Präzisionsmedizin

„Wir müssen aufhören, so klein zu denken“

Durch das Eric Kandel Institut – Zentrum für Präzisionsmedizin soll Wien ab 2026 Welthauptstadt der Präzisionsmedizin werden. Wie maßgeschneiderte Therapien wirken und warum die MedUni Wien die Zukunft nicht der Konkurrenz überlassen will, erklärt Josef Penninger, einer der Impulsgeber, im Interview mit profil Extra.

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Herr Professor, Sie klingen verschnupft. Rettet uns nicht einmal die Präzisionsmedizin vor dem gemeinen Schnupfen?

Josef Penninger

Das ist Pollenallergie. Korrekt ist: Die Präzisionsmedizin wird auch unseren Umgang mit Infektionskrankheiten verändern. In Braunschweig leite ich das größte deutsche Institut für Infektionsforschung. Dort versuchen wir gerade, etwas Interessantes herauszufinden: Warum haben manche Menschen bei Covid und Grippe so leichte und manche so schwere Verläufe? Sobald wir das verstanden haben, können wir viel zielgerichteter therapieren. Dadurch würde das System entlastet, und nur die schweren Verläufe müssten hospitalisiert und intensivbehandelt werden.

In Wien haben Sie noch ehrgeizigere Pläne. Hier entsteht an der Medizinischen Universität das Eric Kandel Institut für personalisierte Präzisionsmedizin. Können Sie in einem Satz erklären, was dort ab 2026 erforscht werden soll?

Penninger

Präzisionsmedizin bedeutet, dass jeder Mensch die Therapie bekommt, die genau auf seine Bedürfnisse abgestimmt ist.

Und in zwei Sätzen?

Penninger

Im Moment therapieren wir 100 Leute mit Medizin, die vielleicht bei 30 wirklich wirkt. Wir wollen aber, dass jeder und jede die Medizin bekommt, die genau auf seine oder ihre genetische und physiologische Einzigartigkeit abgestimmt ist.

Wie nahe sind wir diesem Ziel?

Penninger

In Teilbereichen wird Präzisionsmedizin bereits in der Praxis angewendet, zum Beispiel in der Krebsbehandlung. In Zukunft wird maßgeschneiderte Medizin aber in alle Bereiche hineinspielen: in die Augenheilkunde, wo man sich vor einer Therapie die Blutgefäße im Auge ansieht. In die Kardiologie, in die Schmerztherapie …

… oder in die Orthopädie. Warum war Ihre Entdeckung eines Gens, das Osteoporose auslösen kann, für die personalisierte Medizin so bedeutsam?

Penninger

Sehr viele Erkrankungen gehen mit Knochenschwund einher – von der Krebsmetastase über die Arthritis im Gelenk bis zur Osteoporose, wenn der Knochenschwund den ganzen Körper betrifft. Millionen Menschen leiden darunter. Wir haben in genetischen Studien bewiesen, dass es ein essentielles Protein gibt, das Vorläuferzellen zu Knochenfresszellen macht. Dieses Protein mit dem Namen RANKL kann man medikamentös abschalten. Über den kommerziellen Erfolg dieses Medikaments sage ich gerne: They got the money, I got the glory.

„Das Eric Kandel Institut wird internationale Talente und Unternehmen anlocken – davon profitieren alle in Österreich.“ 

Josef Penninger, Genetiker und Mediziner

Apropos Geld: Brächten maßgeschneiderte Medikamente nicht unser Gesundheitsbudget zum Explodieren?

Penninger

Nicht, wenn man sie den Einsparungen gegenüberstellt, mit denen wirkungsvollere Therapien das Gesundheitssystem entlasten würden.

Wie viel Budget ist denn für das Eric Kandel Institut selbst veranschlagt?

Penninger

Wenn wir unsere Ziele erreichen wollen, wird dies nicht unter 100 Millionen pro Jahr umsetzbar sein. Ich bin optimistisch, dass die neue Bundesregierung unsere Visionen teilt. Auch, weil das Kandel Institut internationale Talente und Unternehmen anlocken wird und die Zukunft der Medizin denkt – davon profitieren alle in Österreich. Wir kommen ja sogar in der Regierungserklärung vor, ich glaube, auf Seite 160 (Anm.: Es ist die Seite 196).

Was ist die Vision des Instituts?

Penninger

Exzellenz für die Patient:innen, für die Wissenschaft und für das Land. In Österreich wird zu klein gedacht. Wir sollten nach Weltklasse streben – und den globalen Fortschritt nicht allein den Chinesen und Amerikanern überlassen. Dafür wollen wir junge Ausnahmetalente fördern und interdisziplinär arbeiten. Das Institut wird auch den Mediziner:innen offen stehen: Sie sollen es frequentieren können, um medizinische Spezialfälle zu besprechen, damit Forschungsergebnisse so schnell wie möglich praktisch anwendbar werden. Das Wichtigste: Die besten Köpfe sollen integriert und verschiedene Institutionen, wie die Akademie der Wissenschaften, eng einbezogen werden.

Warum sollte sich Österreich gerade in dieser Disziplin profilieren?

Penninger

In der KI sind uns China und die USA Jahre voraus. Aber in der Präzisionsmedizin, der wichtigsten Gesundheitsdisziplin der Zukunft, können wir die richtigen Fragen stellen und erstklassige Therapien anwendbar machen. Der große Vorteil der Präzisionsmedizin ist ja auch, dass sie mehr oder weniger alle Disziplinen abdeckt. Eine Zukunft der Medizin wird und muss Prävention sein, und dazu werden Methoden der Präzisionsmedizin zwingend beitragen.

Fällt Ihnen dazu ein Beispiel ein?

Penninger

Vor Kurzem wurde mir eine neue Sequenziermaschine gezeigt, die in etwa zwei Jahren auf den Markt kommt und pro Woche den genetischen Code von 200.000 Menschen auswerten kann. Wir können heute auch Metabolome (die Moleküle eines Organismus, Anm.) auslesen, Epigenome (chemische Veränderungen der DNA, Anm.) oder einzelne Proteine in deren zellulärer Geographie. Was KI für die biomedizinische Forschung so transformativ macht, ist ihre Fähigkeit, Daten zu verbinden. Kein Arzt kann eine Million EKGs oder Röntgenbilder vergleichen und seine Schlüsse daraus ziehen …

Wird Präzisionsmedizin auch die Vorsorge revolutionieren?

Penninger

Die Reparaturmedizin, die wir heute haben, ist sehr wirksam. Aber die Präventionsmedizin, das ist die Zukunft. Unter Verwendung großer Datensätze und mit Hilfe von KI werden wir frühzeitig herausfinden, welche Anfälligkeiten für Krankheiten es gibt. Dann kann der/die Patient:in in Eigenverantwortung gegensteuern, etwa durch Verhaltensänderung oder Ernährungsumstellung. Auch unsere Impfungen können effizienter werden …

Weil Immunsysteme verschieden sind?

Penninger

Genau. In Zukunft muss man Impfstoffe entwickeln, um etwa Babys früher schützen zu können. Maßgeschneiderte Antibiotika werden die Gefahr von Antibiotikaresistenzen mildern.

Der Namensgeber des Eric Kandel Instituts ist ein in Österreich geborener Nobelpreisträger, der 1939 mit seiner Familie in die USA flüchten musste. Wie viel weiß der heute 95-Jährige über das Denkmal, das man ihm setzt?

Eric ist mein Mentor, wir treffen einander ca. einmal im Jahr. Jedes Gespräch mit diesem außergewöhnlichen Mann ist eine Inspiration. Dass wir ihn hier in Österreich mit dem Institutsnamen ehren dürfen, zeigt auch, dass wir einen langen und positiven Weg gegangen sind. Und mit dem Zentrum die Zukunft der Biomedizin in Österreich vordenken werden.

ZUR PERSON

Der Mediziner und Genetiker Josef Penninger (60) stammt aus Gurten in Oberösterreich und startete seine wissenschaftliche Karriere in Toronto, Kanada. Er 
wurde u. a. mit dem mit 7,4 Millionen US-Dollar dotierten Innovator Award des US-Verteidigungsministeriums für die Brustkrebsforschung und dem Wittgenstein-Preis ausgezeichnet und war schon zweimal unter den Top 10 der weltweit meistzitierten Wissenschaftler.  

Interview: Alexander Lisetz