Wahlwerbung in Wisconsin2016 siegte in diesem Bundesstaat Trump, 2020 Biden.
Reportage aus den USA

Zwischen Milchkannen und Rostlauben

Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen werden in den kommenden Wochen in den heiß umkämpften Swing States entschieden. Ein politischer Roadtrip durch drei von ihnen: Wisconsin, Michigan und Pennsylvania.

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Wisconsin: Wo die freiwilligen Wahlhelfer ausschwärmen

Lionel, ein drahtiger Mann Anfang 30, arbeitet in einer abgewrackten Autowerkstätte knapp außerhalb des Stadtzentrums von Milwaukee, der größten Stadt in Wisconsin. „Die Wahl im Herbst ist für mich ganz einfach“, sagt der im Gesicht mit Öl verschmierte KFZ-Mechaniker und zieht an seiner Zigarette. „Donald Trump wird die Wirtschaft wieder ankurbeln und die illegale Einwanderung stoppen, Kamala Harris wird uns ruinieren.“

Ein paar Meilen weiter südlich schlendert die Bibliothekarin Elizabeth Mitchell durch Brown Deer, eine 12.500-Seelen-Gemeinde in der Metropolregion von Milwaukee. „Die Wahl ist doch ganz einfach“, sagt auch Elizabeth, doch sie gelangt zum genau entgegengesetzten Schluss von Lionel: „Hier tritt ein mehrfach verurteilter Verbrecher an, der Abtreibungen verbieten will und nicht an den Klimawandel glaubt. Ihm gegenüber steht eine kluge, einfühlsame Frau, die einen Plan für dieses Land hat.“

In Wisconsin, dem 30. Bundesstaat Amerikas, der sich im Norden des Landes an die beiden großen Seen Lake Michigan und Lake Superior schmiegt, halten sich Menschen, die politisch wie Lionel oder eben Elizabeth ticken, ziemlich genau die Waage. Diese politische Pattsituation macht Staaten wie Wisconsin für die Parteistrategen von Demokraten und Republikanern so bedeutend.

Wisconsin ist neben Arizona, Nevada, North Carolina, Michigan und Pennsylvania einer der sieben heiß umkämpften Swing States. Hier werden die amerikanischen Präsidentschaftswahlen letztlich entschieden. Hierhin stecken die War Rooms der Demokraten und Republikaner gerade all ihre Ressourcen – Wahlkampfveranstaltungen, TV-Spots, Plakate.

2016 siegte Donald Trump in Wisconsin gegen Hillary Clinton. 2020 konnte Joe Biden den Spieß umdrehen und Trump schlagen – Wisconsin wurde wieder ein „Blue State“. Beide Male entschieden wenige Tausend Stimmen das Rennen. Und so rücken jetzt, knapp sieben Wochen vor der großen Wahl, Heerscharen an Freiwilligen aus und kämpfen um jede Stimme, weil die hier am Ende mehr zählen als anderswo.

Elizabeth Mitchell ist eine dieser Volunteers. Sie klopft an diesem sengend heißen Dienstag an die Türen von windschiefen Holzhütten und verwahrlosten Backsteinbauten in Brown Deer, spricht mit Lehrern und mit Arbeitslosen, verteilt haufenweise Kamala-Harris-Flyer. „Neue Jobs für Wisconsin – grüne Technologie – Entlastung des Mittelstandes“, steht dort in Stichpunkten gelistet. Die Touren sind anstrengend und undankbar, aber Elizabeth macht die Arbeit gerne. Letztes Jahr starb ihr Ehemann an Krebs, danach beschloss sie, ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben und sich politisch zu engagieren.

Die ehemalige Bibliothekarin dockte bei einer NGO in ihrer Heimat, dem Bundesstaat Washington, an. Seither fliegt Elizabeth alle paar Wochen auf eigene Kosten in einen der Swing States. „Unter Kamala Harris ist ein neuer Ruck durchs Land gegangen. Ich glaube, dass diese Wahl die vielleicht wichtigste in unserer Geschichte sein wird, und da will ich nicht untätig gewesen sein“, erklärt sie ihr Engagement.

In „America’s Dairyland“, wie Wisconsin wegen seiner vielen Molkereibetriebe genannt wird, sieht es für Kamala Harris derzeit ganz gut aus. Sie führt in den jüngsten Umfragen mit über drei Prozentpunkten. Auf dem Weg in die Innenstadt von Milwaukee kommen Autofahrer an Plakaten der amtierenden Vizepräsidentin Kamala Harris vorbei. Andere Billboards zeigen weißbärtige Ex-Marines, die versichern, diesmal ganz sicher nicht Donald Trump zu wählen. Im Historic Third Ward, einem schicken Stadtteil in Downtown Milwaukee, der gesäumt ist von Bars, Galerien und Restaurants, stehen Abend für Abend Dutzende Wahlhelfer, um Passanten Kamala-Buttons in die Hand zu drücken.