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Von Tel Aviv nach Wien: Als mich die Vergangenheit nach Hause brachte

Mein Großvater flüchtete einst vor Österreich nach Israel – jetzt habe ich das Land unter Raketenbeschuss gen Wien verlassen. Ein persönlicher Erfahrungsbericht über eine besondere Rettungsaktion zwischen Tod und Leben – und was das mit dem Gefühl einer Nation zu tun hat.

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von Uri Blau

Ramat Gan, ein Vorort von Tel Aviv. Ich bin schon oft hier gewesen, aber nie hätte ich gedacht, dass ich hier so stehen werde. Mit schwerem Herz und schwerem Gepäck, auf der Flucht aus dem Land, in dem ich aufgewachsen bin und das ich liebe. Es ist ungefähr 10 Uhr am Sonntagmorgen, als ich hier in den Bus steige, der im Konvoi Richtung Israels Grenze zu Ägypten als Teil der ersten und bislang einzigen Flugrettungsmission Österreichs fährt. Insgesamt sind es vier bummvolle Busse, gefüllt mit hauptsächlich Österreicherinnen und Österreicher, die während des Kriegs mit dem Iran hier gestrandet sind und rauswollen.

Die Gruppe ist bunt gemischt: Familien mit sehr kleinen Kindern, die zwar in Israel leben, aber die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen; religiöse, israelische Jüdinnen und Juden aus Wien, die während einer Reise ins Heilige Land festsitzen; ein älterer Österreicher mit israelischer Freundin, die zu alt ist, um das Land mit ihm zu verlassen; ein Österreicher, der seine Freundin in einer ungünstigen Zeit besuchen wollte; ein ungarisch-israelisches Paar, das seit mehr als 30 Jahren in Budapest lebt; eine israelische Frau aus Florida mit österreichischem Pass – und viele weitere. Und eben ich, Uri Blau – 47 Jahre alt, Journalist, in Israel aufgewachsen, in den USA lebend und stolzer Besitzer einer österreichischen Staatsbürgerschaft. Ich kam spontan zu einem sehr traurigen Anlass nach Hause – und plötzlich kam ich nicht mehr raus. Aber dazu später.

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Österreich rettet Staatsbürger unter Raketenbeschuss

Aus dem Land war zu diesem Zeitpunkt kein Fortkommen. Österreich organisierte einen Konvoi von vier Bussen und schleuste Staatsbürger über die ägyptische Grenze in Sicherheit. 

Da bin ich nun also, mit all diesen Menschen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dies sei eine organisierte Gruppenreise, aber die mit gedämpfter Stimme geführten Gespräche zeigen: Diese Reise ist für niemanden ein Vergnügen. Menschen tauschen Geschichten darüber aus, wie sie von dieser Rettungsmission erfahren haben, wie sie es geschafft haben, an Bord zu kommen, und wie nahe ihnen Raketen gekommen waren. Wir diskutieren auch über andere Rettungsaktionen.

„Die Deutschen waren nicht so nett“, sagt jemand. „Sie ließen keine Nicht-Deutschen mitfliegen.“ „Die USA haben für ihre Staatsbürger überhaupt nichts getan“, entgegne ich. „Stimmt“, meint ein junger ultraorthodoxer Mann mit seiner hochschwangeren Frau und zwei kleinen Kindern, „aber Trump hat Iran bombardiert.“

Ich bin in Israel geboren, in Jerusalem aufgewachsen, lebe seit zehn Jahren in Washington D.C., arbeite als investigativer Journalist für das israelische Medium „Shomrim“ – und bin Neo-Österreicher.

 Als Israeli wächst man mit Kriegen und Konflikten auf, ich habe sie seit frühester Kindheit erlebt. Aber dieses Mal, dieser Krieg, das hat sich anders angefühlt. Die iranischen Raketen, die nach Israel geflogen sind, haben dort mehr Schaden angerichtet als je zuvor – nicht nur an Häusern, auch in den Seelen der Menschen.

Uri Blau

über einen Krieg, der anders ist als die zuvor