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Polen-Wahl: Mehrheit wählte in Österreich Tusk

Rund vierzig Prozent der polnischen Staatsbürger stimmten am Sonntag in Österreich für die pro-europäische KO-Partei ab. Kamil* war einer von ihnen und berichtet von seinem Wahlsonntag.

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Ein historischer Wahlkampf geht zu Ende. Acht Jahre lang war die rechtsnationale PiS (Prawo i Sprawiedliwosc, deutsch: Recht und Gerechtigkeit) in der Regierung und machte Politik für alle außer Ausländer, Frauen und die LGBTQI+-Community. Eine neue rechte Regierung wird sich nicht ausgehen: Die PiS-Partei erreichte aktuellen Hochrechnungen zufolge 35,4 Prozent, ihr einziger rechter möglicher Koalitionspartner Konfederacja nur 7,2 Prozent. Die größte Oppositionspartei, Koalicja (Ein Parteienbündnis aus der Bürgerplattform, den Grünen und der wirtschaftsliberalen Partei Nowoczesna, deutsch: Koalition) erreichte 30,7 Prozent, die Linke (Polnisch: Lewica) 8,6 Prozent und das Mitte-rechts-Bündnis Dritter Weg (Polnisch: Trzecia Droga) 14,4 Prozent.

Wahlbeteiligung stieg um 12,63 Prozentpunkte

Beachtlich ist auch die Wahlbeteiligung: 74,38 Prozent der Berechtigten traten am Sonntag zur Urne. Während die Wahlbeteiligung in Österreich bei den Nationalratswahlen 2019 bei 75,6 Prozent lag, sind die 74,38 Prozent in Polen nicht selbstverständlich - und die höchste seit 1989. Bei der letzten Wahl 2019 stimmten nur 61,75 Prozent der Wahlberechtigten ab. Vor allem viele Frauen und Menschen unter 29 gingen dieses Mal wählen.

Kreuze, Gebete und Wahlurnen

In Österreich leben mit Jahresbeginn 2023 67.181 polnische Staatsbürger - auch hierzulande war der Ansturm auf die Wahllokale beachtlich. Der 28-jährige Kamil ist einer von ihnen. Er wählte am Sonntag in der Strohgasse im dritten Wiener Gemeindebezirk, sein Wahllokal war das Gemeindehaus einer polnischen Kirche am Rennweg. Im Saal neben der Urne hing ein großes Kreuz, auf den Wänden Fernseher, auf denen Sprüche wie “Jesus hat für dein Leben einen besonderen Plan” oder “Lasset uns für einen Frieden auf der Welt, insbesondere in der Ukraine beten”, zu sehen waren. Die Schlange draußen war lang - eineinhalb Stunden wartete er, bis er seinen ausgefüllten Stimmzettel abgeben konnte. Doch das hat laut Kamil niemanden abgeschreckt: “Es herrschte der Konsens, dass alle so lange bleiben wie nötig. Trotzdem war es sehr chaotisch”.

Neuer TikTok-Trend: Wer steht am längsten an?

Kamil wartete bereits lange, die Wahlberechtigten in Polen oder anderen Ländern mit einer großen Diaspora standen noch länger an. Auf der Kurzvideoplattform TikTok kursieren seit Sonntag Videos von Wählern, die in Polen oder in Großstädten im Ausland wählen gingen, wo sie Stunden lang vor den Wahllokalen warteten.

Jung, liberal und pro-europäisch

Zurück nach Wien. Der 28-Jährige Kamil setzte sein Kreuz neben Aleksandra Gajewskas Namen. Sie ist Politikerin der Bürgerplattform - also der Partei von Donald Tusk, dem ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rats. “Einerseits vertritt sie dieselben Werte wie ich, andererseits ist sie genau das, was Polen derzeit braucht”, so Kamil. Damit meint er: Pro-europäisch, jung und liberal. 

In Österreich erzielte die Bürgerplattform 40,97 Prozent der Stimmen, PiS allerdings nur 20,92. Klar ersichtlich ist: Die polnische Diaspora wählt linker als die türkische. Wir erinnern uns an die türkische Präsidentschaftswahlen im Mai diesen Jahres, bei der die Stichwahl zwischen Recep Tayyip Erdoğan und Kemal Kılıçdaroğlu anders ausfiel: Hier stimmten fast 74 Prozent der Austro-Türken für Erdogan ab, während er in der Türkei nur 52,14 Prozent erreichte.

Was dieses Wahlergebnis für Polen, Österreich oder die EU bedeutet

Die Wahlbeteiligung und das Ergebnis verdeutlichen, dass Polen keine Lust mehr auf die PiS-Partei hat. Junge Menschen wie Kamil sind aber auch etwas skeptisch: “Ich freue mich darüber, dass es nun wahrscheinlich keine rechte Regierung geben wird. Der Sieg der Opposition könnte die polnische Gesellschaft jedoch noch mehr spalten. Ich hoffe, dass das etwas ist, das durch die Eindämmung der TVP-Propaganda (Polnisch: Telewizja Polska, polnischer öffentlich-rechtlicher Rundfunk) in den nächsten Jahren zumindest ein wenig geglättet werden kann”, so der 28-Jährige. 

Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der von der Regierung nicht mehr kontrolliert wird, ist eines der vielen Versprechen des Parteien-Bündnisses KO. Das Bündnis will außerdem die Abtreibungsrestriktionen lockern, den Streit mit der EU beenden und die Justizreform, bei der die Unabhängigkeit von Richtern eingeschränkt wurde, rückgängig machen. Ob es tatsächlich zu einer Koalition aus den drei Parteien KO, Trzecia Droga und Lewica kommen wird, muss noch verhandelt werden - im Wahlkampf hatten sich jedoch alle drei Parteien dafür ausgesprochen. 

*Name von der Redaktion geändert

Natalia Anders

Natalia Anders

ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.