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Trump vor Gericht: “So sad!“

Mit Donald Trump muss zum ersten Mal in der Geschichte der USA ein ehemaliger Präsident vor ein Strafgericht. Der Fall ist juristisch umstritten.

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An der Ära Donald Trump war vieles einmalig. Seine bis zuletzt hartnäckige Behauptung eines Wahlbetrugs bei den Präsidentschaftswahlen von 2020; sein Aufruf, gerichtet an einen wütenden Mob, das Kapitol in Washington zu stürmen; die Einleitung von gleich zwei Amtsenthebungsverfahren. Jetzt ist Trump auch noch der erste ehemalige Präsident, der sich vor einem Strafgericht verantworten muss.

Damit ist schon jetzt klar: Donald Trump wird auch in die Rechtsgeschichte der USA eingehen.

Worum geht es?

Am vergangenen Donnerstagabend (Ortszeit) hat eine Grand Jury in New York entschieden, Trump anzuklagen. Ausgangspunkt ist eine Affäre, die er 2006 mit der Pornodarstellerin Stormy Daniels gehabt haben soll. Daniels - mit bürgerlichem Namen Stephanie Clifford - behauptet, mit Trump Sex gehabt zu haben, kurz nachdem seine dritte Frau Melania den gemeinsamen Sohn Barren zur Welt gebracht hatte. Weil die Angelegenheit unmittelbar vor der Präsidentschaftswahl 2016 an die Öffentlichkeit zu gelangen drohte, zahlte Trumps damaliger „Problemlöser“ und Anwalt Michael Cohen Daniels 130.000 Dollar. Vier Wochen später siegte Trump gegen seine demokratische Konkurrentin Hillary Clinton.

Doch das ist nicht, was Trump nun in Bedrängnis bringt. Die Auszahlung von Schweigegeld ist in Amerika nicht verboten, und das Delikt, dass Trump die Rückzahlung an Cohen fälschlicherweise als Anwaltskosten ausgab, ist bereits verjährt. Weiter verfolgbar ist die Angelegenheit nur, wenn damit ein zweites Delikt zusammenhängt, das nicht verjährt ist: unerlaubte Wahlkampffinanzierung.

Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg dürfte argumentieren (die Anklageschrift war bis Redaktionsschluss nicht veröffentlicht), dass Trump mit der Schweigegeldzahlung gegen die Gesetze des Bundesstaats New York verstoßen hat. Das Schweigegeld könnte den Straftatbestand der illegalen Wahlkampfspende erfüllen – denn Trump habe damit Schaden von seiner Präsidentschaftskampagne abwenden wollen. Für dieses zweite Vergehen (nach den fälschlicherweise als Anwaltskosten deklarierten Geschäftsunterlagen) soll Trump nun vor Gericht gestellt werden; es drohen bis zu vier Jahre Haft. Am Dienstag soll er sich in Manhattan einem Haftrichter stellen.

Die Strategie des New Yorker Staatsanwalts ist gewagt, denn immerhin soll damit das Gesetz eines Bundesstaates auf eine Wahl angewandt werden, die im ganzen Land stattgefunden hat. Auch das ist ein Novum.

Wieso wird Trump ausgerechnet für ein vergleichsweise harmloses Vergehen angeklagt?

Trump dementiert, je mit Daniels Sex gehabt zu haben. Die Affäre allein ist an sich unerheblich: Vor Gericht muss bewiesen werden, dass er Schweigegeld gezahlt hat, um Schaden von seiner Präsidentschaftskampagne abzuwenden. Cohen argumentiert, dass Trump das Geld gezahlt hat, um seine Familie zu schützen.

Auch deshalb kritisieren viele, darunter führende Demokraten, dass Trump ausgerechnet für diese Straftat angeklagt wird. Immerhin gebe es andere Anlässe, ihn vor ein Gericht zu bringen. So könnte etwa die Staatsanwältin von Georgia Fani Willis eine Anklage wegen Wahlbetrugs auf den Weg bringen. Anfang Jänner 2021 forderte Trump den Innenminister des Bundesstaates Georgia dazu auf, zusätzliche Stimmen für ihn zu finden. „Alles, was ich brauche, sind 11.000 Stimmen“, sagt er in dem aufgezeichneten Telefonat. Die Kritiker der Anklage führen ins Treffen, dass Trump eine Gefahr für die Demokratie darstellt – und ein Verfahren in Georgia, wo er versucht hat, das Wahlergebnis in seinem Sinn zu manipulieren, sinnvoller wäre.

Ermittelt wird noch in weiteren Fällen: weil Trump geheime Akten in sein Privatdomizil Mar-a-Lago mitgenommen hat; wegen seiner Rolle beim Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021; wegen vermeintlicher Steuerhinterziehung und wegen möglicher Absprachen seines Wahlkampfbüros mit Moskau im Wahlkampf 2016. Zur Anklage kam es in diesen Fällen aber – noch – nicht.

Stattdessen hat Bragg den „Zombie-Fall“ Stormy Daniels wiederbelebt. Ob Trump nun verurteilt wird oder nicht: Der Präzedenzfall in New York könnte andere Staatsanwälte, darunter Willis in Georgia, dazu ermuntern, ihrerseits Anklage zu erheben.

Welche Auswirkungen hat die Anklage auf Trumps Präsidentschaftskandidatur für 2024?

Potenziell viele, denn die Angelegenheit droht, das Land weiter zu polarisieren. Laut einer aktuellen Umfrage ist Trump unter den Anhängern der Republikaner nach wie vor der beliebteste Politiker. Im Fall einer Verhaftung haben seine Fans bereits vor Wochen Proteste angekündigt; Die Polizei in New York, wo Trump voraussichtlich am Dienstag der kommenden Woche vor Gericht erscheinen muss und vielleicht sogar festgenommen wird, bereitet sich auf Ausschreitungen vor. Trump selbst spricht – wieder einmal – von einer „Hexenjagd“. Die Rhetorik des ehemaligen Präsidenten und seiner Anhänger erinnert an die angespannte Stimmung vor dem Sturm auf das Kapitol.

Doch das Blatt kann sich auch wieder gegen ihn wenden – je nachdem, welche Aussichten Trump im Vergleich mit anderen republikanischen Kandidaten hat.

Bisher war es Trumps Strategie, Verfahren möglichst lange hinauszuzögern. Sollte jenes in New York erst 2024 beginnen, würde es mit dem Wahlkampf zusammenfallen. Trump will wieder antreten – und das darf er auch, selbst im Fall einer Verurteilung. Es wäre nicht das erste Mal: Im Jahr 1920 bestritt der Sozialist Eugene V. Debs den Wahlkampf für seine fünfte Präsidentschaftskandidatur vom Gefängnis aus – und erreichte 3,4 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Bisher ist es gelungen, ehemalige US-Präsidenten vor Anklagen zu schützen. Richard Nixon blieb in der Watergate-Affäre eine Anklage erspart, weil sein Nachfolger Gerald Ford ihn begnadigte. Und Bill Clinton gab am Ende seiner Amtsperiode zu, unter Eid über seine Affäre mit Monica Lewinsky gelogen zu haben – und bezahlte 25.000 Dollar, um einer Anklage als Privatperson zu entgehen.

Nun bricht Trump – wenn auch unfreiwillig – auch noch dieses Tabu.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.