Analyse

Sieg für Labour im Vereinigten Königreich: Endlich Langeweile!

Das Vereinigten Königreich steht vor einem Neustart. 14 Jahre waren die konservativen Tories an der Macht, nun übernimmt Labour.

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Es ist vorbei. 14 Jahre lange haben die konservativen Tories Großbritannien regiert, drei Premierminister und zwei Premierministerinnen sind in die Downing Street 10 ein- und wieder ausgezogen, jetzt ist Labour am Zug. Die Sozialdemokraten von Keir Starmer haben die Wahlen am Donnerstag haushoch gewonnen und ziehen mit 411 Abgeordneten ins britische Unterhaus ein. Es ist ein Plus von 210 Sitzen, das beste Ergebnis aller Zeiten. Die Tories des scheidenden Premiers Rishi Sunak stürzen auf 119 Sitze ab – ein Verlust von 249 Mandaten, auch das ein Rekord.

Neben Labour zählen die Liberaldemokraten zu den Gewinnern, sie kommen auf 71 Sitze, 63 mehr als zuvor. Die rechtspopulistische UK Reform Party kommt auf vier Sitze, Parteichef Nigel Farage zieht erstmals ins britische Parlament ein.

Verluste für schottische SNP

Zur Katastrophe wurde die Wahl für die schottische SNP, sie verlor zahlreiche Sitze an Labour und fuhr das schlechteste Ergebnis seit mehr als zehn Jahren ein. 

Angetreten war die SNP mit dem Versprechen, die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich weiter voranzutreiben. Diese Bestrebungen liegen nun auf Eis, so bald wird es kein zweites Referendum geben.

Bisher hatte Labour in Schottland wenig zu sagen, die SNP dominierte die Politik im Norden Großbritanniens. Doch in den vergangenen zwei Jahren folgte Skandal auf Skandal – und der Parteimotor begann zu stottern. 

Gewinne für Republikaner in Nordirland

Interessant sind auch die Ergebnisse in Nordirland. Dort konnte die irisch-republikanische Sinn Féin ihre sieben Sitze halten, die unionistische DUP verlor drei Mandate und zieht mit fünf Abgeordneten ins Unterhaus ein. 

In Nordirland gehen damit die meisten Mandate an Sinn Féin, doch die sieben Abgeordneten werden nicht ins britische Unterhaus einziehen. Sinn Féin strebt eine Wiedervereinigung Nordirlands mit der Republik Irland an, ihre Abgeordneten verweigern den Treueeid auf den britischen Monarchen und damit auch den Einzug ins Parlament.

Besonders dramatisch war die Wahlnacht im nordirischen North Antrim, wo Ian Paisley von der DUP seinen Sitz verlor. Paisley ist der Sohn des berüchtigten gleichnamigen presbyterianischen Pfarrers und unionistischen Hardliners, der die Friedensbestrebungen in Nordirland lange blockierte und die nordirische Regionalregierung von 2007 bis 2008 als First Minister leitete. Mehr als 50 Jahre lang lag das Mandat in den Händen der Paisleys, nun ging es an die Traditional Unionist Voice (TUV), die sich 2007 von der DUP abgespaltet hatte. 

Strafe für 14 Jahre Chaos

Für die Tories ist es die schlimmste Niederlange in ihrer Geschichte. Überrascht hat das nicht. In den vergangenen 14 Jahren schlitterte ist das Land immer tiefer ins Chaos. Gesundheitssystem, Infrastruktur, Bildungssystem, Wohnungsmarkt – es gibt kaum einen Bereich, der noch reibungslos funktioniert.

Sunak und seiner Konservativen Partei droht historische Wahlschlappe

Zuerst machte die strenge Sparpolitik der Konservativen den Menschen zu schaffen, 2020 folgte der Brexit. Im Corona-Lockdown feierte Premier Boris Johnson Partys in der Downing Street und belog das Parlament, seine Nachfolgerin Liz Truss (die nun ihren Sitz im Parlament verlor) trieb das Land mit ihrem Steuerexperiment beinahe in den Ruin.

Am schwersten ausgewirkt hat sich die Sparpolitik der Konservativen, unter der – abgesehen von der obersten Schicht – alle Menschen litten. Das Budget der Gemeinden schrumpfte um mehr als die Hälfte, Schwimmbäder, Jugendzentren und Gemeindeämter mussten schließen, dafür gibt es heute eine Rekordzahl von Stellen für Lebensmittelhilfen für Arme. 

Was hat Keir Starmer vor?

Künftig wird also Keir Starmer Großbritannien und Nordirland regieren. Mit 411 Sitzen verfügt er über eine Mehrheit, die es ihm erlaubt, Abweichler aus den eigenen Reihen zu ignorieren. Viele Menschen empfinden Starmers Sieg als Erlösung von den Tories. Der Labour-Chef gilt als farblos, doch nach dem politischen Chaos der vergangenen Jahre sehnen sich viele nach Langeweile. 

„Wir haben es geschafft!“, rief Starmer seinen jubelnden Anhängern Freitagfrüh in London zu. Das Land habe nun eine Chance auf eine Zukunft. Was genau Starmer machen wird, ist allerdings nicht ganz klar. Im Wahlkampf hat er auf allzu konkrete Ankündigungen verzichtet, nur so viel: Das marode Gesundheitssystem NHS soll besser werden, investiert werden soll auch ins Bildungssystem und in die Kriminalitätsbekämpfung. Finanzieren will Starmer seine Vorhaben unter anderem durch den Kampf gegen Steuervermeidung und ein Ende der Steuerbefreiung auf  Gebühren von Privatschulen. 

Was die Beziehungen zur EU betrifft, so will Starmer diese wieder verbessern. Eine Rückkehr in den Binnenmarkt ist zwar nicht geplant. Doch mit dem Sieg Labour kann auch Brüssel aufatmen. In den vergangenen Jahren haben der Brexit, das Chaos danach und die Verhandlungen mit London die Beziehungen zum Vereinigten Königreich schwer belastet. Premier Starmer verspricht nun einen Neubeginn. 

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.