Morgenpost

Tusk als glücklichster Zweiter, Österreichs neuer Antisemitismus

Das voraussichtliche Wahlergebnis in Polen versprich Licht am Ende des Tunnels. Der Krieg im Nahen Osten lässt in Österreich eine neue Form von Antisemitismus entstehen.

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Polen hat am Sonntag gewählt. Und das Ergebnis hellt die ansonsten so traumatisierend-düstere Nachrichtenlage zumindest kurzfristig auf. Es sieht alles danach aus, dass die rechtspopulistischen Machthaber der Regierungspartei PiS unter der Führung von Jarosław Ka­czyńskis, die seit 2015 das Land mit eiserner Hand führen, in Zukunft auf der Oppositions-Bank ihre nationalistische Hetze betreiben werden müssen.

Der historische Treppenwitz: Laut den sogenannten „exit polls” oder Nachwahlbefragungen (in Polen gibt es nicht wie bei uns Hochrechnungen) ist die PiS zwar die stimmenstärkste Partei, verfehlt aber diesmal die absolute Mehrheit mit nur 36,8 Prozent (vor vier Jahren waren es noch 43,6 Prozent). Mit der 6,2 Prozent starken rechtsextremen Partei Konfederacja schloss die PiS schon im Vorfeld jegliche Zusammenarbeit  aus, steht also einsam ohne möglichen Koalitionspartner in der Landschaft.

„Die Demokratie hat gewonnen”, zeigte sich Donald Tusk, Chef der liberalen Koalicja Obywatelska ( übersetzt: Bürgerkoalition, die auch die Grünen und die Bauernpartei Agrounia umfasst) euphorisch, „ich war noch nie so glücklich, Zweiter zu sein.” Gemeinsam mit dem Mitte-rechts-Bündnis Dritter Weg und der Linkspartei Nowa Lewica wird sich die Luftqualität im Unterhaus Sejm deutlich verbessern. Die strammen Recht-und-Gerechtigkeit-Mannen, erschütterten Europa unter anderem mit einem radikal verschärften Anti-Abtreibungsgesetz, das im Oktober 2020 verabschiedet worden war und vorsieht, dass Frauen auch bei embryonalen  Fehlbildungen ihre Schwangerschaft austragen. Mehrere Frauen starben bereits  auf Grund dieses Gesetzes, die heftigen Proteste dagegen reißen bis heute nicht ab. 

Ein Felsengebirge der Erleichterung wird auch der 74jährigen Filmemacherin Agnieszka Holland, die jüdischer Herkunft ist, anlässlich vom Herzen gefallen sein. War sie doch in den letzten Wochen wegen ihres Filmes „Die grüne Grenze” (zu sehen auf der Viennale), der die brutalen Rückstoß -und Abschiebe-Methoden von Flüchtlingen seitens polnischer Grenzschutzpolizisten an der polnisch-belarussischen Grenze thematisiert, Ziel von Hass, Verhetzung  und verbaler Gewalt und das Opfer einer  Regierungs-gesteuerten Propagandakampagne, die wesentlich mit antisemitischen Treibstoff in Bewegung gehalten wurde. Aber auch vor Vergleichen mit dem Nationalsozialismus schreckten die polnischen Mini-Goebbels nicht zurück, die Holland wegen ihres kommunistischen Vaters als Putin-Handlangerin diffamiert hatten.  So twitterte Justizminister Zbigniew Ziobro im September, als der Film den Spezialpreis der Jury beim Filmfestival in Venedig bekam: „Während des Dritten Reichs produzierten die Deutschen Propagandafilme, in denen Polen als Banditen und Mörder dargestellt wurden. Heute haben sie dafür Agnieszka Holland.“

Kenner der polnischen Politszene vermuten sogar, dass die Hasstiraden gegen die Filmemacherin, deren Werk „Hitlerjunge Salomon” 1990 für den Oscar nominiert war, verantwortlich sein könnten für die Wahlschlappe der PiS. Was zumindest ein schöner Gedanke ist, dass Kunst die Macht hat, die Verhältnisse umzukehren oder zumindest dabei das Zünglein an der Waage zu sein. 

Im aktuellen profil titelt der Schriftsteller Doron Rabinovici sein Essay über die Folgen des Terrorangriffs mit dem Satz „Ist es wieder soweit, dass jüdisches Leben versteckt werden muss?”, der einen ins Mark trifft.  Polizisten rieten jenen, die am Ballhausplatz bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Hamas-Massakers die israelische Flagge mitgebracht hatte, sie besser am Weg nach Hause zu verstecken.

Zu Recht schlugen die Wellen der Empörung hoch, als der philosophische Spezialist für eigentlich eh alles Richard David Precht in einem Podcast mit Markus Lanz anzumerken wusste, dass die orthodoxen Juden ja eigentlich auf Grund ihrer Religion nicht arbeiten dürfen, abgesehen von „Diamantenhandel und Finanzgeschäften.”

Arthur Schnitzler schrieb 1924 in seinen Tagebüchern, dass der Antisemitismus „der genialsten Einfall” sei,  den „die menschliche Gemeinheit je gehabt hat.” Und der primitivste könnte man hinzufügen.

Die aktuelle profil-Wochenumfrage beschämt. Auf die Frage „Sind Sie solidarisch mit Israel” antworteten 12 Prozent mit „Stimme gar nicht zu”, 16 Prozent mit „stimme eher nicht zu”; nur 31 Prozent hatten ein klares Ja. „Mancher zieht sich da auf die klassisch österreichische Position „Zum Streiten gehören immer zwei” zurück, so Meinungsforscher Peter Hajek.

Auf Wienerisch: Nix genaues weiß man nicht.

Eine hoffentlich von Gemeinheiten freie Woche

Angelika Hager

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort