Viktor Orbán

Ungarn: Guerilla-Partei gegen Viktor Orbán

Mit einer fragwürdigen Volksabstimmung bekämpft der Populist Viktor Orbán die Flüchtlingspolitik der EU. Eine winzige Guerilla-Partei hält dagegen.

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Die Sprüche, die in Ungarn landauf, landab auf Laternenmasten, Stromkästen und Betonwänden kleben, ergeben keinen Sinn: "Wussten Sie? Brüssel ist eine Stadt“ oder "Wussten Sie? In Syrien ist Krieg“. Ein Indiz, was es mit den Botschaften auf sich hat, liefern zwei in Comicstrip-Manier gezeichnete Hunde. Sie haben runde, rote Augen, eine Krawatte um den Hals und: jeweils zwei Schwänze. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass die politische Spaß-Partei "Der Zweischwänzige Hund“ (MKKP) Urheberin der Guerilla-Plakataktion ist. Aber was will sie damit?

In Ungarn herrscht Wahlkampf. Am Sonntag der kommenden Woche lässt Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef Viktor Orbán sein Volk über den Plan der EU abstimmen, Flüchtlinge per Quote auf die Mitgliedsstaaten zu verteilen. Der ungarische Premier nennt das "Zwangsansiedlungen“. Seit eineinhalb Jahren fährt die Orbán-Regierung eine massive Kampagne gegen die Asylwerber, die sie immer "Migranten“ nennt. Der Zweischwänzige Hund versucht sie mit seinen frappanten und absurden Feststellungen zu unterlaufen. Es ist ein sehr ungleiches Match: 3,9 Milliarden Forint (12,6 Millionen Euro) an Steuergeldern gibt die Regierungsseite aus, 33 Millionen Forint (107.000 Euro) hat die Spaß-Partei in Form von Kleinstspenden von Sympathisanten bisher eingesammelt. Das ist immerhin mehr als die eher dahinsiechenden demokratischen Oppositionsparteien aufbringen, um zum Boykott des Referendums oder zur Abgabe einer ungültigen Stimme aufzurufen.

Unsere Regierung braucht immer einen Sündenbock. (Gergő Kovács)

Im dritten Stock des Budapester Corvin-Warenhauses, einem nahezu unveränderten Relikt der Architektur des späten Realsozialismus, hat sich das Alternativ-Kulturzentrum "Müveszeti Szint“ (Kultur-Niveau) eingenistet. In einem winzigen Nebenzimmer tagt der permanente Stab des Zweischwänzigen Hundes. Im Aschenbecher türmen sich die Tschick-Stummel, vier Männer und eine Frau im Alter zwischen 20 und 30 Jahren nippen an Tassen mit schwarzem Kaffee oder Tee. Es sind legere Zeitgenossen, die gerne reden und lachen. Gergő Kovács zum Beispiel, ein 36 Jahre alter Grafiker mit Street-Art-Vergangenheit. Er ist der Vorsitzende der seit 2014 amtlich eingetragenen Partei.

"Die Regierung gibt Unsummen von Geld aus, um in den Menschen Hassgefühle zu wecken“, sagt Kovács. "Aus Millionen Menschen wird das Böse herausgekitzelt. Der Schaden ist enorm, die zwischenmenschlichen und sozialen Beziehungen leiden darunter ungemein.“ Die "Wussten Sie?“-Botschaften seiner Partei sind die Antwort auf eine der jüngsten Regierungskampagnen. Unter dem Leitmotiv "Wussten Sie?“ wurden da Sätze plakatiert wie: "Seit Beginn der Migrationskrise ist die sexuelle Belästigung von Frauen sprunghaft angestiegen.“

"Unsere Regierung braucht immer einen Sündenbock“, beschreibt Gergő Kovács den Führungsstil Orbáns. "Zuerst war es die Opposition, dann waren es die Obdachlosen, dann die Drogenkonsumenten, die EU, die Banken, die ausländischen Firmen. Dann kamen die Flüchtlinge, und mit ihnen hatte Viktor Orbán einen perfekten Feind.“ Tatsächlich gibt es einen Schlüsselmoment, der zeigt, wie strategisch der Populist Orbán manchmal zu denken imstande ist. Im Jänner 2015, nach dem Terroranschlag auf die Redaktion des Pariser Satire-Magazins "Charlie Hebdo“ und noch Monate vor dem großen Flüchtlingszustrom nach Europa, war auch Orbán unter den europäischen Spitzenpolitikern, die in der französischen Hauptstadt ihre Solidarität mit den Opfern bezeugten. Zum ungarischen Fernsehen sagte er direkt am Schauplatz: "Man darf nicht so tun, als würde die Wirtschaftsmigration irgendeinen Nutzen haben, denn sie bringt nur Probleme und Gefahren für den europäischen Menschen. Deshalb muss die Migration gestoppt werden.“

Orbán ist der heimliche Star der AfD-und Pegida-Anhänger.

Es war der Moment, als sich der Europa-Skeptiker Viktor Orbán zum Verteidiger des Kontinents aufschwang. Wenige Wochen später, aber immer noch Monate vor dem Einsetzen des großen Flüchtlingszustroms, ließ Orbán die erste Serie von fremdenfeindlichen Plakaten drucken. "Wenn du nach Ungarn kommst“, stand da auf Ungarisch auf den Billboards, "dann darfst du den Ungarn nicht die Arbeit wegnehmen.“ Der Zweischwänzige Hund konterte mit Plakaten auf Englisch: "Sorry für unseren Premierminister“ und - unter Anspielung auf die Auswanderung Hunderttausender junger Ungarn nach Großbritannien - "Kommt nach Ungarn, wir haben Jobs in London“.

Orbán herrscht seit 2010 mit zunehmend autoritären Methoden über sein Land. Zielstrebig höhlt er die demokratischen Institutionen aus, und ihm nahe stehende Oligarchen verdrängen die unabhängigen Medien vom Markt. Nach der Wiederwahl 2014 jedoch begann Orbáns Popularität zu sinken. Anfang 2015 gingen wichtige Parlamentsnachwahlen und damit die Zweidrittelmehrheit in der Volksvertretung verloren. Immer lauter wurde über Korruption und Vetternwirtschaft im System Orbán geredet.

Dann wendete sich das Blatt erneut: Die Flüchtlingsthematik war für Orbán ein Geschenk des Himmels. Seine Popularitätswerte gingen wieder nach oben, seine Macht ist seither so gefestigt wie nie. Auf der europäischen Bühne hat er sich mit dem Merkel-Gegner Horst Seehofer (CSU) verbrüdert, und gemeinsam mit Jaroslaw Kaczyński, dem starken Mann Polens, plant er die "kulturelle Konterrevolution“ - in ganz Europa, versteht sich. Orbán ist der heimliche Star der AfD-und Pegida-Anhänger. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bewundert ihn offen.

Jetzt werden die Ungarn aufgefordert, beim Referendum am Sonntag "Nein“ zu sagen. Die tendenziöse Frage lautet: "Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nicht ungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?“ Damit die Volksabstimmung gültig ist, müssen mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten eine gültige Stimme abgeben. Das Regierungslager muss vier Millionen Ungarn an die Urnen bringen.

Den Gemeinden wird angedroht, dass sie Migranten aufnehmen müssen, wenn sie keine ausreichende Wahlbeteiligung vorweisen können.

Die Kampagne läuft inzwischen auf Hochtouren. Rundfunk und Fernsehen bombardieren die Bürger mit Aufrufen und Gräuelmeldungen. Politiker der Regierung und der Orbán-Partei Fidesz (Bund Junger Demokraten) touren durch das Land. Den Gemeinden wird angedroht, dass sie Migranten aufnehmen müssen, wenn sie keine ausreichende Wahlbeteiligung vorweisen können. Den Roma wird eingeschärft, dass ihnen die Sozialhilfe weggenommen wird, falls Migranten kommen. Der Fidesz-Hinterbänkler Gabor Simonka sorgte sich am letzten Dienstag auf einer Wahlveranstaltung im südostungarischen Mezökovacshaza: "Wenn ich zusammen mit meinen Kindern bete, denke ich mir manchmal: Kann sein, dass meine kleine Tochter in 15 Jahren einen Muslim zur dritten Frau nimmt.“ Parlamentspräsident László Kövér, einer der Gründerväter des Fidesz, verkündete in Jaszbereny, einer Kleinstadt östlich von Budapest, dass die Integration der Ausländer in Deutschland gescheitert sei. Als Kronzeugen benannte er den türkischstämmigen Fußballer Mesut Özil, der als Mitglied der "Internationalelf“ - so Kövers Wortschöpfung - "vor Länderspielen die deutsche Hymne nicht mitsingt“.

Wacker schlägt sich die Partei Zweischwänziger Hund, wenn sie mit ihrer Kampagne für eine ungültige Stimmabgabe auch derartige Absurditäten zu überbieten trachtet. "Wussten Sie? Die Wasserwerke könnten jederzeit LSD ins Trinkwasser schmuggeln“, lautete ein Poster-Spruch. Die Machthaber schlugen zurück: Die Budapester Wasserwerke kündigten eine gerichtliche Klage an - wegen Rufschädigung.