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„Von rauchenden Schornsteinen zu rauchenden Köpfen“

Wissenschaft bedeutet Fortschritt – aber sie sichert einer Stadt auch Wohlstand. Dr. Michael Häupl, Präsident des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds, über den Zusammenhang zwischen Ökonomie und Forschung.

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Was bedeutet Wissenschaft für die Gesellschaft?

Michael Häupl: Wissenschaft steht in ihrer heutigen Anwendung für die Zukunft der jungen Leute und für Wohlstand. Und sie stellt eine Verbesserung der Lebensqualität dar. Ich bringe dazu ein persönliches Beispiel: Als meine Mutter einer Nierenstein-Operation unterzogen wurde, folgten vier Wochen Spitalsaufenthalt und drei Wochen Reha. Ich hatte achtmal einen Nierenstein, dreimal davon war ich im Steinzertrümmerer. Ich war über das Wochenende im Spital und konnte am Montag wieder arbeiten. Wenn das keine Lebensqualitätsverbesserung ist, weiß ich auch nicht. Und dann kommt noch eines dazu: Im Umfeld der Forschung arbeiten Menschen. Allein im Dienstleistungssektor gibt es durch die Wissenschaft viel mehr Arbeitsplätze als noch vor wenigen Jahren.

Sollte der Wert von Forschung mehr kommuniziert werden?

Michael Häupl: Werfen wir einen Blick nach Amerika. Dort glauben rund 40 % der Bevölkerung nicht an die Evolution und halten Darwin, so sie ihn überhaupt kennen, für einen Verbrecher. Das ist eine Form von Wissenschaftsfeindlichkeit, die große Auswirkungen hat. Sie wird für den Wohlstand der Vereinigten Staaten furchtbar schädlich sein, die Wissenschaft und damit auch die Innovation sowie den Arbeitsmarkt empfindlich stören. Punktuell wahrscheinlich sogar zerstören. Und was Massenarmut auslöst, kennen wir ja aus der Geschichte. Armut frisst Demokratie.

Inwiefern ist Forschung für die Ökonomie einer Stadt wichtig?

Michael Häupl: Wo Wissenschaft zu finden ist, siedelt sich Wirtschaft an, um die Forschung umzusetzen. Boehringer ist ein gutes Beispiel. Das Unternehmen wollte in Wien eine Fertigungsstätte ausbauen. Mittlerweile betreibt es hier betriebliche Forschungseinrichtungen, weil es in Wien durch die Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und durch die entsprechende Ausbildung von Forscher*innen eine wissenschaftliche Kulisse gibt, die ihresgleichen sucht. Wer in Wien eine Forschungseinrichtung errichtet, ist gekommen, um zu bleiben. Reine Produktionsstätten lassen sich verlagern, hängt aber etwas mit Wissenschaft zusammen, verziehen sich solche Unternehmen nicht so schnell wieder. Und betriebliche Forschungseinrichtungen großer Konzerne nützen umgekehrt wieder der Wissenschaftskulisse, aber auch dem Arbeitsmarkt und der Ausbildung. Die Ökonomie der Stadt hat sich von rauchenden Schornsteinen zu rauchenden Köpfen verändert.

www.wwtf.at

Zur Person

Dr. Michael Häupl studierte Biologie an der Universität Wien und promovierte zum Dr. phil., von 1975 bis 1983 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Naturhistorischen Museum, bevor er sich auf das Wirken in der Politik konzentrierte. 1983 wurde er Mitglied des Wiener Landtages und Gemeinderates, 1988 Amtsführender Stadtrat für Umwelt und Sport. 1993-2018 Landesparteivorsitzender der SPÖ Wien und von 1994-2018 Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien. 2018 zog er sich aus der Politik zurück und ist heute in zahlreichen Funktionen tätig: Präsident der Volkshilfe Wien, des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds und als Vorsitzender des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes.