PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski

Polen: Wird der rechtsautoritäre Kurs bei den Parlamentswahlen bestätigt?

In Polen will die Regierungspartei nach den Parlamentswahlen am kommenden Wochenende ihren rechtsautoritären Kurs fortsetzen. Lokalaugenschein in einem gespaltenen Land.

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Die junge Bankangestellte Dorota sieht sich erst ängstlich um, bevor sie leise ihre Meinung sagt: „Unter der gegenwärtigen Regierung haben wir weniger Freiheit als im Kommunismus.“ Beim alljährlichen Wirtschaftsforum im Kurort Krynica hilft Dorota beim Stand einer polnischen Großbank mit. „Im staatlichen Fernsehen läuft nur Propaganda für die Regierung. Und die polnische Kirche hetzt gegen Schwule und Lesben.

Sie selbst hat jahrzehntelang Missbrauchsskandale vertuscht.“ Dorota wird bei den Parlamentswahlen am 13. Oktober die neue linke Partei Wiosna (Frühling) wählen, die vom bekennenden homosexuellen Ex-Bürgermeister der Stadt Slupsk, Robert Biedroń, gegründet wurde.

Piotr dagegen, ein 35-jähriger Biologielehrer aus Torun, stimmt wieder für die rechtsautoritäre Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die das Land seit 2015 mit absoluter Mehrheit regiert. „Unsere Wirtschaft wächst am schnellsten in der EU. Und die Regierung kümmert sich um junge Familien“, sagt er. Seit diesem Monat erhält Piotr umgerechnet 120 Euro Kindergeld für seinen Sohn. Die Regierung hat die Familienbeihilfe, die früher nur für ärmere Familien ab dem zweiten Kind ausgezahlt wurde, passenderweise knapp vor den Wahlen auf alle Kinder ausgedehnt. Jüngere Polen unter 26, die nicht mehr als umgerechnet 20.000 Euro im Jahr verdienen, wurden auch von der Lohnsteuer befreit. Pensionisten wurde ein 13. Monatsbezug in Aussicht gestellt. Auch der Mindestlohn soll angehoben werden. Verständlich, dass die PiS-Partei des 70-jährigen Vorsitzenden Jarosław Kaczyński in allen Umfragen mit 45 Prozent Zustimmung führt. „Unser Ziel ist der Aufbau einer polnischen Version des Wohlfahrtsstaates“, erklärte Kaczyński, Zwillingsbruder des 2010 bei einem Flugzeugabsturz umgekommenen Präsidenten Lech, vor einer Woche auf dem PiS-Wahlparteitag in Lublin.

Oppositionsbündnis bei 26 Prozent

Die Bürgerkoalition (KO-PO), das größte Oppositionsbündnis, das aus der langjährigen Regierungspartei Bürgerplattform (PO) und zwei kleineren Parteien besteht, kommt nur auf 26 Prozent. Das abgeschlagene linke Bündnis kann mit 14 Prozent rechnen. Als Spitzenkandidatin der Bürgerkoalition wurde erst Anfang September die ehemalige Parlamentspräsidentin Małgorzata Kidawa-Błońska präsentiert. Sie versprach im Falle eines Wahlsieges mehr Budgetmittel für das Gesundheitswesen und will die Wahlgeschenke der PiS-Regierung nicht aufkündigen. Sie ist klar proeuropäisch eingestellt und verurteilt die Attacken der PiS, welche die EU gerne mit dem verhassten Sowjetimperium vergleicht.

Knapp vor dem Wahltermin haben drei ehemalige Staatspräsidenten in einem gemeinsamen Appell vor einem Sieg der PiS gewarnt. „Am 13. Oktober stehen bei uns keine normalen Wahlen an. Vielmehr wird sich entscheiden, ob Polen ein demokratischer Rechtsstaat sein wird oder weiter in Richtung einer autoritären Diktatur abgleitet“, heißt es in dem Schreiben, das von Lech Wałęsa, Aleksandr Kwaśniewski und Bronisław Komorowski unterzeichnet wurde.

In Polen geht der Riss mitten durch die Gesellschaft: In den Städten und im Westen des Landes dominiert die Bürgerplattform (PO), die liberale Positionen vertritt. Im Osten und vor allem auf dem Land hat die regierende PiS ihre Stammwähler. Die rechtsautoritäre Regierungspartei verfolgt einen streng nationalistischen Kurs. Dazu gehören regelmäßige Attacken auf die EU und die deutsche Regierung, von der – stets vor Wahlen – Reparationszahlungen für Kriegsschäden gefordert werden.

Im Gleichschritt mit der katholischen Kirche wurden im Wahlkampf Abtreibung und – als Hauptthema – Homosexualität verteufelt. Der Krakauer Erzbischof Marek Jędraszewski warnte im August in einer Zornpredigt vor der „regenbogenfarbigen Pest“. Die Homosexuellen würden die Freiheit Polens in gleicher Weise bedrohen wie einst die „rote Pest“, die Kommunisten. Im Gespräch mit profil bedauert der Erzbischof die Spaltung der Gesellschaft: „Seit Johannes Paul II. hat sich die polnische Kirche immer um die Einigkeit der Polen bemüht.“ Aber von Homoehe will der Kirchenführer nichts wissen. Diese sei „mit der Offenbarung unvereinbar“.

Pädophilieskandale

Die polnische Kirche wurde heuer durch Enthüllungen von Pädophilieskandalen erschüttert. Vor den Europawahlen im Mai hatte der Dokumentarfilm „Sag es bloß niemandem“, den im Internet mehr als zehn Millionen Polen sahen, das Tabu des Missbrauchs von Kindern durch Priester behandelt. Daraufhin verschärfte die Regierung die Haftstrafen. Kaczyński wetterte schon zuvor: Wer die polnische Kirche angreife, der attackiere auch den polnischen Staat selbst.

Auf dem Land finden sonntags trotz stündlich abgehaltener Messfeiern nicht alle Gläubigen Platz in den Kirchen. Die PiS- Regierung habe die Landflucht gestoppt, räumt sogar der oppositionelle PO-Abgeordnete Marek Krząkała ein. So seien die von seiner Regierung zwischen 2007 und 2015 geschlossenen Polizeistationen in vielen Dörfern unter PiS-Herrschaft wieder aufgesperrt worden. Der national-konservative Kurs wurde nicht gerade zimperlich umgesetzt. Viele Medien wurden auf Kurs gebracht; vor allem das staatliche Fernsehen lässt oppositionelle Politiker meist nur noch negativ vorkommen. Nach der Gleichschaltung vieler Medien kam die Justiz an die Reihe. Zuerst wurden unliebsame Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs durch eine Senkung des Höchstalters in Pension geschickt. Nach einer einstweiligen Verfügung des EU-Höchstgerichts, das die Unabhängigkeit der Justiz in Polen bedroht sah, mussten einige später wieder eingestellt werden.

Doch dann gerieten die Gerichte und Richtervereinigungen ins Visier der PiS-Regierung. „Sie will Macht über das gesamte Justizsystem ausüben“, kritisiert Darius Mazur von der Richtervereinigung Themis. So sei auch der für die Nominierung der Richter zuständige Landesjustizrat schrittweise unter die Kontrolle der Regierung gekommen.

Im Justizministerium in Warschau wird die Reform naturgemäß verteidigt. „Das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz war früher sehr gering“, so der Vize-Justizminister Łukasz Piebiak. Die Verfahren hätten viel zu lange gedauert und seien nicht objektiv verlaufen. Dass die EU wegen der Justizreform ein Verfahren gegen Polen nach Artikel 7 des EU-Vertrags begonnen habe, sei für ihn völlig unverständlich. Dieses Strafverfahren hat bisher zu keinem Ergebnis geführt. Und härtere Strafen wie der Entzug der Stimmrechte im EU-Parlament sind ausgeschlossen, solange das ebenfalls autoritär regierte Ungarn Beistand zugesichert hat. So wie Budapest lehnt auch Warschau die Aufnahme von Flüchtlingen ab. Nur billige Arbeitskräfte aus der Ukraine wurden ins Land gelassen.

Brüssel erwägt Kürzungen

In Brüssel werden inzwischen auch Kürzungen der üppigen Förderungen nach Polen erwogen. Das Land erhielt seit seinem EU-Beitritt im Jahr 2004 nicht weniger als 100 Milliarden Euro an diversen Förderungen aus dem gemeinsamen Geldtopf.

Die damit kofinanzierte Modernisierung Polens ist weithin sichtbar: Das Autobahnnetz wie auch Hochgeschwindigkeits-Bahnlinien wurden ausgebaut; die Wirtschaft wuchs in Polen im EU-Vergleich am schnellsten; die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Vom EU-Beitritt profitierten auch Polens Landwirte, die zuvor zu den erbittertsten Europagegnern zählten. Die Exporte polnischer Lebensmittel stiegen rasant an.

Dass in Polen die EU nur als eine Art Bankomat geschätzt werde, lässt der frühere Vizepräsident des Europaparlaments, Zdzisław Krasnodębski, nicht gelten: „Von unserem Wachstum profitierten viele EU-Unternehmen, auch aus Deutschland und Österreich.“

Doch die politische Spaltung Polens birgt Gefahren für den wirtschaftlichen Aufschwung. Gewaltakte wie die Ermordung des liberalen Danziger Bürgermeisters Paweł Adamowicz Anfang des Jahres oder zuletzt Attacken auf Teilnehmer einer LGBT-Demonstration in Lublin häufen sich. „Auch ich habe schon mehrmals Drohbriefe erhalten“, erklärt der linksliberale Bürgermeister von Krakau, Jacek Majchrowski. Dass die Justiz immer mehr politisch gesteuert wird, sei gefährlich: „Das könnte ausländische Investoren verschrecken“, warnt er.