EXTRA Lebensstil

„Die Klimakrise erfordert utopisches Denken“

Im Süden Österreichs treffen im Green Tech Valley Utopien auf reale Forschung und innovative Start-ups.

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Die Landschaft ist grün. Bäume und Wiesen prägen das Bild. Ein rotes Rohr saugt Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Atmosphäre ein. Am Ende des Prozesses wirft es eine Platte voller Lebensmittel aus. Nächste Videosequenz: Neben dem tristen Grau der Grazer Innenstadt ploppen hohe, grüne Neubauten auf. Auf den Dächern wachsen riesige Bäume, die Gebäude absorbieren Treibhausgase.

Schneller sein als der Klimawandel

Im ersten Fall wird das CO2 in nachhaltige Lebensmittel umgewandelt. Es landet auf dem Teller. Im zweiten Fall speichern klimaaktive Gebäude aus Holz Kohlenstoffdioxid. Klingt utopisch? Soll es auch, sagt Bernhard Puttinger. Er ist Geschäftsführer des in Kärnten und der Steiermark beheimateten Green Tech Valley, seit 2024 der weltweit einzige Cluster mit zwei Cluster Management Excellence Label-Bestmarken. „Gerade das Utopische ist Ansporn für die Forschung und für die Unternehmen im Green Tech Valley.“
Die Videos sind Teil eines Studierendenprojekts der TU Graz und des Instituts für Design und Kommunikation der FH Joanneum. Dessen Forschungsergebnisse haben acht Utopien einer grünen Zukunft visualisiert – von neuen Lebensstilen nach der Konsumgesellschaft bis hin zu Bäumen als Stromspeicher. „Utopien haftet das Unrealisierbare, das Phantastische an. Doch genau darin liegt ihre massive Kraft. Viele Innovationen, die uns heute im Alltag begleiten, waren noch vor wenigen Jahren unvorstellbar“, so Geschäftsführer Puttinger. „Und die Klimakrise sowie der Wandel zur Kreislaufwirtschaft erfordern utopisches Denken. Denn wir müssen schneller als der Klimawandel sein.“

Green Tech im Aufwind

Seit 2005 gibt es das Green Tech Valley Cluster. Rund 2.300 Green-Tech-Forschende an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, 20 grüne Technologieführer und 300 Umwelttechnik-Unternehmen sind im Süden Österreichs vereint. „Auch wenn Österreich im internationalen Vergleich flächenmäßig klein ist, so markieren doch zahlreiche Unternehmen mit ihren grünen Innovationen weltweit Top-Positionen“, sagt Puttinger. 
Die Bandbreite reicht von klimaneutraler Produktion und CO2-Abscheidung über grüne Wasserstoffforschung bis hin zu Pilotprojekten, die sich mit speziellen Recyclingmethoden, etwa für Batterien, oder auch der Verwertung von Kohlendioxid aus der Industrie beschäftigen. Und der Bereich Energie- und Umwelttechnik ist im Aufwind: Laut der aktuellen Konjunkturumfrage des Green Tech Valley unter steirischen und Kärntner Technologieunternehmen konnten die Betriebe den grünen Anteil ihrer Umsätze nominell um 22 Prozent auf insgesamt 7,6 Milliarden Euro steigern. „Das ist ein neuer Höchststand“, so Puttinger. 
Auch die Hälfte der österreichischen grünen Start-ups sind Teil des Green Tech Valley. „Hier werden Netzwerke und Kooperationen vorangetrieben – mit dem Ziel, gemeinsam neue Lösungen für eine nachhaltige, lebenswerte Zukunft zu realisieren.“ Betriebe, Forschende und Start-ups sollen sich gegenseitig befruchten. „Es sind Win-Win-Partnerschaften, die zu neuen Projekten führen. Und kleinere Unternehmen schaffen mithilfe der größeren den Schritt über die Grenzen in neue Märkte“, so Puttinger.  
Warum ist gerade der Süden Österreichs so pionierfreudig und hat sich zum Technologie-Hotspot für Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft entwickelt? Bernhard Puttinger zufolge sei auch die historische Entwicklung ein Faktor, der die Industrie im Land prägte. „Die Stahlkrise in den 1980er-Jahren wurde von vielen Unternehmen genutzt, um sich frühzeitig mit Green Tech als Zukunftsthema auseinanderzusetzen.“

Futter für Mikroorganismen

Doch wie realistisch sind die Visionen und Utopien der Studierenden? Beim Thema Kohlenstoffdioxid gibt es erfolgversprechende Ansätze. Sinkende CO2-Emissionen sind für den Kampf gegen den Klimawandel essenziell. Mehrere Start-ups arbeiten im Green Tech Valley beispielsweise an der Gewinnung von Proteinen aus CO2, die klimaintensiveres Tierfutter ersetzen können. Das Ziel: CO2 aus verschiedenen Quellen abzuscheiden, zu speichern und auch zu nutzen. Das zum Green Tech Valley gehörige Grazer Start-up Econutri hat in Kooperation mit dem Austrian Centre of Industrial Biotechnology eine Technik entwickelt, bei der schädliche Treibhausgase als Futter für Mikroorganismen dienen, um ein hochwertiges Protein herzustellen. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Es kann sowohl der weltweit steigende Proteinbedarf gedeckt als auch die CO2-Emission reduziert werden. Genutzt werden soll die Technologie für Tierfutter, menschliche Nahrungsmittel oder technische Proteine. 
Im ersten Schritt will sich das Start-up aber auf Futtermittel konzentrieren, da es weniger Schritte in der Aufbereitung erfordere. „Unser Ziel ist es, dort anzusetzen, wo am meisten CO2 freigesetzt wird – und zwar direkt bei großen Industriebetrieben. Das CO2 würde vom Industriebetrieb direkt in die Econutri-Anlage laufen. Dadurch hat der Betrieb die Möglichkeit, seinen CO2-Ausstoß zu verringern“, so das Start-up. Für diese Entwicklung wurde das Unternehmen mit dem neuen Innovationspreis Steiermark ausgezeichnet.

Anders Essen, null Abfall.

Recyceltes CO2 soll künftig für die Produktion nachhaltiger Lebensmittel genutzt werden (ganz links). Außerdem skizzieren die Studierenden eine abfallfreie Zukunft. Durch innovative Technologien werden Materialien so lange wie möglich im Kreislauf gehalten.

Das klimapositive Gebäude

Emissionen sollen also der Atmosphäre wieder entzogen werden. Das gibt es bereits in der Natur: Bäume absorbieren beispielsweise CO2. Sie wandeln es durch Photosynthese in Kohlenstoff um. Diesen lagern sie in ihrem Holz ein, Sauerstoff wird dann wieder abgegeben. 
Aber können auch Gebäude zu bedeutenden CO2-Speichern werden? Bislang gelten Gebäude als klimaschädlich: „Sie werden aktuell eher als Teil des Problems, denn als Teil der Lösung hin zu einer klimaneutralen Zukunft gesehen“, so die Studierenden. Und das zu Recht: Über zehn Prozent der klimarelevanten Emissionen in Österreich entfallen auf den Gebäudesektor. 
In ihrem Utopie-Video zeigen die Studierenden und Forscher:innen auf, wie das Bauen mit natürlichen Materialien und modularen Holzstrukturen Bauabfälle reduzieren und CO2 speichern könnte. In ihrem Zukunftsbild sehen sie Gebäude nicht mehr als Emittenten, sondern als CO2-Senker. In den Gebäuden soll mehr CO2 gespeichert werden als bei der Produktion ausgestoßen wird. Das Gebäude wird klimapositiv. Hier kommt wieder das Holz ins Spiel. Da Bäume Kohlenstoff im Holz speichern, bleibt der Kohlenstoff auch weiterhin gebunden, wenn Holz in Gebäuden verbaut wird. Der Rohstoff Holz kann so viele Jahre im Kreislauf gehalten werden. Die Oberflächen der Gebäude sind in der Vorstellung der Studierenden entweder grün oder erzeugen selbst Strom. 
Entscheidend aber auf dem Weg zum klimaaktiven Gebäude: Beton und Ziegel müssen CO2-frei hergestellt sein. Auch hier gibt es aus dem Green Tech Valley schon vielversprechende Ansätze. So lieferte das Grazer Unternehmen Andritz die erste CO2-Abscheidungsanlage zur klimaneutralen Zementproduktion nach Bayern. Die Anlage scheidet pro Tag zwei Tonnen Kohlendioxid ab, das dann zur weiteren Verwendung der regionalen chemischen Industrie zugeführt wird.

Klopf auf Holz.

Bisher gelten Gebäude eher als Klimakiller. Das Bauen mit natürlichen Materialien soll Bauabfälle reduzieren und CO2 speichern. Zudem sollen Bäume künftig grünen Strom speichern können.

Suche nach Fachkräften

Das Projekt Utopia war für das Green Tech Valley ein Erfolg und startet im Frühjahr 2024 in eine neue, noch größere Runde. „Es trägt dazu bei, die Sichtbarkeit der Forschungsleistung am Wirtschaftsstandort nach außen wie innen zu erhöhen. Also zu zeigen, in welche neuen Felder hier mutig hineingegangen wird“, sagt Bernhard Puttinger. 
Die Außenwirkung ist wichtig, auch für die Suche nach Fachkräften. „Der Fachkräftemangel betrifft auch die Unternehmen im Green Tech Valley“, so Puttinger. Die grüne Transformation der Wirtschaft hat zu neuen Berufsbildern und zu einem höheren Bedarf an Fachkräften in den Bereichen Nachhaltigkeit, Energie und Kreislaufwirtschaft geführt. Dabei steigt die Nachfrage nach klimarelevanten Berufen kontinuierlich: Im Jahr 2013 wurden dem AMS Österreich 3.360 offene Stellen in grünen Sparten gemeldet, Ende 2023 waren es bereits weit über 13.000.
Von der drohenden Konjunkturflaute lassen sich die Betriebe indes nicht abschrecken: 90 Prozent der befragten Unternehmen aus der Konjunkturumfrage des Green Tech Valley gehen von steigenden oder gleichbleibenden Investitionen aus. 75 Prozent rechnen heuer sogar mit einer Umsatzsteigerung. Klimaschutz und Wachstum seien auch in Zeiten einer gedämpften Wirtschaftslage kein Widerspruch, ist Geschäftsführer Puttinger überzeugt.

Text: Sabrina Erben