Sebastian Hofer mit Reisegruppe

Mein schönstes Massentourismus-Erlebnis

Von den Seychellen bis Österreich und Japan: profil-Redakteurinnen und -Redakteure erzählen von ihren Reiseerlebnissen.

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Wow, Spittelau!

Aus Gründen, die sich heute schwer nachvollziehen lassen, habe ich vor zehn Jahren einmal drei Tage mit 21 taiwanischen Touristen (siehe Bild), einer taiwanischen Reiseführerin namens Sally und einem ungarischen Busfahrer verbracht. Es war sehr schön, ich habe viel gelernt: Man kann ganz Österreich locker in 72 Stunden bereisen, wird dabei sogar Mozarts Geburtshaus, den Wolfgangsee und Schloss Schönbrunn sehen, allerdings jeweils nur von außen. Von innen sieht man etliche Chinarestaurants, denn das local food ist Taiwanern zu salzig. Ein österreichisches Nationalgericht heißt Spare Ribs. Die schönste Sehenswürdigkeit des Landes ist die Müllverbrennungsanlage Spittelau. Und Hallstatt? „Hallstatt sieht aus wie eine Postkarte aus dem Himmel.“ (Sally) Sebastian Hofer, Gesellschaft

Die vielen Koffer des Mister Wu

Mister Wu kann sich das Hotel auf den Seychellen leisten. Vor zehn Jahren wäre das nicht möglich gewesen. Aber jetzt gehört Mister Wu der wohlhabenden chinesischen Mittelschicht an. Mister Wu hat ein Dutzend Verwandte mitgebracht. Vielleicht sind es auch nur Freunde. Leider können wir ihn nicht fragen. Denn Mister Wu redet nicht mit uns. Vielleicht liegt es nur an seinen und unseren fehlenden Sprachkenntnissen. Aber darauf würden wir nicht wetten.

Denn Mister Wu grüßt uns auch nicht. Mister Wu hat auch viele Koffer mitgebracht. Diese Koffer sind wahrscheinlich nicht mit Kleidung gefüllt. Denn Mister Wu trägt nur kurze Hosen, T-Shirts und Flip-Flops. In den Koffern befindet sich viel Essen. Denn Mister Wu bringt zu den Mahlzeiten immer seine eigenen Nudelgerichte sowie eine große Anzahl von Saucenflaschen und Gewürzstreuern mit. Und Becher, Stäbchen und Löffel. Vielleicht heißt Mister Wu gar nicht Mister Wu. Meine Kinder haben ihn so genannt, weil er uns seinen Namen ja nicht nennen will. Das Hotel auf den Seychellen gehört übrigens einem Araber, der angeblich aus den Emiraten stammt. Er hat seine eigenen Pferde, Schildkröten und verschleierte Frauen mitgebracht. Sicher auch einige Koffer mit Essen. Ja, der Tourismus ist sehr weltläufig geworden. Christian Rainer, Herausgeber

Christian Rainer auf den Seychellen, August 2015

Speed-Dating mit Dachstein

Dass man sich im Zug von Attnang-Puchheim Richtung Hallstatt fühlt wie in einer Vorortelinie von Shanghai, ist nicht ungewöhnlich - die Waggons sind voll mit übermüdeten Asiaten. An diesem Freitagnachmittag stachen zwei junge Männer trotzdem heraus. Sie hatten für den Rest des Tages noch viel vor: "Ins Hotel, zum Salzbergwerk und dann eine Skitour auf Dachstein." Leise Zweifel des Einheimischen an diesem Zeitplan und Hinweise auf diverse Öffnungszeiten wurden ebenso weggewischt wie der Rat, zumindest den Gipfelsturm auf Samstag zu verschieben: "Da sind wir schon in München." Martin Staudinger, Ausland

Schilderbürger

Fast vier Mal so viele Touristen wie noch vor zehn Jahren besuchen Japan. Und sie benehmen sich anscheinend ziemlich daneben. Mit Hinweisschildern versucht man allerorts, sie über angemessenes Verhalten aufzuklären. So scheint es nicht nur nötig zu sein, Besucher zu ermahnen, die Finger von Geishas in der Altstadt von Kyōto zu lassen. Auch ist es anscheinend nicht selbstverständlich, sich nicht im knappen Manga-Kostüm vor dem liegenden Buddha nahe Fukuoka ablichten zu lassen oder seinen Namen in einen Baum des Bambuswaldes von Arashiyama zu ritzen. Aber zumindest wenn es um das perfekte Foto geht, wird dann doch artig in der Schlange gestanden. Es gibt noch Hoffnung. Ines Holzmüller, Online

Ein mühsamer Giro d'Italia

Es sollte die Krönung einer Fahrradtour durch Istrien sein: Vor einigen Jahren blickte ich auf die Karte und dachte: Venedig, wo ich noch nie war, ist ja gleich um die Ecke. Also per Fähre von Rovinj nach Venedig. Vom Hafen aus lag die Herberge am anderen Ende der Altstadt. Ich wollte zuerst einen Vaporetto nehmen, einen Wasserbus - aber die befördern keine Fahrräder. Also wuchtete ich Fahrrad samt Gepäck durch die Stadt. Schmale Brücken, Treppen, Gehsteige. Unbeschreibliches Gedränge. Fahrräder seien in Venedig verboten, herrscht mich ein Einheimischer an, selbst das Schieben! Ein Zweiter rät, ich möge achtgeben vor der Polizei. Wie ein schwer bepackter Einbrecher, dem jeder Fluchtweg versperrt ist, drückte ich mich durch die Massen. Bis ich mein Ziel erreichte. Immerhin straffrei. Joseph Gepp, Wirtschaft

Mein einsamer Strand

Wenn wir schon mal da sind, meinte Thomas, sollten wir unbedingt Ko Phi Phi und "The Beach" besuchen - ganz entspannt, mit einem Ausflugsboot. Als Erstes ging es auf eine unbewohnte Insel. Am Strand lagen sechs Motorboote. "The Beach", der zweite Stopp, war so überfüllt, dass wir gar nicht daran dachten, auszusteigen. Und auf Ko Phi Phi quetschte man uns mit ungefähr 500 anderen Touristen in eine riesige Halle, in der wir abgefüttert wurden, ohne Zeit für einen Spaziergang durch den Ort zu haben. Das Beste an diesem Tag war: im Hotelzimmer anzukommen und nur zu zweit zu sein. Das noch Bessere ist: dass "The Beach" vorübergehend für Touristen gesperrt wurde. Elfi Puchwein, Fotoredaktion

"The Beach" in Thailand

Massentouristen gegen Massentourismus

Venedig zu Pfingsten. Ökologisch per Nachtzug (13 Stunden im Sitzabteil, da Liegeplätze vergeben) angereist. Linienboote verkehren nicht, da die traditionelle Regatta mit Ruderbooten stattfindet. Dafür geraten wir in einen Demonstrationszug von Hunderten Personen gegen die Einfahrt der Kreuzfahrtschiffe in die Lagune. Wir erfahren, dass jede Einfahrt der Kreuzer nach Venedig 10.000 Euro für die Hafenbehörden bringt. Die seit 30 Jahren geforderten Anlegepiere außerhalb der Lagune fehlen bis heute. „No grandi navi“ steht auf den Transparenten. Touristen wie wir applaudieren. Otmar Lahodynsky, Innenpolitik

Niagarafails

Im prädikatsüchtigen globalen Reisezirkus ist ja schnell einmal etwas ein Naturwunder. Das „donnernde Wasser” im amerikanisch-kanadischen Grenzgebiet hat die Bezeichnung wirklich verdient. Aber wenn ich an meinen Abstecher zu den rund 100 Kilometer südlich von Toronto herabstürzenden Niagarafällen denke, fallen mir als Erstes diese durchsichtigen, schlumpfblauen Wegwerf-Regenponchos ein. Mit Kapuze. In dieser bizarren Aufmachung drängen sich die Ausflügler auf den Aussichtsplattformen der Boote, die nahe an den gewaltigen Wassermassen durch einen gigantischen Sprühnebel schippern. Und ich, ein eingepferchter Touristenschlumpf, mittendrin. Edith Meinhart, Innenpolitik

Selfies vor dem Todesblock

Die Massen klappern die Stationen auf dem Gelände von Auschwitz ab. Die Handys wie an den Fingern angewachsen, gestreckte Arme, wie magnetisch dahingezogen. Auslösegeräusche, unaufhörlich. Klick. Klick. Klick. Das gespenstisch Große von Auschwitz auf flimmernde Miniaturdisplays gebannt. Die Selfies vor dem Block 11, dem sogenannten Todesblock, in dem Prügelstrafen, das Pfahlbinden und Erschießungen exekutiert wurden. Die pervertierte Maximierung der Erinnerung. Kinder spielen mit Holzsplittern der morschen Eisenbahnschwellen an der ehemaligen Selektionsrampe, kicken Steine, als wären es Minifußbälle, unbeaufsichtigt von Eltern in Muskelshirts und Tattoos in Ärmellänge. Auschwitz ist ein Ort, an dem schwer Vereinbares zusammenfällt. Schaulust und Verbrechen. Bedrohliches und Lächerliches. Das Aufmarschgebiet von mehr als einer Million Touristen pro Jahr – und Platz stillen Gedenkens. Wolfgang Paterno, Kultur

Man spricht nur Deutsch

Sie wollen Ihre Fremdsprachenkenntnisse auffrischen? Halten Sie sich lieber von Grado fern. Jeglicher Versuch, Pizza, Pasta und Gelato auf Italienisch zu bestellen, wird in der kleinen Adriastadt am Golf von Venedig beinhart abgeschmettert. Hier wird Deutsch gesprochen, capisce!? Jedes Jahr in den Sommermonaten verwandelt sich die durchaus pittoreske Stadt zur Österreich-Enklave, in die sich auch einige Deutsche, Holländer und Belgier auf Campingtour verirren. Merke: Italien ist anderswo - und zum Glück ist Triest einfach zu erreichen. Philip Dulle, Online

Seltenes Bild: Ein einsamer Strand in Grado, August 2017

Es muss nicht der Triumphbogen sein

Als ich zu meiner Studentenzeit ein paar Jahre in Paris lebte, bewahrte ich eines Tages eine Schwedin namens Anna davor, als typische Massentouristin den Arc de Triomphe zu besichtigen. Ich wohnte damals ums Eck von der Porte Saint-Martin, einem Triumphbogen ähnlich dem berühmten Bauwerk an der Place de l’Étoile. Um Zeit, Mühe und Geld zu sparen, führte ich Anna zur Porte Saint-Martin und behauptete, das sei der Arc de Triomphe. Anna sagte zwar, sie habe ihn sich größer vorgestellt – die Porte Saint-Martin ist tatsächlich nicht mal halb so hoch wie der Triumphbogen –, doch sie zog ihre Kamera hervor, und die Sache war erledigt. Danach setzten wir uns an den Canal Saint-Martin und beobachteten die Schiffsschleusen. Als Anna mir später auf die Schliche kam, war sie ein wenig sauer, aber nur kurz. Robert Treichler, Ausland

Seitengassenabenteuer

Ich habe das heillos überlaufene, eitel herausgeputzte Salzburg lange gehasst, bis ich eine Lektion gelernt habe: Das Problem sind nicht die anderen. Übertourismus muss man als Herausforderung begreifen, seine Sinne zu schärfen und die abgetretenen Pfade zu verlassen. Also: Raus aus dem Promi-Café Bazar! Der Sebastiansfriedhof liegt zentral und ist doch einer der ruhigsten Orte der Stadt. Hier sitzen Einheimische in der Mittagspause, um sich ihrer Jause zu widmen. Das ist so morbid, dass der Zentralfriedhof glatt neidisch werden könnte. Gleich um die Ecke, wo Touristenbusse parken, liegt für mich die schönste Kirche, in die sich garantiert kein Tourist verirrt: St. Maria Loreto samt Kloster, in dem man sich – hinter schweren Gittertüren, die sich öffnen – mit dem Jesukindlein aus Elfenbein segnen lassen kann. Eine Inszenierung, die Festspiel-Niveau hat. Karin Cerny, Kultur

Die Titelgeschichte: Der böse Tourist

Das Reisen ist in Verruf geraten. Als Massentouristen werden wir alle zur gravierenden Belastung: für das Weltklima, die Umwelt und nicht zuletzt die einheimische Bevölkerung an besonders beliebten Destinationen. Was getan werden muss, um uns einzubremsen – und warum wir trotzdem nicht zu Hause bleiben sollten, lesen Sie in der profil-Titelgeschichte 29/2019.