Die Silence Solaryacht schippert Betuchte geräuschlos und emissionsfrei über die Weltmeere und erzeugt unterwegs ihre eigene Energie. Kostenpunkt: rund drei Millionen Euro.
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It’s the ecology, stupid! Wie Ecodesign immer mehr Produkte und Dienstleistungen prägt

Wie Ecodesign immer mehr Produkte und Dienstleistungen prägt. Und warum das nichts mit Ökomode zu tun hat. Eine Orientierung für alle, die ihr Geld mit ein bisschen besserem Gewissen ausgeben wollen.

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Was haben Schmuck und Baustoffe, Kondome und Suchmaschinen gemeinsam? Bei der Entwicklung all dieser und vieler anderer Produkte und Dienstleistungen spielt längst Ecodesign eine bedeutende Rolle. Ecodesign bezeichnet nach allgemeiner Definition die Integration von Umweltaspekten in Produktdesign und -entwicklung. Das Konzept begegnet uns heute in fast jedem Lebensbereich: Ob wir nun zu nachhaltig hergestellten Kondomen oder umweltfreundlichen Schwangerschaftstests greifen oder IT-Services oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Als Treiber sieht der deutsche Think-Tank „Zukunftsinstitut“ den Trend zu einem Lifestyle, der mit dem eigenen Gewissen vereinbar ist – ohne dabei auf individuelle Wünsche, Luxus und Genuss verzichten zu müssen.

Vom Nice-to-have zum Must-have

Dass etwa Jeanshersteller ihren Wasserverbrauch senken, Staubsaugerroboter Strom sparen und Möbelhäuser Abfall reduzieren, liegt aber weniger am guten Willen der Beteiligten. Sondern vor allem am kritischeren Konsumverhalten: Laut Handelsverband achten immer mehr Österreicher:innen beim Einkaufen auf Nachhaltigkeit: 90 Prozent schauen bei Lebensmitteln genauer hin, zwei Drittel bei Elektrogeräten, mehr als 60 Prozent bei Mode. 
Hinter der Entwicklung steckt zudem ein komplexes Regelwerk, das seit 2009 mit der „Ökodesign-Richtlinie“ auf EU-Ebene sukzessive etabliert wird. Berücksichtigt werden dabei die Umweltauswirkungen entlang des gesamten Produktlebenszyklus, beginnend mit der Produktentwicklung, erklärt Professor Wolfgang Wimmer, Leiter der Forschungsgruppe Ecodesign am Institut für Konstruktionswissenschaften und Produktentwicklung an der TU Wien. Mit der „Ökodesign-Richtlinie“ wollte man zunächst die negativen Umwelteffekte von Produkten mit hohem Energieverbrauch reduzieren, so der Experte. „Dabei geht es sowohl um Produkte, die energiebetrieben sind, wie etwa Elektrogeräte, als auch um Produkte, die den Energieverbrauch beeinflussen, zum Beispiel ein Fenster oder ein Wasserhahn.“

Leitfaden für Laien

Heute müssen fast alle energieverbrauchsrelevanten Produkte Mindestanforderungen in Bezug auf die Energieeffizienz erfüllen. Anzugeben ist diese von den Herstellern in Klassen von A bis G. Wobei A für die höchste Energieeffizienz steht. Die Anforderungen variieren von Produktgruppe zu Produktgruppe und werden forschungsbasiert erarbeitet. So bedingt etwa Energieeffizienz bei Fenstern eine mehrfache Dichtung und Zwei- bis Dreifachverglasung. Und bei Lampen wird die Energie- und Lichtleistung nicht länger nur in Watt gemessen. Vielmehr werden Stromverbrauch und Energieleistung getrennt. Dadurch verbrauchen energieeffiziente Lampen weniger Energie, um ein mit Glühlampen vergleichbares Licht zu erzeugen.

„Höhere Anschaffungskosten relativieren sich über den Produktlebenszyklus durch geringere Energiekosten.“

Univ.-Prof. Wolfgang Wimmer

Leiter der Forschungsgruppe Ecodesign an der TU Wien

Öko spart (mittelfristig) Geld

Ob die Rechtsvorschriften erfüllt sind, erkennen Verbraucher an der Kennzeichnung CE, die für den französischen Begriff „Conformité Européenne“ (dt.: Konformität mit europäischen Normen) steht. Wenn Produkte energieeffizient gestaltet sind, bedeutet das für Verbraucher mitunter höhere Anschaffungskosten. „Jedoch relativiert sich dies über den Produktlebenszyklus durch geringere Energiekosten“, sagt Professor Wolfgang Wimmer. Denn „während ein Kühlschrank mit Energieeffizienzklasse A über eine Nutzungsdauer von zehn Jahren 1.000 Kilowattstunden (kWh) Strom verbraucht, sind es bei einem Modell mit Energieeffizienzklasse E an die 4.000 kWh Strom.“ 
Laut der Europäischen Kommission sparten Verbraucher:innen dank der Ökodesign-Richtlinie allein im Jahr 2021 in 31 Produktgruppen 120 Milliarden Euro an Energieausgaben ein. Der Energieverbrauch der betreffenden Produkte konnte um zehn Prozent reduziert werden.
Aus Umweltperspektive weitgehend akzeptiert, hätte der Start der Ökodesign-Richtlinie dennoch besser laufen können. Denn eine der ersten Maßnahmen 2009 war die Einführung der Energiesparlampe, die wesentlich teurer war als die Glühbirne und auch einen ästhetischen Makel hatte. Sie wirkte vergleichsweise plump. Konsument:innen protestierten und reagierten mit Hamsterkäufen. Später wurde auch bekannt, dass die Energiesparlampe schädliches Quecksilber enthält, das freigesetzt wird, wenn die Lampe zu Bruch geht. Deshalb wurde sie 2021 vom Markt verbannt und durch die LED-Technologie ersetzt.

Klima-Sünder an den Pranger

Um auch den materialbedingten Ressourcenverbrauch zu reduzieren, wurde 2016 zusätzlich die „Ecodesign Sustainable Product Regulation“ (ESPR) ins Leben gerufen. „Wesentlich dabei sind Wiederverwertbarkeit, Aufrüstbarkeit und Reparierbarkeit“, erklärt Wolfgang Wimmer. Die Verordnung soll den Anwendungsbereich der Ökodesign-Richtlinie sukzessive auf nahezu alle Produkte erweitern, die in der EU angeboten werden. Fast jedes Produkt muss dann klar definierte Mindestkriterien im Hinblick auf Haltbarkeit, Rezyklatanteil (wieder aufbereitete Kunststoffabfälle) und Energieeffizienz erfüllen. Vorzureihen sind besonders kritische Produkte, etwa Stahl, Aluminium, Textilien, Möbel, Reifen und Informationstechnik. Ausgenommen sind lediglich Tierfutter, Lebens- und Arzneimittel sowie Fahrzeuge.
Die ESPR-Verordnung soll auch die Vernichtung von unverkaufter oder zurückgesandter Ware – vor allem in der Modeindustrie – stoppen. Die wichtigste Maßnahme: der Pranger. So sollen Konzerne künftig verpflichtet werden, online bekannt zu geben, welche Produkte sie in welchen Mengen zerstört haben und warum. Sollte diese Maßnahme nicht greifen, droht ein generelles Verbot, Produkte zu zerstören.

Blockchain in der Lieferkette

Mit der ESPR kommt auch ein digitaler Produktpass für jedes physische Produkt. Er informiert über die verwendeten Materialien, Komponenten und chemischen Substanzen und gibt Informationen zu Reparierbarkeit, Ersatzteilen oder fachgerechter Entsorgung. Er erleichtert die Arbeit von Reparatur- und Recyclingbetrieben sowie Aufsichtsbehörden, wird aber auch interessierten Verbraucher:innen zugänglich sein – zum Beispiel als QR-Code auf dem Etikett. 
Grundlegend für den digitalen Produktpass sind blockchain-basierte Lieferketten. Die fälschungssichere Blockchain wird es ermöglichen, die Umweltauswirkungen des Produkts über den gesamten Lebenszyklus hinweg zu verfolgen – von den Rahmenbedingungen der Herstellung bis zu den CO2-Emissionen in der Produktion, in der Nutzung und im Nach-Gebrauch.

Reduziert den Product Carbon Footprint: Modularer Bürostuhl

Der Bürostuhl Think von Steelcase ist leicht reparierbar, defekte Teile lassen sich modular ersetzen. Das reduziert den Product Carbon Footprint im Vergleich zum Vorgänger um die Hälfte. 

Knebel oder Innovationsmotor?

Die ESPR-Verordnung ist in Industriekreisen umstritten und ruft auch auf Partei-Ebene Widerstand hervor: „Die EU verwechselt Kreislaufwirtschaft mit Planwirtschaft“, monierte etwa der deutsche Europa-Abgeordnete Markus Ferber von der CSU. Zudem sei der Zeitpunkt nicht der richtige, da die Unternehmen zum Beispiel mit den Nachwirkungen der gestörten Lieferketten und der Teuerung aufgrund der russischen Invasion in die Ukraine zu kämpfen hätten.
Verpflichtend ist die Richtlinie nur, wenn jährlich mehr als 200.000 Stück eines Produktes innerhalb der EU verkauft werden. Doch auch kleine Unternehmen suchen mit innovativen Produkten neue Nischen, wie etwa das Start-up Evocative mit Hausdämmstoffen aus pilzbasiertem Material.
„Natürlich sind aber vor allem Produkte mit hohen Verkaufszahlen ein relevanter Hebel für Veränderung“, sagt Professor Wimmer. Die im Juni 2023 überarbeiteten Vorschriften der „EU Ecodesign Richtlinie“ zielen dabei vor allem auf (Alt-)Batterien der Smartphone- und Tablet-Hersteller ab. Die Batterierichtlinie sieht unter anderem das Ende des fest verklebten Akkus vor und tritt 2027 in Kraft. Nutzer:innen sollen ihre Akkus dann leicht selbst wechseln können, um so die Nutzungsdauer des Geräts zu verlängern. Auch müssen aus Altbatterien mehr Recycling-Materialien – wie das seltene Element Kobalt – wiedergewonnen werden.  

Achtung, Schwindel

Grundsätzlich belasteten alle Produkte und Unternehmen die Umwelt, daher gebe es auch kaum etwas, das nicht ökologisch optimiert werden könne, betont der Experte. Angesetzt werden sollte bereits in der Produktentwicklung – und an den umweltrelevanten Aspekten im Lebenszyklus. „Denn wenn man das Gehäuse einer Maschine aus Biokunststoff macht, der wesentliche Punkt im Lebenszyklus dieses Produkts aber der Energieverbrauch ist, dann funktioniert das nicht und wird auch sehr schnell als schlechter Marketinggag durchschaut werden“. 
Sinnvolles Ecodesign stellt daher meist die Maximierung der materialbedingten Ressourcen-Nutzung in den Fokus. Denn egal, ob in Südosteuropa ein Baum gefällt oder in Brasilien Erz abgebaut werden muss: Der Prozess der Rohstoffgewinnung ist mit enorm hohem Aufwand verbunden. Deshalb sollen die einmal eingesetzten Ressourcen möglichst lange genutzt werden. Heißt: Produkte sollen nach dem Gebrauch weiterverwendet bzw. -verwertet werden. Was dabei hilft? Robuste Bauteile, Beseitigung von Konstruktionsmängeln und technischen Schwachstellen sowie ein modularer Aufbau. Er ermöglicht, einzelne Teile zu reparieren und Verschleißteile auszutauschen.
Als Beispiel für ein gelungenes Ecodesign-Projekt nennt der Professor den Bürostuhl „Think“ der Firma Steelcase, dessen Product Carbon Footprint (PCF) gegenüber dem Vorgängermodell um 50 Prozent reduziert werden konnte. Dazu wurden zunächst die geldwerten Teile im Produkt bestimmt. Oft sind das auch jene Teile, für deren Produktion viel Energie und Ressourcen aufgewendet wurden. Das macht sie a) teuer und b) relevant aus Umweltsicht. Um die Rohstoffe bestmöglich zu nutzen, wurde der Bürostuhl so konzipiert, dass er in fünf Minuten mit Standardwerkzeugen zerlegbar ist. Das macht ihn leicht reparierbar, und einzelne Module können wiederverwertet werden.

Optimiert die Kreislaufwirtschaft im Bausektor: Digitales Stoffstrommanagement

Die Software-Lösung Site Depot von N1 gewann den Ecodesign Award 2023 in der Kategorie Service. Ihr Job: Sie unterstützt die Bauindustrie beim Erkennen von Recyclingpotenzialen und der Steuerung von Stoffströmen. 

Mieten statt kaufen

„Ist ein Produkt langlebig und von exzellenter Qualität, zerlegbar, reparierbar und zumindest in Modulen recyclingfähig, dann bieten sich auch neue Geschäftsmodelle an: etwa eine Produktrücknahme oder eine (Miet-)Dienstleistung statt des verkauften Produkts“, erklärt Professor Wimmer.
Ein Beispiel für das Produktrücknahme-Modell liefert der Teppichhersteller Desso, der gebrauchte Böden in eigenen Einrichtungen recycelt. Der Hersteller ist einer der Ersten, der das Recycling von Vinyl, Teppichfliesen und Linoleum in einem geschlossenen Kreislauf umsetzt. Wie ein Produkt zur Dienstleistung werden kann, zeigt der Elektrowerkzeughersteller Hilti, indem er Produkte aus seinem Sortiment zur Miete anbietet. Unternehmen der Bauindustrie können die Geräte für die Zeitdauer von Baustellen gegen eine monatliche Gebühr nutzen. 
In konventionellen Geschäftsmodellen steigen die Umsätze mit den verkauften Mengen. Deshalb könne es sinnvoll sein, den Geschäftserfolg vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Ein Beispiel: Ein Farbenhersteller übernimmt für einen Kunden aus der Stahlindustrie die Lackierung. Nun muss er nicht mehr die Menge der Farbe verrechnen, sondern das Maß der lackierten Fläche. „Dieses sogenannte Contracting-Modell motiviert dazu, so wenig Farbe wie möglich einzusetzen“, erklärt der Professor. 

Verringert den ökologischen Fußabdruck: Recyceltes Hygienepapier

Satino Pure Soft macht Handtuch-, Toiletten- und Küchenpapier aus recyceltem Karton und erhielt dafür den Bundespreis Ecodesign 2023 in der Kategorie Produkt. Die Produkte des Herstellers haben einen um 70 % geringeren ökologischen Fußabdruck als herkömmliches Hygienepapier. 

E wie Eco – und Erfolg?

Doch wie erfolgreich macht Eco? Das US-Unternehmen Steelcase kann zum Beispiel seine globale Expansion mit bis zu sechs Auszeichnungen für nachhaltiges und soziales Engagement pro Jahr vereinbaren. „Wir glauben, dass unsere Arbeit dann am besten ist, wenn sie mit der Gestaltung einer besseren Zukunft für die Menschen und den Planeten beginnt“, sagt Sara Armbruster, Präsidentin und CEO. 
Der oberösterreichische Kunststoffmaschinenbauer Engel produziert Spritzgießmaschinen und erhielt im Herbst 2023 im globalen Nachhaltigkeitsrankings der Berliner Agentur EcoVadis Platinum-Status. EcoVadis stellt Unternehmen eine cloudbasierte Plattform für ganzheitliche Ratings im Bereich Unternehmensverantwortung zur Verfügung. Wie Steelcase profitiert auch Engel von seiner Nachhaltigkeitsstrategie. Das Unternehmen ist nach wie vor in Familienbesitz und unabhängig von Investoren. Von Engel-Maschinen hergestellte Produkte begegnen uns etwa in Form von Smartphone-Gehäusen, Zahnbürsten, Injektionsspritzen sowie Scheinwerfern und Motorkomponenten. 
Engel achtet bei der Entwicklung seiner Spritzgießmaschinen auf die Minimierung des Energieverbrauchs ebenso wie auf die Ermöglichung neuer kreislauffähiger Produkte. „Stakeholder interessieren sich längst nicht mehr nur für harte Finanzzahlen und die reine Funktionalität von Produkten. Sie erwarten, dass Unternehmen Verantwortung übernehmen, indem sie die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihres Geschäftsmodells kennen und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung effektiv steuern“, so Alexander Hell, Leiter des Nachhaltigkeitsmanagements bei Engel. „Richtig umgesetzt ist Nachhaltigkeit eine große Chance für mehr Profitabilität und Wachstum.“
Durch die Teuerung geriet zuletzt freilich etwas Sand ins ökofreundlich designte Getriebe. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte nahm die Bereitschaft deutscher Konsument:innen, teurere, aber dafür nachhaltige Produkte zu kaufen, ab. Akzeptierten 2021 im Schnitt noch 67 Prozent der Befragten höhere Kosten für nachhaltige Produkte, verringerte sich dieser Anteil ein Jahr später auf nur noch 30 Prozent. Doch für Thorsten Zierlein, Deloitte-
Partner und Retail Sector Lead, spricht viel dafür, dass sich diese Entwicklung mit positiveren Rahmenbedingungen wieder umkehren wird. 

Text: Hildegard Suntinger