, dass sich Feldarbeiterinnen gänzlich anders gekleidet haben: Kopftuch, lange Ärmel und Röcke. Mit gekrümmten Rücken standen sie auf den Feldern Europas.

Der italienische Künstler Emanuele Stifano entschied sich für eine erotischere Darstellung. Das Resultat wurde im kleinen Örtchen Sapri in Süditalien enthüllt. Seitdem spottet das Internet, die Frau habe Ähnlichkeit mit der US-amerikanischen Influencerin Kim Kardashian.

Dabei soll die Statue eigentlich eine Widerstandskämpferin darstellen. Es handelt sich um eine literarische Figur aus einem Gedicht des italienischen Poeten Luigi Mercantini. "Die Ährenleserin aus Sapri" erzählt von der Zeit des Risorgimento, also der Einigung Italiens. Im Jahr 1857 kam der Guerillakämpfer Carlo Pisacane nach Sapri, um einen Aufstand gegen das Adelsgeschlecht der Bourbonen anzuführen. Die Ährensammlerin legte ihre Arbeit auf dem Feld nieder, um sich seinen Truppen anzuschließen.

Der Umstand, dass sie vor einer Gruppe Männer enthüllt wurde - anwesend war auch der ehemalige Ministerpräsident Giuseppe Conte - hat eine Sexismus-Debatte ausgelöst. Monica Cirinnà, Senatorin der Partito Democratico, schrieb auf Twitter: "Eine Ohrfeige für die Geschichte und die Frauen, die immer noch nur sexualisierte Körper sind."

Ist die Empörung angebracht? Gehören erotische Büsten in Italien nicht zum Kulturerbe? Man denke an die Statuen der Renaissance, an den nackten David von Michelangelo oder Akte von Frauen, die ihre Brüste entblößen.

So rechtfertigt sich jetzt auch der Künstler Emanuele Stifano. Er stelle Menschen am liebsten nackt dar, ganz egal, ob männlich oder weiblich. Es gehe um nicht um eine Bäuerin aus dem 19. Jahrhundert, sondern um die Idealvorstellung einer Frau.

Genau das ist aus Sicht der Kritikerinnen und Kritiker das Problem. Denn während Männer meist heroisch, voller Tatendrang oder zumindest selbstbestimmt dargestellt werden, ist das bei Frauen auch im 21. Jahrhundert nicht immer der Fall. Warum reckt die Ährenleserin nicht ihre Faust in die Luft? Und warum ist es so wichtig, dass das Kleid einer Revolutionsheldin am Gesäß scheinbar durchsichtig ist? Der Bürgermeister von Sapri will die Statue auf keinen Fall abreißen lassen. "Ich denke, Sexismus liegt im Auge des Betrachters und nicht im Objekt", sagt Antonio Gentile in einem Interview mit dem deutschen Sender "ntv". Er hofft jetzt, dass sie den Tourismus ankurbelt.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.