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Oh, du krankes Amerika!

Joe Biden hat ein Problem. Mit der Waffengewalt in seinem Land.

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Haben Sie schon eine Weihnachtskarte an ihre Liebsten verschickt? Wenn ja, dann hoffe ich, dass sie stilvoller ausgefallen ist als die, von der ich gleich erzählen werde. Werfen wir einen Blick nach Kentucky, ein US-Bundesstaat, den man hierzulande vor allem mit frittierten Hühnerbeinen in Verbindung bringt.

Dort lebt Familie Massie: Vater, Mutter, drei Söhne und eine Tochter. Sie wünschen sich dieses Jahr eine Ladung Munition von Santa Claus. Willkommen in Amerika, ein Land, das einem Arsenal gleicht: 40 Prozent der weltweit verfügbaren Waffen sind im Besitz von US-Amerikanern. Mittlerweile gibt es dort mehr Schusswaffen als Bürger und Bürgerinnen und mehr Waffenländen als McDonald’s-Filialen. In diesem Land scheint es normal zu sein, wenn sich eine Familie schwer bewaffnet unter den Christbaum setzt. Aber der Reihe nach.

Die Taliban wären begeistert

Zu Beginn: Thomas Massie, ein Kongressabgeordneter der Republikaner, hat unlängst ein verstörendes Foto auf Twitter gepostet. Man sieht seine Familie breit grinsend im Wohnzimmer, jeweils ein Maschinengewehr in der Hand. Dazu der Text: „Santa, bitte bring Munition!“

Die Taliban wären von alledem schwer beeindruck. Zwar feiern die Islamisten in Afghanistan bekanntlich kein Weihnachten aber in ihrem Emirat käme die Weihnachtskarte der Familie Massie ganz gut an (Frau Massie müsste selbstverständlich eine Burka tragen).

Nun ist Herr Massie kein Islamist, aber er ist Politiker in einem Land, in dem Teenager immer öfter zu Terroristen werden. Das Foto hat er zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt gepostet. Wenige Tage zuvor hatte ein 15-jähriger in seiner Schule das Feuer eröffnet. Vier Mitschüler – sie waren zwischen 14 und 17 Jahre alt – kamen dabei ums Leben. Jetzt drohen den Eltern des Schützen 15 Jahre Haft, er selbst steht unter Terrorverdacht und könnte lebenslang ins Gefängnis kommen.

Welche fatale Rolle Eltern spielen können

Auch der Vater des 15-jährigen Schützen wollte seiner Familie ein „schönes“ Weihnachtsgeschenk machen. Vier Tage bevor sein Sohn Amok lief, besorgte er ihm eine halbautomatische Pistole. Die Mutter sprach von einem „Weihnachtsgeschenk“ für ihr „Baby“ und nahm den Buben auf Schießstände mit. Die Eltern wussten, dass der Sohn im Internet Munition bestellen wollte. Das ist ihm auch gelungen. Am Ende steckte ihr „Baby“ sein „Weihnachtsgeschenk“ in die Schultasche, packte es auf der Toilette aus und lief Amok.

Das Familienfoto der Massies steht für einen beunruhigenden Trend: Immer mehr Menschen in den USA legen sich eine Waffe zu. Parallel dazu steigt die Zahl der Massaker. Im Vorjahr haben sie mit über 600 einen traurigen Höhepunkt erreicht. Jeden Tag sterben im Schnitt 56 Menschen an einer Kugel. Immer öfter trifft es Teenager. Im Jahr 2020 waren es über 1.000.

Ob Familie Massie diese Statistiken gelesen hat?

Wohl kaum. Nach der Kritik am Foto meinte Vater Massie, dass das eine (Waffenbesitz) nichts mit dem anderen (Massaker) zu tun habe. Michigan lehrt uns: Hat es leider doch.

Franziska Tschinderle

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Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.