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Für morgen sorgen

Neun Selbstvorsorge-Trends des Jahres 2025: Was sie bewirken, wie einfach sie in den Alltag integrierbar sind und wie viel Expert:innen davon halten.

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„Vorbeugen ist besser als heilen“, wusste schon der Arzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836). Heute ist der Erhalt der körperlichen und geistigen Gesundheit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe geworden, die als Lebensziel unseren Alltag durchdringt, soziokulturelle Entwicklungen vorantreibt und aus Patient:innen Konsument:innen macht. Denn Gesundheit, die Schlüsselressource der Zukunft, ist heute keine Schicksalsfrage mehr, sondern ein Kapital, das jeder und jede bis zu einem gewissen Grad selbstbestimmt managen und pflegen kann. Sei es im Spezialresort, in dem unter Urlaubsbedingungen die Umstellung auf einen gesünderer Lebensstil angestoßen wird, beim Heilfasten im Medical-Wellness-Urlaub oder beim alltäglichen Biohacking mit Hilfe von Nahrungsergänzungsmitteln, Meditation oder Wearables. Doch wie wirkungsvoll sind aktuelle Selbstvorsorge-Trends, die Gesundheitsblogs und Lifestyle-Influencer abfeiern? Eine kritische Einordnung. 

1.Epigenetische Ernährung

Wer Epi Food googelt, erhält rund 120 Millionen Suchergebnisse. Wie aber funktioniert der Speiseplan, den das Diättrend-Barometer „Brigitte“ als „die optimale Ernährung für die Gene“ feiert? Grob erklärt so: Epi Food – seriöser: epigenetische Ernährung – soll die Gesundheit auf zellulärer Ebene fördern. Die darauf aufbauende Diät setzt auf natürliche Lebensmittel mit Zellschäden vorbeugenden Antioxidantien, zellreparierenden Aminosäuren, zellfunktionsunterstützenden Vitaminen und Mineralstoffen sowie zellulären Stress reduzierenden Phytonährstoffen. Dazu zählen etwa grünes Blattgemüse, Rüben und Spinat, Nüsse und fetter Fisch. Verzichtet werden sollte hingegen auf verarbeitete Lebensmittel und Zucker. Nur alter Bio-Wein in neuen Schläuchen? Nein, weil wir die Wirkungsweise gesunder Lebensmittel heute präziser verstehen denn je. Auch die Deutsche Klinik für Prävention empfiehlt Epi Food als „innovativen Ansatz, der das Potenzial hat, unsere Gesundheit tiefgreifend zu beeinflussen“ und stellt fest: „Epigenetische Ernährung kann zur Gesundheitsförderung beitragen“. 

Kosten: **
Aufwand: **
Gesundheitsnutzen: ***

2. Supplements und Functional Food

Ein Riegel, der satt macht, ist okay. Ein Riegel, der gleichzeitig die Knochengesundheit stärkt, das Immunsystem unterstützt oder das Sehvermögen fördert, ist besser. Auf diesem Motto beruht die global mehr als 300 Milliarden schwere Functional-Food-Branche. Künstlich optimierte Lebensmittel – vom Proteinsnack über den Kollagen-Smoothie bis zum präzisionsfermentierten Bio-Drink – sind für viele Konsument:innen ein bequemer Weg, sich gesünder zu ernähren. Noch komfortabler ist die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, mit denen weltweit 140 Milliarden Euro Umsatz gemacht werden. Für manche seien derartige Produkte durchaus nützlich, so OEAIE-Präsident Kurt Widhalm: „Zum Beispiel für alte Menschen, für Menschen nach Operationen und Chemotherapien oder für solche mit bestimmten Erkrankungen, aber auch für Extremsportler oder Menschen mit extremen Nährstoffrelationen, etwa Veganer.“ Alle anderen seien mit herkömmlich gesunder Ernährung besser bedient: „Ein ,immunstärkender‘ Effekt ist für bestimmte Getränke nicht nachgewiesen. Eine ungesunde Lebensweise mit der Einnahme von Nahrungsergänzungen ,kompensieren‘ zu wollen, ist unsinnig.“ 


Kosten: ***
Aufwand: *
Gesundheitsnutzen: **

„Functional Food ist für bestimmte Personengruppen durchaus nützlich, es kann aber keine ungesunde Lebensweise kompensieren.“

Prof. Kurt Widhalm, Österreichisches Akademisches Institut für Ernährungsmedizin (OEAIE)

3. Ins kalte Wasser springen

Dass Hydrotherapie – also die methodische Anwendung von Wasser in all seinen natürlichen Zuständen (Dampf, Eis, Kalt- oder Warmwasser) – gesundheitlichen Nutzen bringt, wussten vor Sebastian Kneipp auch schon die alten Griechen und Römer. Aktuelle Studien belegen etwa eine Stärkung des Immunsystems, der kardiovaskulären Gesundheit und des mentalen Gleichgewichts. Biohacker gehen noch einen Schritt weiter. Sie propagieren das Eisbaden als Jungbrunnen, Schlankmacher und Allheilmittel gegen chronische Entzündungen. Am sichersten nachgewiesen ist bislang die Reduktion von Körperfett beziehungsweise die Umwandlung von weißem in braunes Fettgewebe bei Bädern in maximal 15 Grad warmem Wasser. „Da belastbare Daten aus großen wissenschaftlichen Studien fehlen, kann man dem Eisbaden durch die positive Beeinflussung unserer Psyche auch einen nicht zu vernachlässigenden Placeboeffekt zuschreiben, ähnlich wie bei der Sauna“, sagt Martin Martinek, Leiter der Kardiologischen Abteilung am Ordensklinikum Linz Elisabethinen. Sein Tipp für Einsteiger:innen: Langsam starten, anfangs nur mit den unteren Extremitäten ins Wasser gehen und die ersten Versuche auf drei Minuten beschränken. 

Kosten: **
Aufwand: ****
Gesundheitsnutzen: ***

4. Vor Demenz hüten 

Rund 150.000 Menschen leiden in Österreich unter Demenz. Im Jahr 2050 könnten es aufgrund der steigenden Lebenserwartung schon 250.000 sein, schätzt die Österreichische Alzheimergesellschaft. Das medizinische und moralische Dilemma: Es gibt zwar immer bessere Früherkennungsmethoden, etwa hochspezialisierte nuklearmedizinische Untersuchungen, mit denen krankhafte Proteinablagerungen im Gehirn nachgewiesen werden können. Doch eine wirkliche Heilung der Krankheit ist noch nicht möglich. Was trotzdem Hoffnung macht: „Rund 40 Prozent der Demenzerkrankungen wären verhinderbar, wenn man den Lebensstil ändert“, sagt Elisabeth Stögmann, Leiterin der Demenzambulanz am Wiener AKH. Zu den bisher bekannten Risikofaktoren zählen Rauchen, Alkoholkonsum und körperliche Inaktivität, Bluthochdruck, Übergewicht, und Diabetes, aber auch Depressionen, soziale Isolation, Luftverschmutzung und geringe Bildung. Als Vorbeugungsmaßnahmen rät die Alzheimer Forschung Initiative e.V. zu körperlichem und geistigem Fitnesstraining, ausgewogener Ernährung, ausreichend Schlaf und vielen sozialen Kontakten. 

Kosten: *
Aufwand: ***
Gesundheitsnutzen: ****

5. Medical Fitness Training

Körperliche Inaktivität stellt zwar weltweit den viertgrößten Risikofaktor für Mortalität und zahlreiche Krankheiten dar. Gesundheitssport hatte in der Höher-weiter-schneller-Gesellschaft trotzdem nur den Coolness-Faktor von Seniorenturnen. Seit Biohacking und gesundheitliche Selbstoptimierung im Trend liegen, feiert er aber als Medical Fitness oder gesundheitsorientiertes Fitnesstraining ein Comeback. Statt um Marathonzeiten oder Tabellen-Platzierungen geht es hier um Vorbeugung, Stabilisierung und Wiederherstellung. „Medizinisches Fitnesstraining ist ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem auch die Ernährung und die mentale Gesundheit miteinbezogen werden“, sagt Lisa-Maria Pfleiderer vom Universitäts-Sportinstitut Innsbruck (USI). „Diese systematische Herangehensweise ist individuell auf die Bedürfnisse und Ziele des/der Einzelnen durch Fachpersonal angepasst und sollte daher auch von Ärzt:innen, Physiotherapeut:innen oder Trainingstherapeut:innen begleitet und regelmäßig überprüft werden.“ Weniger effektiv, aber besser als auf der Couch zu sitzen: ein selbst gesteuertes Trainingsprogramm nach den Richtlinien der WHO für gesunde Bewegung. „Dieses sieht für gesunde Erwachsene zwischen 18 bis 65 Jahren eine Kombination aus Ausdauer und Krafttraining vor. Pro Woche sollte man sich Zeit für 150 bis 300 Minuten moderate Ausdauerbelastung wie Spazierengehen oder für 75 bis 150 Minuten intensive Belastung wie Joggen oder Bergwandern nehmen. Die ergänzt man noch mit Kräftigungsübungen an mindestens zwei Tagen“, so Pfleiderer. Zusätzlich sollte man die Sitzzeit reduzieren und mit zunehmendem Alter auch koordinatives Training – z. B. Gleichgewichtsübungen – miteinbeziehen. Mögliche Effekte: mehr Wohlbefinden, ein besseres Körpergefühl und die Vermeidung von Kraftdefiziten und mangelnder Beweglichkeit. 


Kosten: ***
Aufwand: ****
Gesundheitsnutzen: ****

„Medizinisches Fitnesstraining ist ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem auch die Ernährung und mentale Gesundheit einbezogen werden.“

Lisa-Maria Pfleiderer, Universitäts-Sportinstitut Innsbruck

6. Personalisierter Speiseplan

Personalisierte Ernährung ist für mehr als zwei Drittel der 199 befragten Fachleute im „Nutrition Hub Trendreport 2025“ ein Trend von wachsender Bedeutung. „Seine ideale Ernährungsform auf Basis einer DNA- oder Darmbiom-Analyse zu definieren ergibt aber keinen Sinn, dafür wissen wir noch zu wenig“, bremst Kurt Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin (OEAIE), allzu hohe Erwartungen. Seiner Meinung nach sei es besser, sich an die wissenschaftlich abgesicherte Definition gesunder Ernährung zu halten: „Drastische Reduktion des Fleischkonsums, dafür eine an frischem Obst und Gemüse sowie Ballaststoffen reiche Kost.“ Neue Untersuchungen bringen aber immer spannendere Erkenntnisse über die Auswirkungen der Ernährung auf molekularer Ebene. So überwachte eine internationale Studie unter der Leitung der Berliner Charité die Veränderung von 3.000 Proteinen beim Heilfasten. Jedes dritte veränderte sich nach drei Tagen Fasten. Ein Hinweis darauf, dass der Körper mit Anpassungen in allen Organen auf die Kalorienbeschränkung reagiert. Und darauf, dass personalisierte Ernährung bald ein wichtiger Gesundheitshebel sein könnte. 


Kosten: ***
Aufwand: ***
Gesundheitsnutzen: **(***)

7. Full-Body-Scan machen

„Ein Full-Body-Scan kann Krebs und Aneurysmen schon im frühesten Stadium erkennen“, postete TV-Star Kim Kardashian 2023 auf Instagram – und erhielt für ihr Bild vor dem MRI-Gerät fast dreieinhalb Millionen Likes. So wirkungsvolle PR bekommt die Vorsorge-Medizin selten. Doch die Magnetresonanztomographie für alle sei für sinnvolle Health Prevention nicht das richtige Instrument, sagt Richard Felsinger vom Zentrum für Public Health der Universität Wien. „Würden wir die gesamte Bevölkerung regelmäßig per MRI untersuchen, wäre eine massive Überdiagnose die Folge. Denn jeder und jede von uns hat auch mögliche Krankheitsherde im Körper, die uns aber bis ans Lebensende nie Probleme machen werden. Eine so detaillierte Untersuchung für alle würde daher mehr Schaden auslösen als Nutzen bringen, vor allem, was die mentale Belastung angeht.“ Die individuelle Entscheidung kann aber natürlich anders aussehen. „Wer ganz genau Bescheid wissen möchte und – vielleicht unnötige – Folgeuntersuchungen nicht scheut, kann es wie Frau Kardashian machen. Wir anderen orientieren uns besser an den offiziellen Präventionsempfehlungen, zum Beispiel im Rahmen der Gesundenuntersuchung.“ 
 

Kosten: ***
Aufwand: **
Gesundheitsnutzen: ***

8. Richtung Wellness reisen

Der weltweite Medical-Wellness-Markt könnte sich in den kommenden zehn Jahren versechsfachen, berechnet das Marktforschungsinstitut Fact.MR. Einer der Wachstumstreiber ist die Reisebranche: Bis 2030 wird der Markt für Gesundheitstourismus um jährlich 21,3 Prozent wachsen, die Umsätze von Health-Prevention-Retreats und Digital-Detox-Urlauben von weltweit 24,1 Milliarden in 2023 auf 93,4 Milliarden US-Dollar in 2030 steigen. Davon profitiert besonders das Luxussegment. Wer bessere Kontozahlen als Blutwerte hat, kann zum Beispiel das viertägige Longevity8-Package in der Michelin-Stern-gekrönten Canyon Ranch in Tucson buchen (18.300 Euro) oder im Four Seasons Resort auf Maui Badeurlaub mit Stammzellen- und Ozontherapie verbinden (40.600 Euro). Exklusive Medical Wellnesshotels gibt es aber auch hierzulande: zum Beispiel den Lanserhof in Tirol, das Bleib Berg Health Retreat in Kärnten oder das La Pura Women’s Health Resort Kamptal in Niederösterreich.

Kosten: *****
Aufwand: ***
Gesundheitsnutzen: ***

Text: Alexander Lisetz
 

„Health Gadgets sind die perfekte Ergänzung für validierte Medizinprodukte und professionelle Messgeräte. Man sollte sich aber nicht komplett auf die erhobenen Messwerte verlassen.“

Richard Felsinger, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien
 

9. Wearables tragen 

Fast die Hälfte der Österreicher:innen verwendet sie zumindest hin und wieder, sagt der Austrian Health Report. Wearables wie Fitness-Tracker, Smartwatches oder smarte Ringe sind besonders bei Gutverdienern beliebt, Heavy User sind meist zwischen 30 und 44 Jahre alt. Die schlauen Gadgets (siehe auch Seite 16) überwachen z. B. Herzfrequenz und Körpertemperatur, erinnern ans Medikamente-Nehmen oder motivieren zu mehr Bewegung. Gesundheitsassistenten für den Alltag? Ja – aber (noch) nicht zu 100 Prozent vertrauenswürdig. „Health Gadgets sind die perfekte Ergänzung für validierte Medizinprodukte und professionelle Messgeräte“, sagt Public-Health-Experte Richard Felsinger. „Weil sie noch keine einheitlichen Standards erfüllen müssen, sollte man sich aber nicht komplett auf die erhobenen Messwerte verlassen. Auch was den Datenschutz angeht, bleiben noch viele Fragen offen.“ Die Konsument:innen sind da weniger kritisch: Im Austrian Health Report geben mehr als drei Viertel der Befragten an, die App-Auswertungen als „sehr genau“ oder „eher schon genau“ einzuschätzen und ihnen zu vertrauen. 

Kosten: ****
Aufwand: **
Gesundheitsnutzen: ***

Text: Alexander Lisetz