All you need is Lawrow

Russland: Außenminister Sergej Lawrow - Putins Mann fürs Grobe

Russland. Außenminister Sergej Lawrow - Putins Mann fürs Grobe

Drucken

Schriftgröße

Es gibt eine Geschichte über Sergej Lawrow, die vielleicht nur gut erfunden ist, in jedem Fall aber zeigt, welches Bild die Russen von ihrem Außenminister haben. Sie beginnt mit einem Schiffbruch: Lawrow hat sich mit einer Handvoll alter Freunde wie jedes Jahr für zwei Wochen zum Wildwasser-Rafting aufgemacht. Die Trips funktionieren nach straffen Regeln: Radio, Fernsehen und ­Zeitungen etwa sind verboten, die Rollen der Teilnehmer klar verteilt. Lawrow beispielsweise ist traditionell für das Lagerfeuer zuständig.

Bei diesem Ausflug geht alles schief, was schiefgehen kann. Es schüttet, das Boot kentert, die Nacht bricht herein, und als die Runde aus Spitzendiplomaten und ehemaligen KGB-Geheimdienstlern pitschnass in der Taiga sitzt, muss sie feststellen: Es ist nur ein einziges trockenes Streichholz geblieben.

Noch dazu hat sich Lawrow die Zehe gebrochen. Das lässt er sich allerdings nicht anmerken, als er das scheinbar Unmögliche versucht: Im strömenden Regen Feuer zu machen. Und siehe da: Es gelingt. „Das eine Streichholz hat ausgereicht“, wird Juri Kobaladse, Mitglied der altbewährten Männerrunde, später nostalgisch erzählen: „Er hat uns damals gerettet.“
Der Mann, der in höchster Not verlässlich ein Feuer entfachen kann, ist derselbe, den Präsident Wladimir Putin vorschickt, wenn es gilt, Russlands Stellung in der Welt zu verteidigen. Ob Moskau den USA in der Syrien-Krise die Show stiehlt, die harte Linie des Westens im Atomstreit mit dem Iran unterläuft oder wie vergangene Woche eine militärische Intervention in der Ost-Ukraine androht: Immer ist Sergej Lawrow ganz vorne dabei, der groß gewachsene Außenminister mit der finsteren Miene und sonoren Stimme, die so gut zur rüden Außenpolitik Russlands und der Konfrontation mit dem Westen passen.

Dienstältester Minister
Seit 2004, also zehn Jahre, macht er seinen Job nun schon, offenbar zur vollsten Zufriedenheit von Wladimir Putin: Andernfalls wäre Lawrow nicht inzwischen der dienstälteste Minister im Kabinett des Kreml-Chefs. Um das zu werden, reicht es nicht, loyal zu sein. Es braucht, gerade in der exponierten Funktion des Außenministers, auch eine Reihe anderer Fähigkeiten: diplomatische Geschmeidigkeit und brutale Härte, Handschlagqualität und Schlitzohrigkeit, Rationalität und Realitätsverweigerung – je nachdem, was die Situation gerade verlangt.
„All you need is Lawrow“: Dieses Insert blendet Russia Today (RT), der international ausgestrahlte, englischsprachige Propaganda-Sender des Kreml, bei Interviews mit dem Außenminister gerne ein, und zwar ohne erkennbare Ironie. Und wofür man Lawrow braucht, ist klar: Um Russland jenen Status in der internationalen Gemeinschaft zu verschaffen, der dem Selbstbewusstsein des Landes entspricht. Wenn es nicht auf die sanfte Tour geht, dann eben auf die harte.

Im Kreml hat er sich damit offenbar unverzichtbar gemacht. Auf dem internationalen Parkett begegnet ihm zwar professioneller Respekt, aber nicht unbedingt Sympathie. Aus der Perspektive von Lawrow lässt sich jedoch selbst aus dem Gefühl, als anrüchig betrachtet zu werden, Bestätigung ziehen. Immerhin beweist er damit bei jedem Gespräch mit einem Amtskollegen, dass sich die Welt mit Russland und ihm als seinem Repräsentanten auf Augenhöhe auseinandersetzen muss, ob sie nun will oder nicht.

Lawrow dient mittlerweile dem fünften Premierminister, aber in Wahrheit ist er seit seiner Ernennung Putins bester Mann. Sein Job hat auch enorme innenpolitische Bedeutung: Er muss Putins Wählern verklickern, dass das Versprechen von Russlands wachsender Größe in der Welt eingelöst wird.
Aber das fällt dem in der georgischen Hauptstadt Tiflis geborenen Sohn eines Armeniers und einer Russin nicht schwer. Lawrow dachte und fühlte immer schon pro-russisch. Seine Eltern waren im Außenhandel tätig, der Sohn wuchs mit Erzählungen von fremden Ländern auf, die ihn, wie er einmal erzählte, tief beeindruckten. Nachdem er die prestigeträchtige Moskauer Diplomatenschule MGIMO absolviert hatte, führte ihn seine erste Auslandsverwendung an die russische Botschaft in Sri Lanka. Anfang der 1980er-Jahre wurde er nach New York versetzt, wo er der sowjetischen UN-Mission diente, bis er 1988 nach Moskau zurückkehrte.

Den schmerzhaften Zusammenbruch des Sowjetreichs, von der gefürchteten Weltmacht zum wirtschaftlichen Bittsteller, erlebte Lawrow als Abteilungsleiter des Außenministeriums. Der Abend des 25. Dezember, an dem Staatspräsident Michail Gorbatschow zurücktrat und die UdSSR zerfiel, ereilte ihn – ebenso wie den damaligen KGB-Mann Wladimir Putin – völlig unvorbereitet.

Umso verbissener kämpfen die beiden heute für den Wiederaufstieg Russlands. Lawrow tut dies in der ihm eigenen Mischung aus Sarkasmus, Härte und Eleganz. Im Jahr 1994 ging er zunächst als UN-Botschafter nach New York, ehe Putin ihn zehn Jahre später wieder nach Moskau holte, um „dem Westen die grobe Außenpolitik auf die zivilisierteste Art, die möglich ist, zu präsentieren“, wie es Andrei Kozyrev, russischer Außenminister unter Boris Jelzin, heute formuliert.

Den aktuellen Krach zwischen Russland und den USA etwa interpretiert Lawrow in einem Interview, das er kürzlich dem staatlichen TV-Sender „Russia Today“ gab, mit dem ihm eigenen Pokerface so: „Der Fall Ukraine ist nur eine Manifestation von Amerikas Unwillen, im geopolitischen Kampf nachzugeben. Die Amerikaner sind nicht bereit zuzugeben, dass sie nicht überall auf der Welt von Washington aus das Sagen haben.“ Damit hob der gewiefte Taktiker die Krise auf eine abstrakte Ebene, auf der er den USA den auch in Europa gern gehörten Vorwurf machen konnte, Washington betreibe rücksichtslose Supermacht-Politik und handle mit „nostalgischem, neo-imperialem Ehrgeiz“.

„Er sagt: Du musst, du musst, du musst!“
Mindestens einmal am Tag, erzählte er bei dieser Gelegenheit auch, werde er derzeit von John Kerry angerufen. Mit dem amerikanischen Außenminister verbinde ihn an und für sich eine „gute Chemie“. Aber Kerry nerve ihn mit den immer gleichen Vorhaltungen: „Er sagt: Du musst, du musst, du musst!“, moserte Lawrow. Ob Iran-Verhandlungen, Syrien-Krise oder eben jetzt Ukraine-Konflikt – für alles mache Washington Russland verantwortlich. Das sei doch „egoistisch“, „unrealistisch“ und letztlich nur ein „Versuch, von der eigenen Verantwortung abzulenken“.

Tatsächlich beweisen die permanenten Telefonate zwischen Kerry und Lawrow, dass Moskau trotz seiner Unterlegenheit für die USA unverzichtbar bleibt – ein Erfolg, den der russische Außenminister unausgesprochen genießt. Russland liefert Waffen an den Iran, Russland stützt Syriens Präsidenten Baschar al-Assad, Russland schürt den Aufruhr in der Ost-Ukraine, und wenn dann Kerry anklingelt, weiß Lawrow, dass er wieder einmal in der Position ist, seinerseits Forderungen stellen zu können.
Wissend, dass das Telefon immer wieder klingeln würde, ließ Lawrow auch den Rauswurf Russlands aus der G-8 – der Gruppe der größten Industriestaaten als Konsequenz der Ukraine-Krise – ungerührt von sich abperlen: „Wenn unsere westlichen Partner glauben, dass dieses Format sich erschöpft hat, dann sei’s drum. Wir klammern uns nicht daran.“

Sergej Lawrow ist der bei Weitem Dienstälteste im Kollegium der G-8-Außenminister, Kerry ist mittlerweile sein fünfter US-Widerpart – nach Madeleine Albright, Colin Powell, Condoleezza Rice und Hillary Clinton. Und Lawrow hat es keinem von ihnen leicht gemacht, ganz besonders den Frauen nicht.

Als Repräsentant der russischen, männerdominierten Elite brachte er die elegante Pastoren-Tochter Rice mit seinem Benehmen etwa regelmäßig auf die Palme. Während der Georgien-Krise kam es nach Rice’ Darstellung zu einem Telefongespräch, in dem Lawrow unverblümt den Sturz des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili forderte. „Sergej, die Außenministerin der Vereinigten Staaten führt mit dem russischen Außenminister keine Unterhaltung über die Entmachtung eines demokratisch gewählten Präsidenten“, antwortete Rice ihrer eigenen Darstellung nach – um gleich darauf zu hören, wie Lawrow den Einwand beiseite wischte. Es werde ohnehin nie jemand davon erfahren: „Das bleibt unter uns.“

Aber nicht nur mit Frauen, auch mit Männern springt Lawrow bei Bedarf höchst unhöflich um. Als ihm David Miliband, der ehemalige britische Außenminister, am Höhepunkt der Georgien-Krise den Ärger der EU über Moskaus Verhalten ausrichtete, fauchte dieser ins Telefon: „Was zum Teufel glaubst du eigentlich, wer du bist?“

Sinn für Humor und Selbstironie
Lawrow hat sich aber nicht nur einen Namen als gnadenloser Verhandler gemacht, sondern auch mit seinem Sinn für Humor und Selbstironie. Als russischer Botschafter bei den UN fertigte er während ­einer Sitzung etwa eine Zeichnung an, die er anschließend seinem deutschen Kollegen Hanns Schumacher vermachte. „Diplomacy“ stand da in schnörkeligen Worten, gefolgt von den Adjektiven „deep“, „low“ und „messy“ („tief“, „niedrig“, „dreckig“).

2005 erschien Lawrow bei einer Gala im Zuge eines Außenministertreffens als Jedi-Ritter: in lilafarbener Robe und mit Kapuzenumhang, in der Hand ein Lichtschwert. Der Auftritt war der Höhepunkt der Veranstaltung. Bekannt ist der Russe auch für seine Sammlung von Blankwaffen wie Schwerter und Säbel sowie für seine Vorliebe für guten Scotch und Zigaretten, der er gerne auch während langweiliger Sitzungen an der Bar des UN-Hauptquartiers frönt.

Das Rauchen ist er genauso knallhart zu verteidigen bereit wie seine Heimat Russland: Ein diesbezügliches Verbot, das der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan im UN-Hauptquartier erlassen hatte, ignorierte Lawrow mit den Worten: „Das Gebäude gehört nicht Annan“ – wobei er ostentativ vor sich hinqualmte.

„Er ist sehr schlau. Er kann sehr nett und pragmatisch sein. Und er kann auch das Gegenteil davon sein“, charakterisierte ihn Madeleine Albright in einem CNN-Interview. Lawrow „kennt seine Rolle genau und hält sich strikt ans Drehbuch“, sagt Fiona Hill, Senior Fellow des Brookings Institution-Think-Tanks in Washington: „Ein Casting des Kreml hätte keinen besseren Kandidaten hervorbringen können.“

Man könnte auch sagen: Er ist bereit, den Pragmatismus auf die Spitze zu treiben. „Ich bin Diplomat, die Politik überlasse ich dem Präsidenten“, erklärte er einmal: „Außenpolitik basiert auf dem festen Boden nationaler Interessen.“ Er habe seine Karriere als Diplomat der Sowjetunion begonnen, so Lawrow: „Und trotz aller Ideologie, auf die man dabei in so einer Position gestoßen ist, kann ich versichern, dass wir in der Praxis immer versucht haben, pragmatisch zu handeln.“

John Negroponte, Lawrows ehemaliger US-Kollege im UN-Sicherheitsrat, sieht es weniger positiv: „Seine Ziele waren immer dieselben: Veto einlegen für die Ehre Russlands. Und dabei die Amerikaner heruntermachen. Nach diesen Regeln spielt er bis heute“, so Negroponte: „Seine Moral ist gleichbedeutend mit dem russischen Staat.“
Derzeit hat Lawrow jeden Tag aufs Neue Gelegenheit, das unter Beweis zu stellen. Am Freitag vergangener Woche etwa: Während im Osten der Ukraine Sezessionisten öffentliche Gebäude besetzt und Journalisten gefangen hielten, während russische Infanterieverbände bis auf wenige hundert Meter an die Grenze herangerückt waren und während die Übergangsregierung in Kiew panisch versuchte, die Kontrolle über ihr Territorium wiederzugewinnen, hatte Lawrow den Schuldigen an der Krise längst ausgemacht: „Die Macht der US-Propaganda zielt darauf ab, Russland in den Schmutz zu ziehen“, erklärte er ungerührt.

Und wusste: Spätestens am nächsten Tag würde wieder Kerry am Apparat sein.

Mitarbeit: Andrej Iwanowski

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur