Vom Hoffnungsträger zum Schurken: Kronprinz Mohammed bin Salman

Saudi-Arabien: Kronprinz Mohammed bin Salman enttäuscht alle Hoffnungen

Die Hoffnung, dass Saudi-Arabiens Thronfolger Mohammed bin Salman sein Land vom Image des Schurken­staats befreit, hat sich zerschlagen: MARTIN STAUDINGER über den Mord an Jamal Khashoggi und eine profil-Recherche im Königreich.

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Eigentlich kennt Saudi-Arabien keine Jahreszeiten: Im Landesinneren ist es immer heiß und trocken, in Meeresnähe stets schwül und feucht. Trotzdem war so etwas wie Frühling zu spüren, als ein profil-Team vor Kurzem die – äußerst selten erteilte – Erlaubnis erhielt, das Königreich für eine Reportage ohne jegliche Einschränkungen zu bereisen.

Ob in der Hauptstadt Riad, in der schicken Küstenmetropole Jeddah oder im kärglich-abgelegenen Ta’if auf fast 2000 Meter Seehöhe: Überall wurde von Veränderung gesprochen. Völlig überraschend hatte in dem Land, das vor allem für seine Rückständigkeit bekannt war, ein Prozess der Modernisierung und Liberalisierung eingesetzt: Die Religionspolizei, die jahrzehntelang mit brutalen Methoden für die Einhaltung mittelalterlich-islamischer Vorschriften sorgte, war von den Straßen verschwunden. Frauen durften den Gesichtsschleier und die Abaya, das traditionelle Ganzkörperkleid, in der Öffentlichkeit ablegen, selbst Autos lenken und eigenständig Unternehmen gründen. Das Verbot, vor Publikum Musik zu spielen und Filme zu zeigen, fiel; Kinos wurden gebaut, Konzertsäle eingeweiht.

Das Lob für diese Neuerungen war groß, und es wurde einem einzigen Mann zuteil: Kronprinz Mohammed bin Salman, besser bekannt unter seinem Kürzel MbS. Eigentlich sollte der 33-Jährige Lieblingssohn des regierenden Königs Salman ibn Abd al-Aziz erst nach dem Tod seines Vaters die Regierungsgeschäfte in die Hand nehmen. Dennoch begann er noch zu Lebzeiten des greisen Monarchen damit, Reformen durchzusetzen, die für saudische Verhältnisse so radikal sind, dass zuvor kaum jemand daran zu denken gewagt hätte.

MbS war die in jeder Hinsicht wuchtige Verkörperung einer Hoffnung, an die viele nur zu gerne glauben wollten: dass es Saudi-Arabien gelingen könnte, vom Rand der internationalen Gemeinschaft in deren Mitte zu rücken.

Plötzlich wieder Schurkenstaat

Jetzt steht das Königreich mit einem Mal wieder ganz weit draußen – als Schurkenstaat, mit dem man sich nur abgibt, wenn es realpolitischer Pragmatismus gebietet. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass die Verantwortung für die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi ganz weit in die Hierarchie der Monarchie hinaufreicht. Der im Exil lebende Khashoggi war Anfang Oktober verschwunden, nachdem er das saudische Konsulat in Istanbul betreten hatte, um Dokumente für seine bevorstehende Hochzeit abzuholen. Mittlerweile gilt es als sicher, dass er dort getötet wurde. Ob die grausigen Details, die in türkischen Medien über den angeblichen Tathergang kursieren, zutreffend sind, ist schwer abzuschätzen. Die ungeheuerlichen Vorwürfe wurden vom Königshaus aber nicht einmal ansatzweise entkräftet.

Alle Klischees, die durch den Modernisierungskurs von MbS infrage gestellt wurden, sind damit wieder aktuell. Ironischerweise waren viele davon aber auch zuvor verfehlt. Wer die Chance hat, Saudi-Arabien zu besuchen, ist zunächst einmal verblüfft, wie viele Vorurteile enttäuscht werden.

Es bereitet keine Schwierigkeiten, Gesprächspartner zu finden, die dem gängigen Klischee widersprechen, das die Saudis entweder als verkorkste Fundamentalisten kennt, die am liebsten weiterhin im Mittelalter leben würden – oder als verzogene, neureiche Protze, die den Ölreichtum des Landes an der Côte d’Azur verprassen.

Hunderttausende Saudis hatten in den vergangenen Jahrzehnten durch staatliche Stipendien die Möglichkeit, im Westen zu studieren, sind ihrerseits mit einem anderen Bild der Welt in ihre Heimat zurückgekehrt und zeigen großes Interesse, viele Freiheiten, die sie bei ihrem Aufenthalt im Ausland kennengelernt haben, weiter in Anspruch zu nehmen.

Zumindest in der städtischen Mittelschicht sind auch Frauen wie Sarah Ghasem, Afaf Tawfiq und Solafa Adel Batterjee keine Seltenheit: Managerin eines Hotel-Großprojekts und alleinerziehende Mutter von drei Kindern die eine; Ärztin auf der Gynäkologiestation eines großen Krankenhauses in Jeddah die andere; Leiterin eines Non-Profit-Unternehmens die dritte (profil 15/18) – weltgewandte, selbstbewusste und auch nach europäischen Kriterien erfolgreiche Saudi-Arabierinnen, die völlig selbstverständlich mit Kollegen zusammenarbeiten oder gar als Vorgesetzte über männliche Untergebene bestimmen.

Das Königshaus bestimmt

Allerdings gibt es selbst für sie zumindest zwei rote Linien, die außer Frage stehen – oder die sie gegenüber einem Außenstehenden nicht infrage stellen wollen. Eine davon legt fest, was der Koran angeblich verbietet. Diese Grenze ist derzeit nicht genau zu verorten, weil liberale und konservative Kräfte in Saudi-Arabien versuchen, sie möglichst weit in ihre bevorzugte Richtung zu verschieben. Die zweite rote Linie betrifft die Monarchie, deren Autorität in der Bevölkerung unangefochten bleibt. So groß die Freude über die Modernisierung bei den fortschrittlichen Saudis ist, so groß ist die Verbitterung unter Traditionalisten: Was das Königshaus bestimmt, wird akzeptiert. Der Eindruck, der nach vielen Gesprächen bleibt: Sollte MbS auf die Idee kommen, seine Liberalisierungen zurückzunehmen, würden die meisten das zwar beklagen, letztlich aber hinnehmen.

Dieser Eindruck verdichtet sich beim Versuch, saudische Bekannte auf den Fall Khashoggi anzusprechen. „Mein Name ist Hase“, schreibt einer, der normalerweise gerne ausführlich, offen und sehr reflektiert plaudert. Schwierig zu sagen, ob das auf eine prinzipielle Zustimmung hindeutet, unliebsame Landsleute durch Killerteams beseitigen und in diplomatischen Einrichtungen zerstückeln zu lassen – oder schlicht auf Angst. Immerhin hat MbS schon mehrmals demonstriert, dass er seinen universellen Führungsanspruch auch auf ganz persönlicher Ebene mit aller Härte durchzusetzen gewillt ist: etwa, als er kurz vor der offiziellen Aufhebung des Fahrverbots für Frauen mehrere Aktivistinnen verhaften ließ, die sich zuvor genau dafür eingesetzt hatten; oder als er im Zuge eines diplomatischen Streits mit Kanada 16.000 dort studierende Saudis anwies, das Land zu verlassen und ihre Ausbildung anderswo fortzusetzen. Dieser Befehl galt auch für alle Bürger des Königreichs, die sich zu diesem Zeitpunkt zu medizinischer Behandlung in dem nordamerikanischen Land aufhielten.

Der Fall Khashoggi ist kompliziert. Der 59-Jährige, der am 13. Oktober seinen 60. Geburtstag gefeiert hätte, war nicht irgendein renitenter Journalist und auch kein prinzipieller Gegner des Regimes. „Er hat nie das saudische Königshaus infrage gestellt, sondern ihm zeitweise sogar gedient. Er lotete als Publizist die Grenzen des Systems aus und eckte an, war aber nie in Gefahr“, schreibt Gudrun Harrer im „Standard“.

Undurchsichtiges Machtgefüge

Aber Khashoggi fand sich im undurchsichtigen Machtgefüge des Königreichs unversehens auf der falschen Seite wieder. Im November vergangenen Jahres wurden auf Geheiß von MbS Hunderte potenzielle Gegner und Widersacher, darunter mehrere Prinzen, im Luxushotel Ritz-Carlton in Riad eingesperrt, um sie einzuschüchtern und ihnen durch Korruption ergaunerte Milliardenbeträge abzupressen. Bereits im Zuge dieser Säuberungsaktion gab es Gerüchte, dass die Schergen des Kronprinzen einen der Festgesetzten zu Tode gefoltert hätten. Sicher ist, dass Kashoggi mit einem der Verhafteten eng zusammengearbeitet hatte. Hinzu kommt, dass ihm ein Naheverhältnis zur islamistischen Muslimbruderschaft nachgesagt wird, die im saudischen Königshaus verhasst ist.

Inzwischen verdichten sich die Hinweise, dass der Kronprinz auch direkt in die Ermordung Khashoggis involviert sein könnte. Die mutmaßlichen Killer wurden bereits identifiziert. Zum Großteil handelt es sich um saudische Geheimdienstler und Militärs; einer von ihnen stammt nachweislich aus jener Entourage, die MbS bei seinen Auslandsreisen begleitet. Kenner des Königshauses betrachten es als ausgeschlossen, dass der Kronprinz bei einer Operation dieser Bedeutung nicht eingeweiht gewesen sein könnte.

Im brutalen Geschäft der Machtpolitik sind die Beteiligten bereit, einander alles Mögliche zu verzeihen – nur nicht, sich erwischen zu lassen. Was zudem unerwünscht ist: Instabilität und Unberechenbarkeit, die auch daher rühren kann, dass die Person an der Spitze je nach Tagesverfassung schalten und walten kann, wie sie will.

Beides scheint auf MbS zuzutreffen, und das hat Folgen: Immer mehr prominente Wirtschaftsvertreter sagen ihre Teilnahme an einer Wirtschaftskonferenz für Superreiche ab, die kommende Woche stattfinden soll (und zwar ausgerechnet im Ritz-Carlton Riad). Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, verschiebt einen geplanten Besuch in Saudi-Arabien. Und der wichtigste Verbündete des Königshauses, die USA, beginnt sich zu distanzieren.

„Ich weiß, dass die Zeit, in der die Rose des Kronprinzen blühte, vorbei ist“, sagte Rudy Giuliani, einer der engsten Berater von Donald Trump, vergangene Woche. Man könnte auch sagen: Die Hoffnung auf Frühling hat sich zerschlagen. Denn die einzige Jahreszeit, die bis auf Weiteres in Saudi-Arabien herrscht, heißt MbS.