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„Die Digitalisierung bietet auch enorme Chancen“

Weltweit gibt es Milliarden von Computern, die mit dem Internet verbunden sind und ihre Nutzer*innen mit Wissen versorgen. Univ.-Prof. Dr. Arnd Florack vom Institut für Psychologie an der Universität Wien erzählt, wie das menschliche Gehirn damit umgeht.

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In sozialen Netzwerken verkehren, Nachrichten abrufen und im Internet surfen: Wie können wir so viele Daten und Informationen, die täglich auf uns einströmen, verarbeiten?
Arnd Florack: Der Mensch hat im Laufe der Evolution gute Werkzeuge entwickelt, um Sachen zu vereinfachen, Entscheidungen schneller zu treffen und Dinge voraussagen zu können. Ich gebe ein Beispiel: Wenn Ihnen jemand einen Ball zuwirft, fangen Sie diesen, ohne die Windrichtung, Abstände oder Flugbahn zu berechnen. Das lässt sich auf die moderne digitale Gesellschaft übertragen: Es prasseln zwar jede Menge Informationen auf uns ein, aber dennoch sind wir in der Lage, in unserem Leben ohne Beachtung komplexer Informationen gut zurechtzukommen. Das erste Werkzeug, das uns dabei hilft, ist die selektive Wahrnehmung. Wir können unsere Aufmerksamkeit auf die Dinge richten, die für uns gerade wichtig sind, alles andere blenden wir aus. Wir selektieren also das heraus, was relevant ist. Ein anderes Werkzeug ist die Orientierung am „Wisdom of the Crowd“ – im Mittel ist die Einschätzung einer großen Zahl von Menschen sehr gut. Deshalb verlassen wir uns auf Menschen, die ähnliche Einstellungen und Bedürfnisse haben wie wir selbst. Auch diese Vereinfachung passt in viele Situationen. Das Problem ist nicht die Verfügbarkeit der Information. Das Problem sind Versuche der Beeinflussung und der Aufmerksamkeitsbindung. Die Orientierung an anderen funktioniert oft gut, aber sie ist auch ein Tor zur Manipulation. Die selektive Aufmerksamkeit ist dann wenig nützlich, wenn diese auf die sozialen Medien gerichtet wird. Wir müssen uns mehr darauf konzentrieren, was für uns wichtig ist. 

Schüler*innen müssen früh Kompetenzen erwerben, wie man digitale Angebote für die eigene Weiterentwicklung nutzt. Wir müssen digitale Angebote als Werkzeug für unsere Ziele verwenden. Die Gefahren sind Passivität und Konsum, der letztendlich den Zielen von anderen dient.

Univ.-Prof. Dr. Arnd Florack

Institut für Psychologie an der Universität Wien

Genau das ist aber schwer. Ein Blick in die sozialen Netzwerke, und schon führt uns ein Beitrag zum nächsten. Wie kann man diesen Kreislauf durchbrechen?
Die Algorithmen der sozialen Medien sind darauf ausgerichtet, unsere Aufmerksamkeit zu binden. Nutzt man aber die sozialen Medien mit einem Ziel, lässt man sich weniger ablenken. Sie kennen die Situation sicher: Sie wollen etwas erledigen und sind so vertieft, dass Sie nicht einmal mitbekommen, dass Sie jemand anspricht. Das ist ein guter Mechanismus, der uns vor Ablenkung schützt. Allerdings versuchen die sozialen Medien, diesen Flow selbst zu erzeugen, und das gelingt ihnen, wenn wir sie ohne eigenes Ziel nutzen. Dies machen wir leider zu oft.
Das soll aber keineswegs heißen, dass die Digitalisierung etwas Schlechtes ist. Im Gegenteil: Sie bietet enorme Chancen, soziale Ungleichheiten auszugleichen. Die Entwicklungen im Bereich der generativen künstlichen Intelligenz unterstützen Chatbots, die von Nutzern im Sinne eines Tutors verwendet werden können. Die Möglichkeiten sind enorm beeindruckend, aber sie müssen auch genutzt werden. Und das ist aktuell das Problem: Schüler*innen müssen früh Kompetenzen erwerben, wie man digitale Angebote für die eigene Weiterentwicklung nutzt. Es reicht nicht, auf die Gefahren der sozialen Medien hinzuweisen oder zu lehren, wie PowerPoint funktioniert. Es ist im Grunde immer der gleiche Punkt. Wir müssen digitale Angebote als Werkzeug für unsere Ziele verwenden. Die Gefahren sind Passivität und Konsum, der letztendlich den Zielen von anderen dient.

Univ.-Prof. Dr. Arnd Florack

Institut für Psychologie an der Universität Wien

Wie kann man sich davor schützen?
Drei Dinge sind wichtig. Das erste ist, sich klarzumachen, dass digitale Angebote ein Werkzeug für Probleme sind, die wir haben. Sie erleichtern unser Leben, aber wir sollten sie nicht ohne Problemstellung verwenden. Zudem ist es wichtig, dass wir unsere Selbstbestimmung über unsere Aufmerksamkeit bewahren. Es schadet nicht, Benachrichtigungen auszuschalten, wenn man sich konzentrieren möchte. Man muss nicht ständig erreichbar sein, nur weil man vermutet, dass andere dies erwarten. Dann kann man sich auf das konzentrieren, was ansteht – und selbst wenn es nur die Gartenarbeit ist, macht es so einfach mehr Spaß. Zuletzt sollten wir wieder lernen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und mit Fehlern in unwichtigen Bereichen zu leben. Die Suche nach Informationen über ein bestimmtes Produkt kann endlos fortgesetzt werden. Bei vielen Dingen ist es nicht wichtig, die perfekte Entscheidung zu treffen und dafür zuvor schon alle möglichen Informationen und Bewertungen zu lesen. Einfache Faustregeln sind hier oft besser, als umfassende Informationen zu nutzen und dann vielleicht sogar falsch zu gewichten.