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Syriens Machthaber Assad: Das Comeback, das niemand wollte

Er hatte sein Volk mit Giftgas angegriffen, war als Kriegsverbrecher geächtet, und sein Sturz schien nur noch eine Frage der Zeit. Jetzt soll Syriens Diktator Baschar al-Assad plötzlich wieder salonfähig gemacht werden.

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Kommenden Freitag, am 19. Mai, lädt König Salman von Saudi-Arabien zu einem Gipfeltreffen der Arabischen Liga nach Riad ein. Die 1945 gegründete Liga hat sich zum Ziel gesetzt, die Beziehungen zwischen den arabischen Ländern zu festigen, ihre Politik zu koordinieren sowie die Souveränität der Staaten zu schützen. Treffen finden routinemäßig statt, und doch handelt es sich diesmal um eine ganz und gar nicht gewöhnliche Veranstaltung. Der Gipfel wird als der Moment in die Geschichte eingehen, der die zehnjährige Isolation Syriens beendet. Auf der Gästeliste steht der Name des Präsidenten aus Damaskus, ein geächteter Kriegsverbrecher: Baschar al-Assad.

Die Liste der Verbrechen des syrischen Diktators ist lang: Foltergefängnisse, Fassbomben, Giftgasangriffe, Bombardements von Krankenhäusern. Assad ließ auf friedliche Demonstranten schießen und zahlreiche Städte seines eigenen Landes in Schutt und Asche legen. Er kämpfe gegen radikale Islamisten, beteuerte er immer wieder, aber seine Angriffe trafen vor allem unbeteiligte Zivilisten, die zwischen die Fronten gerieten.

ZURÜCK IM CLUB

Vergangene Woche wurde Baschar al-Assad von saudischen Diplomaten persönlich zum Gipfel in Riad eingeladen.

Nicht nur im Westen, sondern auch in der Region hielt man sich lange an den Grundsatz: Mit einem wie Assad redet man nicht. Assad gab sich stets Mühe, sich davon unbeeindruckt zu zeigen. Ihm sei es egal, dass er in den USA und in Europa als „bad guy“ gesehen werde, sagte er 2016 selbstsicher und in tadellosem Englisch während eines Interviews mit dem US-amerikanischen Fernsehsender NBC. Wichtig sei nur, was die Syrerinnen und Syrer von ihm halten. Auf die Frage, wie er in die Geschichte eingehen werde, antwortete er: „Ich kann die Zukunft nicht voraussagen, aber ich hoffe, dass mich die Geschichte als Mann erinnert, der sein Land vor Terrorismus beschützt hat.“

Assad wirkt wie ein Mann, der sich für nichts verantwortlich fühlt und seit Jahren dieselbe Verteidigungslinie fährt: Ohne ihn wäre es noch schlimmer. Jetzt zeigt sich: Zumindest in seiner unmittelbaren Nachbarschaft kommt er damit durch.

Zurück zur Tagesordnung

Selbst Saudi-Arabien und Katar, zwei Länder, die sich im Syrienkrieg gegen das Assad-Regime stellten und die Aufständischen unterstützten, reichen dem Machthaber aus Damaskus neuerdings wieder die Hand. Sie gehen jetzt auf den Mann zu, den sie eigentlich immer weghaben wollten. Es ist ein Kurswechsel, der der Realpolitik geschuldet ist. Assad ist alternativlos geworden, nicht zuletzt wegen seines mächtigsten Verbündeten Russland, das den Bürgerkrieg in Syrien als Versuchslabor nutzte, um neue Waffensysteme zu testen. Russische Jets bombardierten Stellungen der Aufständischen, offiziell, um den islamistischen Terror zu bekämpfen. Tatsächlich treffen sie vor allem die Bevölkerung.

All das ist noch nicht so lange her, aber dieser Tage so gut wie vergessen

Anfang des Jahres empfing Assad Sheikh Abdullah bin Zayed, den Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate. Im Februar, kurz nach dem verheerenden Erdbeben in Nordsyrien und der Türkei, flog er nach Oman. Dessen Oberhaupt, Sultan Haitham bin Tariq, bekräftigte in einem Statement, dass er sich darauf freue, wenn Syrien seine Beziehungen zur arabischen Welt wieder normalisieren könne. Genau danach sieht es nun tatsächlich aus. Im März schüttelte Assad in Abu Dhabi die Hand von Scheich Mohamed bin Zayed Al Nahyan, Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate. Sogar der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der Assad militärisch stürzen wollte, ist bereit, ihn wieder persönlich zu treffen. Ankara führt in Nordsyrien eine Bodenoffensive gegen die Kurden an.

Es klingt zynisch, aber: Ausgerechnet die Zerstörung durch das Erdbeben im Februar hat Assad den Weg aus der Isolation geebnet. Er schlägt daraus politisches Kapital. Unter dem Deckmantel von Solidarität und Wiederaufbau tun sich neue Gesprächskanäle auf, die der Krieg lange verunmöglicht hat. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen vergibt Beschaffungsaufträge an syrische Unternehmen, deren Inhaber wegen Kriegsverbrechen auf den Sanktionslisten der EU und USA stehen. Das widerspricht der offiziellen Linie der EU, die da lautet: Kein Geld in die Normalisierung des Assad-Regimes.

Und jetzt lässt auch die Arabische Liga Assad ganz offiziell wieder mit am Tisch sitzen. Es ist ein Sieg auf ganzer Linie. Die Arabische Liga ließ Syrien 2011 suspendieren, nachdem dieser Proteste gegen ihn gewaltsam niederschlagen ließ. Der Staatenbund rief Assad damals offen zum Rücktritt auf.

DIE DYNASTIE

Baschar al-Assad und seine Frau Asma al-Assad spatzieren im Juli 2022 mit ihren Kindern durch die Altstadt von Aleppo.

Das Einknicken darf allerdings nicht allzu sehr verwundern. Demokratie und Menschenrechte sind in der Arabischen Liga selten ein unverrückbarer Maßstab, geschweige denn ein unschlagbares Argument gewesen. Der Staatenbund besteht aus 22 Ländern, der Großteil von ihnen absolutistische Monarchien wie Saudi-Arabien, Oman oder Katar sowie autoritär regierte Länder wie Tunesien oder Algerien. Keines der Mitglieder ist ein demokratischer Musterstaat. So war es nur konsequent, dass eine Mehrheit der Staaten vergangene Woche für das Comeback eines Autokraten wie Assad stimmte. Vor allem Saudi-Arabien streckt Assad die Hand aus, in der Hoffnung, dass dieser Einfluss auf den Iran nehmen könnte. Es ist die regionale Realpolitik, die Assad das Comeback auf die Weltbühne ebnen könnte. Ein Comeback, das vor wenigen Jahren noch völlig ausgeschlossen war.

„Wer dieses Regime hofiert, der disqualifiziert sich selbst“, sagte einst der Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel über Assad. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump nannte den syrischen Präsidenten im Jahr 2018 ein „Tier“, weil dessen Regime international geächtete Chemiewaffen eingesetzt hatte. Bereits 2012 warnte US-Präsident Barack Obama vor einem solchen Szenario. Er werde ein militärisches Eingreifen in Syrien anordnen, wenn Assad Chemiewaffen einsetze. Kurz darauf, im August 2013, werden in der Rebellenbastion Duma in Ost-Ghouta mehr als 1400 Zivilisten durch das Nervengas Sarin getötet. Es bliebt nicht der einzige Vorfall. Immer wieder leiden Zivilisten, darunter auch viele Kinder, an Atembeschwerden, nachdem die syrische Armee Luftangriffe fliegt.

Assad hat die rote Linie nicht einmal, sondern mehrmals überschritten. Zwar flogen die USA, Frankreich und Großbritannien Luftangriffe auf syrische Ziele, aber an Assads Macht änderte das wenig. Er sitzt seit über 20 Jahren fest im Sattel.

Eigentlich nur eine Übergangslösung

Assad ist der Sprössling einer Diktatoren-Dynastie, die seit über 50 Jahren währt. Sein Vater Hafiz al-Assad, bekannt unter dem Namen „der Löwe von Damaskus“, regierte das Land drei Jahrzehnte lang bis zu seinem Tod im Jahr 2000. Seine Macht stützte er auf die Säulen Geheimdienst und Militär. Beide ließ er mit Günstlingen und Familienmitgliedern besetzen. Sein Clan gehört einer Minderheit an. Die Assads sind Alawiten, eine schiitische, religiöse Gemeinschaft, die schon während der französischen Besatzung wichtige Positionen im Militär innehatte. Diese machen nur rund sechs Prozent der Bevölkerung aus und regieren über die sunnitische Mehrheit. Assad Junior ist ein Ersatzführer. Eigentlich hätte sein Bruder Basil, der Älteste und der Liebling des Vaters, in seine Fußstapfen treten sollen. Doch als der Kronprinz 1994 bei einem Autounfall ums Leben kam, rückte überraschend Baschar ins Rampenlicht. Der damals 29-Jährige kehrte von London, wo er damals lebte, nach Damaskus zurück. Eigentlich hätte er Augenarzt werden sollen, seine „Berufung“, wie er einmal in einem Interview sagte. Der Mann, der Syrien seit über 20 Jahren regiert, war ursprünglich nichts weiter als eine Übergangslösung gewesen.

1946 - 2023: Die Assads regieren Syrien seit einem halben Jahrhundert

1946: Syrien wird unabhängig. Abzug französischer Truppen.

1970: General Hafiz al-Assad kommt an die Macht und errichtet einen Polizeistaat.

2000: Al-Assad stirbt, sein Sohn Baschar kehrt aus London zurück und übernimmt.

2011: Der Arabische Frühling erreicht Syrien. Aus den Demonstrationen wird ein Bürgerkrieg.

2013: Der „Islamische Staat“ (IS) erobert die Stadt Rakka.

2014: Die US-Luftwaffe bombardiert Stellungen des IS in Syrien.

2015: Russland greift an der Seite von Assads Regierung in den Krieg in Syrien ein.

2018: Chlorgasangriff auf die Stadt Duma in Ost-Ghouta.

2019: Türkei startet Großoffensive in Nordsyrien.

2023: Syrien wird nach über zehn Jahren wieder Teil der Arabischen Liga.

Zur Jahrtausendwende gilt Assad als ein Liberaler in Syrien. Er verspricht, die Korruption zu bekämpfen, kündigt eine Modernisierung des Landes an und lässt „konstruktive Kritik“ zu, die vielen Hoffnung gibt, dass sich im Einparteienstaat etwas ändern könnte. Assad repräsentiert eine neue Generation, die im Ausland studiert hat. Seine Frau, die in Großbritannien aufgewachsen ist, kehrt an seiner Seite als First Lady nach Syrien zurück. Der leicht lispelnde und schüchtern wirkende Thronerbe ist anders als die anderen Diktatoren der arabischen Welt. Anstatt Militäruniform trägt er Anzüge, er spricht leise und bedacht und schreit nicht. Er ist ganz anders als ein Saddam Hussein oder ein Gaddafi. Ganz im Gegenteil: Der Westen sieht in ihm einen Reformer, vor allem der französische Präsident Jacques Chirac. Beamte aus Paris fliegen nach Damaskus, um den Diktatoren-Sohn bei Reformen in der Verwaltung zu unterstützen. In seiner ersten Rede im Juli 2000 verspricht Assad: „Ich werde mein Bestes versuchen, unser Land in eine Zukunft zu führen, die die Hoffnungen unseres Volkes erfüllt.“

23 Jahre später ist Syrien völlig zerstört

2011 springt der Funke des Arabischen Frühlings auf Syrien über. Sicherheitskräfte schießen auf friedliche Demonstranten, die den Sturz Assads fordern. Jugendliche sprayen „Doktor, du bist der Nächste“ an Häuserwände und werden gefoltert. Das provoziert immer größere Demonstrationen, die sich bald im ganzen Land verbreiten. Die Proteste weiten sich zu einem Bürgerkrieg aus und dieser wiederum zu einem Stellvertreterkrieg, in dem neben Russland und den USA auch Regionalmächte wie die Türkei, Iran und Saudi-Arabien mitmischen – und die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Längst geht es nicht mehr nur um Meinungsfreiheit oder soziale Ungleichheit, sondern um einen konfessionellen Streit im Nahen Osten. Die Sunniten erhoffen sich mehr Repräsentation und Macht. Die Opposition wird von radikal-islamistischen Strömungen unterstützt.

LAND IN RUINEN

Ost-Ghouta, ein Außenbezirk  von Damaskus, lag nach seiner Rückeroberung 2018 in Trümmern. 

23 Jahre, nachdem Assad seinen Landsleuten im Parlament eine bessere Zukunft versprach, ist Syrien die Hölle auf Erden. Syrien ist heute das weltweit größte Empfängerland humanitärer Hilfe. Die Bilanz des Bürgerkrieges: über 300.000 Tote und mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf der Flucht. Nach UN-Angaben leben mehr als 90 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Das wichtigste Exportprodukt: das illegale Aufputschmittel Captagon, eine immer beliebter werdende Droge im Nahen Osten.

Schlimmer könnte die Bilanz eines Herrschers nicht sein. Und doch: Assad wird wieder hofiert oder zumindest geduldet und bereitwillig eingeladen. Zwar liegt sein Land in Ruinen, aber das ändert nichts daran, dass es ein Knotenpunkt im Nahen Osten ist. Millionen Flüchtlinge sind in den Nachbarländern untergekommen.

Assad hat den Krieg – mit Unterstützung von Putin sowie iranischen Milizen – gewonnen, auch wenn territoriale Fragen ungelöst bleiben. In der von islamistischen Rebellen beherrschten Provinz Idlib zum Beispiel sowie in den kurdischen Gebieten. Damaskus beherrscht zwei Drittel des Landes und wird den Rest mit allen Mitteln, so brutal sie auch sein mögen, zurückzuerobern versuchen. All das ist ein Sieg für Assad, ein Herrscher, der lange fürchten musste, der nächste Gaddafi zu sein und von Rebellen gestürzt zu werden. Seine unangetastete Machtfülle ist auch ein Schlag ins Gesicht für den Westen und die USA, deren Einfluss in der Region sinkt. Assad verbal zu ächten und mit Sanktionen zu überziehen, konnte ihn letztlich nicht dauerhaft schwächen. Das undenkbare Comeback scheint zu gelingen.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.