Bernie Sanders

Verzweifelt gesucht: Ein Gegner für Trump

Die Suche der Demokraten nach einem Kandidaten für die US-Präsidentschaftswahlen 2020 zeigt erste Tendenzen.

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Natürlich weiß Nate Silver, der amerikanische Demoskopen-Guru, dass es pure Scharlatanerie wäre, heute vorauszusagen, wer von den Demokraten Ende nächsten Jahres gegen Donald Trump antritt. Die Vorwahlen für die demokratische Präsidentschaftskandidatur beginnen ja erst in einem Jahr. Und zu diesen drängen sich immer mehr Anwärter.

Dennoch macht sich Silver den Spaß, einen Tipp abzugeben. Sein Favorit ist eine Favoritin und heißt Kamala Harris. Die feine, scharfzüngige Senatorin aus Kalifornien und ehemalige Justizministerin dieses Bundesstaates stellt allein schon mit ihrem sichtbaren Migrationshintergund – indische Mutter und jamaikanischer Vater – so recht ein Kontrastprogramm zum rüpelhaften Rassisten und Sexisten im Weißen Haus dar.

Beeindruckt hat Silver vor allem der überaus erfahrene Wahlkampfstab von Kamala Harris, ihr fulminanter Start beim Fundraising und ihre sprunghaft gestiegenen Zustimmungsraten.

Charismatischer Texaner

Silver äußert auch eine Vermutung, wer Kamals Vize wird: Beto O’Rourke. Der charismatische Texaner mit einem Aussehen und einer Ausstrahlung, die an John F. Kennedy erinnert, hat zwar bei den jüngsten Midterm-Wahlen einen Senatoren-Sitz knapp verpasst, aber eine bemerkenswerte Mobilisierungskraft gezeigt. Als weißer Mann aus dem Süden würde er perfekt auf ein Ticket mit Kamala Harris von der Westküste passen. Die beiden ergänzen sich.

Silvers Tippen hat eher spielerischen Charakter. Seine Überlegung ist aber das, was man im Englischen „educated guess“ nennt. Der Wahlanalytiker, der eigentlich von der Berechnung von Poker- und Baseballwetten herkommt, arbeitet immer mit Wahrscheinlichkeiten. So hat er nun auf der Grundlage von unzähligen Datensätzen „ausgerechnet“, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 55 Prozent der demokratische Trump-Herausforderer kein weißer Mann sein wird. Auf dieser Grundlage gewinnt seine Paarung Harris/O’Rourke eine gewisse Plausibilität.

Klar ist aber auch, dass Kandidaten, die heute populär sind, am Ende dennoch nicht das Rennen machen werden. Die Zustimmungsraten in Umfragen – bei denen Präsident Barack Obamas Vize, der pragmatische 78-jährige Joe Biden führt, gefolgt von Bernie Sanders (Anm.: Sanders hat nach Veröffentlichung dieses Artikels bekannt gegeben, tatsächlich wieder kandidieren zu wollen), dem gleichaltrigen Star der Linken bei den letzten Pimaries im Jahr 2016 – messen eher Bekanntheitsgrad als Beliebtheit, haben also wenig prognostischen Wert. Das Karussell der Vorwahlen wird sich noch Dutzende Male drehen, bevor ein echter Favorit aus der Menge jener, die ins Weiße Haus wollen, nach vorn tritt.

Und die Menge der Anwärter ist groß und wird immer größer. Bereits jetzt haben zehn ihre Kandidatur verkündet, weitere fünf dürften in den kommenden Wochen dazukommen. Und es wird angenommen, dass es an die 20, wenn nicht sogar mehr sein werden. Damit dürften die USA die Vorwahlen mit den meisten Kandidaten in der amerikanischen Geschichte erleben. Der bisherige Rekord von 17 Teilnehmern bei den republikanischen Primaries im Jahre 2016, die den Weg Trumps ins Weiße Haus freimachten, wird damit gebrochen.

Geschlecht spielt keine Rolle

Ein weiterer Spitzenwert: Noch nie haben sich real so viele Frauen um die Präsidentschaft beworben wie diesmal. Als Hillary Clinton 2016 kandidierte, sprach sie davon, die „höchste und härteste Glasdecke durchstoßen“ zu wollen. Nach dem heutigen Stand sind bereits fünf Sprünge in der Glasdecke sichtbar: Neben Kamala Harris haben gleich drei weitere Senatorinnen, Elizabeth Warren (Massachusetts), Kirstin Gillibrand (New York) und Amy Klobuchar (Minnesota), sowie die Abgeordnete Tulsi Gabbard (Hawaii) ihr Antreten bekannt gegeben. Umfragen unter Demokraten zeigen, dass für eine überwältigende Mehrheit das Geschlecht der Kandidaten bei ihrer Wahl überhaupt keine Rolle spielt.

Die Frauenrevolution, die in Amerika seit zwei Jahren im Gange ist, hat es möglich gemacht. Die gewaltigen, weitgehend weiblich dominierten Demonstrationen gegen Trump sowie die #Metoo-Bewegung, die Frauen nicht mehr als Opfer mächtiger Männer sehen will, sind der Hintergrund, vor dem schon bei den Zwischenwahlen massenhaft wie nie zuvor Kandidatinnen – vor allem der Demokratischen Partei – ins Repräsentantenhaus entsandt wurden.

Elizabeth Warren

Die Partei, die Trump aus dem Weißen Haus vertreiben will, zeigt sich heute so bunt wie die amerikanische Gesellschaft von heute. Ein scharfer Kontrast zu den Trump-Republikanern, die wie ein Seniorenclub weißer Männer aussehen.

Im dicht gedrängten demokratischen Vorwahllager tummeln sich eben Frauen und Männer, Junge und Alte, Weiße, Latinos – etwa der ehemalige Bürgermeister von Antonio und Ex-Wohnungsminister Julian Castro – und Schwarze: Der schwarze Senator von New Jersey, Cory Booker, und Kamala Harris, die mit ihren indischen Wurzeln auch noch das asiatische Element einbringt, liegen im Spitzenfeld jener, die reale Chancen haben, die Primaries für sich zu entscheiden. Und mit dem 37-jährigen Pete Buttigieg, dem Bürgermeister von South Bend, Indiana, rittert erstmals ein deklarierter Schwuler um das höchste Amt im Staat.

Fließende Übergänge

Auch politisch zeigt sich die demokratische Anti-Trump-Truppe vielfältig wie noch nie: Alles, von weit links bis zu sehr moderat, ist vertreten – in allen Schattierungen. Doch im Unterschied zu 2016, als sich die vom Partei-Establishment inthronisierte moderate Hillary Clinton und der linke Volkstribun Bernie Sanders als Vertreter je eines Flügels der Partei schroff gegenüberstanden, hat die Führung der Demokraten keinen Favoriten und sind die politischen Positionen der verschiedenen Kandidaten nicht so scharf voneinander abgegrenzt wie noch vor drei Jahren. Da herrschen fließende Übergänge.

Vor allem aber: „Die demokratische Partei ist insgesamt nach links gerückt“, diagnostiziert Nate Silver. Kurz gesagt: Das meiste, was bei den letzten Wahlen als radikal galt, ist heute demokratischer Mainstream: Höhere Besteuerung der Reichen, eine Krankenversicherung wie in den europäischen Wohlfahrtsstaaten, eine generöse Einwanderungspolitik, die den illegal im Land lebenden und arbeitenden Immigranten den Weg zur Staatsbürgerschaft eröffnet, und restriktive Waffengesetze – ohne diese Programmpunkte kann heute keiner der Kandidaten reüssieren. Auch nicht ohne eine Art „New Green Deal“.

Nun geht innerhalb der Demokratischen Partei die Angst um, dass die Teilnehmer von Vorwahlen wie bisher zu politischen Extemen tendieren, sich also stark von den demokratischen Wählern insgesamt unterscheiden und dabei die Gefahr bestünde, einen Kandidaten bei den Vorwahlen zu küren, der dann bei den allgemeinen Wahlen die „Independents“, die Wechselwähler, abschreckt.

Sanders‘ skandinavischer Weg

Das mag in der Vergangenheit gegolten haben. Heute scheinen sich, so zeigen die Umfragen, die demokratischen Primary-Wähler kaum von den Demokraten allgemein zu unterscheiden. Und Bernie Sanders, der gemeinsam mit Elizabeth Warren vielfach als zu links und deshalb „nicht wählbar“ gilt, kann – auch das haben die Meinungsforscher herausgefunden – mit Recht darauf hinweisen, dass er mit den meisten seiner Programmpunkte, von der stärkeren Reichenbesteuerung, der Erhöhung des Mindestlohns, seinen öko- und gesundheitspolitischen Punkten bis zu seiner einwanderungsfreundlichen Migrations-Konzeption nicht nur bei den Demokraten, sondern generell beim amerikanischen Wahlvolk satte Mehrheiten hinter sich hat. Bei genauer Betrachtung ist Bernies „Sozialismus“ auch wirklich nicht so extrem. Was er propagiert, gleicht dem, was in Europa Sozialdemokratie heißt. Was er vorschlägt, ist nicht der venezolanische, sondern der skandinavische Weg.

Heftige Auseinandersetzungen über die Frage der „electability“ – wer also wählbar ist und wer nicht – sind jedenfalls in den kommenden Monaten zu erwarten. Eher dem moderaten Flügel zugerechnete Kandidaten wie Amy Klobuchar, Joe Biden oder der Abgeordnete John Delaney aus Maryland werden den kämpferischen, als radikal eingestuften Senatoren Elizabeth Warren, Bernie Sanders und Kamala Harris gegenübergestellt, die, so geht die Argumentation, keine Chance hätten, die „Independents“ auf ihre Seite zu ziehen.

Solche taktische Herangehensweise findet freilich ihre Kritiker. Für Ben Terris etwa, Jornalist der „Washington Post“, ist diese geradezu eine „ansteckende Krankheit“: Die Infizierten „fühlen sich unfähig, sich in einen Kandidaten zu verlieben, stattdessen sorgen sie sich andauernd darum, was ein theoretischer Wechselwähler wohl fühlen könnte“. Auch die Medien seien inzwischen schon angesteckt.

Schließlich hat Terris ein veritables Totschlagargument parat: Hillary Clinton hatte die höchste „Electability“ unter den demokratischen Anwärtern. Und verlor. Donald Trump wiederum erschien bis zum Wahltag geradezu als die fleischgewordene Unwählbarkeit. Und siegte.

Georg Hoffmann-Ostenhof