Imran Khan am vergangenen Montag bei einem Gerichtstermin in Lahore
Interview

Pakistans Ex-Premier Khan: "Sie wollen mich unbedingt umbringen"

Imran Khan, der gestürzte Premierminister Pakistans, rechnet mit seiner baldigen Verhaftung und sagt, er wolle weiter für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kämpfen.

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Imran Khan, 70, war Premierminister Pakistans, bis er im April 2022 durch ein Misstrauensvotum des Parlaments abgesetzt wurde. Als ehemaliger internationaler Cricket-Star ging Khan 1996 in die Politik und gründete die Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit). Im Jahr 2018 gewann die PTI die Parlamentswahlen, und Khan bildete eine Koalitionsregierung. Gegen ihn wird derzeit wegen zahlreicher Vorwürfe ermittelt, die er als politisch motiviert bezeichnet. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass er die Macht aufgrund eines Zerwürfnisses mit der Armee verloren hat, die seit jeher Pakistans Machtzentrum darstellt.

Wie ist Ihre rechtliche Situation im Moment – stehen Sie unter Hausarrest?
Imran Khan
Ich bin in meinem Haus in Lahore. Ich wurde nicht wirklich unter Hausarrest gestellt, aber die Polizei steht vor der Tür und kontrolliert, wer ein- und ausgeht. Abgesehen von einigen Anwälten und Leuten, die mir nahestehen, kommt niemand, um mich zu sehen. Mitarbeiter meiner Partei, Unterstützer oder Parlamentsmitglieder würden sofort verhaftet werden. Ich bin also ziemlich isoliert.
Rechnen Sie damit, dass Sie in naher Zukunft verhaftet werden?
Khan
Ja, ich denke schon. Es gibt über 170 Verfahren gegen mich, und jeden Tag kommen neue hinzu. Bedenken Sie, dass ich bis zu meinem 70. Lebensjahr nicht ein einziges Strafverfahren hatte. Ich rechne also damit, dass sie mich verhaften werden, weil sie entschlossen sind, mich noch vor den Wahlen ins Gefängnis zu bringen. Sie wissen aus allen Meinungsumfragen, dass meine Partei die Wahlen mit einem Erdrutschsieg gewinnen wird, also wollen sie mich daran hindern, Wahlkampf zu machen.
Wer sind "sie"?
Khan
Die Leute, die an der Macht sind – die Koalitionsregierung, die vom militärischen Establishment unterstützt wird.
Als Sie das letzte Mal verhaftet wurden, gab es zivile Unruhen. Ihre Anhänger griffen das Generalhauptquartier der Armee an. Glauben Sie, dass so etwas wieder passieren wird?
Khan
Damals wurde ich entführt. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass es keine rechtmäßige Verhaftung war, und deshalb wurde ich freigelassen. Es war eine Kommandoaktion. Sie verprügelten die Anwälte und das Personal des Obersten Gerichtshofs. Das war der Auslöser für die Unruhen. Aber die Brandstiftungen hatten nichts mit uns zu tun. 27 Jahre lang war meine Partei nie in Brandstiftungen oder Gewalt verwickelt. Selbst als ich erschossen wurde, gab es keine Gewalt. Wir glauben, dass dies geplant war, um meine Partei zu zerstören. 10.000 unserer Mitarbeiter wurden innerhalb von 48 Stunden ins Gefängnis gesteckt.
Werden die Wahlen im Oktober stattfinden?
Khan
Sie werden nur dann im Oktober stattfinden, wenn das Establishment glaubt, dass meine Partei so geschwächt ist, dass sie nicht konkurrenzfähig ist. Die Leute, die mich abgesetzt haben, wollen mich nicht wieder an der Macht sehen.
Falls Sie und Ihre Partei nicht zu den Wahlen antreten können – wozu werden Sie aufrufen?
Khan
Es ist nicht möglich, die Partei zu verbieten, aber sie werden mich auf jeden Fall ins Gefängnis stecken. Wenn sie die Wahlen nicht zur Farce machen, werden sie den Sieg meiner Partei nicht verhindern können, selbst wenn ich im Gefängnis sitze.
Sie haben kürzlich gesagt, dass Sie, als Sie an der Macht waren, es nicht geschafft haben, dass auch für die Mächtigen die Rechtsstaatlichkeit gilt. Ich nehme an, Sie meinten damit das militärische Establishment. Aber am Anfang Ihrer Regierung haben Sie sich selbst auf das Militär gestützt. War das unvermeidlich oder haben Sie einen Fehler gemacht?
Khan
Lassen Sie mich das erklären: Das Militär war in Pakistan 75 Jahre lang direkt oder indirekt an der Macht. Die Abhängigkeit vom Militär war in unserer Gesellschaft tief verwurzelt. Als ich 2018 an die Macht kam, hatte ich keine Unterstützung der Armeeführung, aber sie hat auch nicht gegen mich gearbeitet. Im Moment arbeitet das militärische Establishment daran, mich zu untergraben. Seit wir nicht mehr an der Macht sind – und obwohl das Militär gegen uns arbeitet – haben wir immer noch 30 von 37 Nachwahlen gewonnen. Die nächste Frage ist: Was ist die Rolle des Militärs? Im Laufe der Zeit muss sich das Land so weiterentwickeln, dass es nicht sein kann, dass ein gewählter Premierminister zwar die Verantwortung für die Führung des Landes trägt, aber keine Autorität. Was passiert mit Ländern, in denen es keine Rechtsstaatlichkeit gibt? Sie werden zu Bananenrepubliken, und es gibt keinen Wohlstand. Diese Länder werden immer ärmer. Eine Folge davon ist die Migration, die Sie in Ihren Ländern erleben. In Pakistan trifft der Armeechef die Entscheidungen. Er wollte nicht, dass ich die Mächtigen unter das Gesetz zwinge. Und so bin ich gescheitert.
Warum glauben Sie, dass Sie Erfolg haben werden, wenn Sie wieder gewählt werden?
Khan
Nun, meine Regierung war eine schwache Regierung, eine Koalitionsregierung mit einer sehr kleinen Mehrheit. Es ist unmöglich, harte Entscheidungen zu treffen, Reformen durchzuführen und vor allem: die mächtigen Mafias unter das Gesetz zu bringen. Es ist sehr einfach für sie, die Regierung zu destabilisieren. Trotz einer der besten Leistungen wurde unsere Regierung gestürzt.
Sehen wir uns die Bilanz Ihrer Regierung an: Es gab viel Kritik von unabhängigen Medien im Ausland und von NGOs wie Human Rights Watch. Medienunternehmen wurden geschlossen, Journalisten wegen ihrer Äußerungen in sozialen Medien angeklagt... Können Sie Ihre eigene Bilanz verteidigen?
Khan
Sie müssen nur die Behandlung der Medien in den dreieinhalb Jahren meiner Regierung und in den 14 Monaten seither vergleichen: Heute sind die Medien völlig unter Kontrolle. Es gibt eine umfassende Zensur. Ich selbst bin mit einem totalen Verbot belegt. Einer unserer besten investigativen Journalisten, der unsere Regierung kritisierte, musste aus dem Land fliehen und wurde in Kenia ermordet. Sein Name war Arshad Sharif. Es gibt noch weitere Beispiele. Ein Journalist ist seit 40 Tagen verschwunden. Das ist nie passiert, als ich die Regierung führte. Es gab ein paar Fälle von Fake News in den sozialen Medien, von Anstößigkeiten, und es wurde etwas unternommen. Aber die Medien waren frei, und es gab keine Einmischung in das Justizwesen. Sie können das nicht mit dem vergleichen, was jetzt passiert.
Sie haben behauptet, dass die USA eine Rolle bei Ihrer Absetzung gespielt haben. Halten Sie das aufrecht?
Khan
In einer modifizierten Version. Am 6. März 2022 erhielt ich eine verschlüsselte Nachricht vom pakistanischen Botschafter in Washington, in der er mir mitteilte, dass er ein Treffen mit dem Unterstaatssekretär hatte. Wenn ich nicht durch ein Misstrauensvotum abgesetzt würde, hätte das Konsequenzen für Pakistan. Und am nächsten Tag wurde im Parlament ein Misstrauensvotum eingebracht. Also haben wir protestiert. Aber später fanden wir heraus, dass es einen Lobbyisten gab, der den USA erzählte, ich sei anti-amerikanisch, während der Armeechef pro-amerikanisch sei.
Besteht immer noch eine große Diskrepanz zwischen Ihren politischen Ansichten und denen der US-Regierung?
Khan
Das Problem ist, dass man, wenn man die Außenpolitik der USA kritisiert, als anti-amerikanisch gilt. Was ist passiert? Der "Krieg gegen den Terror" hat in Pakistan 80.000 Menschen das Leben gekostet. Ich war immer dagegen. Aber das ist jetzt vorbei. Dann war da noch das US-Abenteuer in Afghanistan, das natürlich zum Scheitern verurteilt war. Die Tatsache, dass ich mich kritisch dazu geäußert habe, hat die USA dazu veranlasst, mich für anti-amerikanisch zu halten.
Betrachten Sie sich als pro-westlichen Politiker?
Khan
Ich bin im Grunde ein Nationalist. Meine Hauptverantwortung sind 100 Millionen Pakistaner, die entweder unterhalb oder knapp oberhalb der Armutsgrenze leben. Und um die Armut zu bekämpfen, muss man Frieden haben. Der Dschihad und der Krieg gegen den Terror haben uns zurückgeworfen. Darunter haben wir gelitten. Während dieser Zeit hat Indien uns überholt, und sogar Bangladesch. Im Moment leidet Pakistan unter der schlimmsten wirtschaftlichen Situation der Geschichte.
Jede Regierung der Welt wird gefragt, ob sie sich der pro-westlichen Allianz gegen Russland anschließt oder nicht. Wo stehen Sie in dieser Frage?
Khan
Genau da, wo Indien steht. Es ist ein Teil der US-Koalition. Der indische Premierminister ist gerade in die USA gereist und hat eine große Anzahl von Verträgen unterzeichnet. Und dennoch hat er die größte Menge Öl aus Russland zu einem sehr günstigen Preis gekauft und handelt auch mit China. So sollte es auch sein. Ich glaube nicht, dass Länder wie wir den Luxus haben, sich einem Machtblock anzuschließen. Wir haben eine schnell wachsende Bevölkerung, 250 Millionen Menschen, unser Land steht am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Sollte es unsere Priorität sein, dieses Land zu retten, oder sollte es unsere Priorität sein, an den Konflikten anderer teilzunehmen, wenn wir sie uns nicht leisten können?
Es ist auch ein politisch schwieriger Moment. Wohin bewegt sich Pakistan jetzt? Es ist immer noch ein hybrides Regime irgendwo zwischen Demokratie und Autoritarismus.
Khan
Wir hatten drei Militärdiktaturen, wir haben mit der Demokratie experimentiert, und leider wurden die Bewaffneten in der Vergangenheit, wenn sie zurückkamen, von den Menschen mit Süßigkeiten begrüßt. Als letztes Jahr im April meine Regierung abgesetzt wurde, sind die Menschen zum ersten Mal auf die Straße gegangen, um dagegen zu protestieren. Das war einmalig und zeigt auch die Entwicklung der Demokratie. Zurzeit herrscht in Pakistan das nicht erklärte Kriegsrecht. Im Moment geschieht, was immer das Militär beschließt. Das harte Durchgreifen gegen meine Partei wurde vom militärischen Establishment beschlossen.
Sie wurden mehrmals ins Gefängnis gesteckt, Sie haben ein Attentat überlebt. Davor waren Sie einer der prominentesten Kricketspieler der Welt – haben Sie es je bereut, in die Politik gegangen zu sein?
Khan
Nein, niemals. Vor 27 Jahren, als ich in die Politik ging, war ich der bekannteste Mann in diesem Land, ich hatte alles. Ich brauchte die Politik für nichts. Als ich ein Teenager in England war, erst studierte und dann professionell Kricket spielte, wurde mir klar, dass wir ohne Rechtsstaatlichkeit in Pakistan keine Zukunft haben. In Pakistan wurden die Ressourcen von den Mächtigen gekapert, und diese Leute stehen über dem Gesetz. Sie schaffen das Geld aus dem Land. Als ich mit der Politik anfing, wusste ich, dass ich es mit diesen Mafias zu tun haben würde, und dass ich mein Leben riskieren würde. Es gab Attentatsversuche, und ich wurde ins Gefängnis gesteckt, aber ich habe das Gefühl, dass es in diesem Land noch nie vorgekommen ist, dass das Volk auf der einen Seite und das Establishment auf der anderen Seite stand. Normalerweise war die Öffentlichkeit gespalten, und deshalb sind die Mächtigen jetzt so verängstigt. Deshalb versuchen sie verzweifelt, mich zu töten. Das ist also die Antwort auf Ihre Frage: Gefängnis? Ja. Möglicher Attentatsversuch? Ja. Aber wenn wir gewinnen, werden wir zum ersten Mal eine allgemeine Demokratie in Pakistan gewinnen.

Dieses Interview ist auch auf Englisch verfügbar:

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur