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ÖVP im Faktencheck: Selektive Wahrnehmung bei Pilnacek-Aussagen

Die ÖVP will Wolfgang Sobotka durch die Aussagen von Christian Pilnacek vor dem U-Ausschuss entlasten. Sie zitiert dabei äußerst selektiv aus den Protokollen.

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In der Causa Pilnacek ist es die Meistererzählung der ÖVP. Die Tonbandaufnahme, auf der der ehemalige Sektionschef der Strafrechtssektion im Justizministerium schwere Anschuldigungen gegenüber der Volkspartei und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka macht, sei nichtig, ihr Inhalt unwahr. Die Wahrheit habe Pilnacek stattdessen als Auskunftsperson im Untersuchungsausschuss gesagt – und dort Versuche der politischen Einflussnahme

bestritten. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker bedient dieses Narrativ gerne, erst am Sonntag bei der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“. Zur Bekräftigung hielt Stocker das Protokoll von Pilnaceks Befragung im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss in der Hand und zitierte auszugsweise daraus.

 

„Christian Pilnacek hat im Untersuchungsausschuss auf die Frage, ob irgendwann irgendjemand – insbesondere bestimmte Personen – Einfluss genommen haben, gesagt: ‚Nein, niemand, nirgends.‘“

Christian Stocker

in "Im Zentrum" am 26. November 2023

Irreführend

Pilnacek war damals – am 3. Mai 2022 – nicht auskunftsfreudig. Im geschliffenen Juristendeutsch erklärte er schon in seinem Eingangsstatement, viele Fragen nicht beantworten zu wollen. Das hatte zwei Gründe: Einerseits hatte das Justizministerium zwar dem U-Ausschuss Pilnaceks E-Mail-Accounts zur Verfügung gestellt, er selbst hatte aber – weil suspendiert – keinen Zugriff darauf. „Die Verweigerung der Einsichtnahme in meine eigenen Mails und Chats ist verfassungsrechtlich unvertretbar“, sagte er. Zudem verwies der Spitzenbeamte auf sein Recht, die Aussage zu verweigern. Dieses ist in der Verfahrensordnung für U-Ausschüsse festgeschrieben und erlaubt – wenn die Privatsphäre verletzt wird oder die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung droht –, sich gewisser Fragen zu entschlagen.

Aussageverweigerung bei Sobotka

Über mehrere Stunden hinweg versuchten es die Abgeordneten in der Folge dennoch.  Nina Tomaselli (Grüne) legte Pilnacek ein von ihm verfasstes E-Mail vor, in dem stand, dass er niemals politischen Druck weitergegeben habe, und fragte, von wem dieser denn gekommen sei. Pilnacek machte dazu keine konkrete Aussage: „Was Sie in diesen Satz interpretieren, ist Ihr gutes Recht, aber dazu brauche ich keine Antworten zu geben“, und auf die Frage, ob es überhaupt politischen Druck gegeben habe: „Wenn ich diese Frage allenfalls mit Nein oder mit Ja beantworte, glaube ich, ist es klar, dass damit auch die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung verbunden ist, weil politischer Druck wäre ja der Vorwurf des Amtsmissbrauchs.“

Wenig später war dann auch Wolfgang Sobotka Thema. Tomaselli verwies darauf, dass sich Pilnacek und der Nationalratspräsident im Februar 2021 innerhalb von zwei Tagen zwölf Mal angerufen hätten. „Ist es um die Hausdurchsuchung bei Gernot Blümel gegangen?“, fragte die Abgeordnete. Die Privatwohnung und der Arbeitsplatz des damaligen Finanzministers waren wenige Tage vor den Telefonaten durchsucht worden. Wiederum gab Pilnacek keine konkrete Antwort, wiederum verwies er auf das Recht der Aussageverweigerung und gab an: „Ich kann mit Herrn Sobotka nicht ohne Verletzung des Amtsgeheimnisses über die Hausdurchsuchung sprechen.“ Verneint hat er nicht. Auf der Tonbandaufnahme ist Pilnacek zu hören, wie er sagt: „In jedem Gespräch sagt der Sobotka: ‚Du hast selber versagt, du hast es nie abgedreht.‘ Aber das geht nicht, und ich mache es nicht.“

Stockers Interventionen

Stocker müsste das eigentlich wissen. Er war im U-Ausschuss nicht nur dabei, er brachte sich in die Befragung immer wieder ein – vor allem, um gewisse Fragen als unzulässig zu bezeichnen oder Pilnaceks Recht auf die Aussageverweigerung zu bekräftigen. 

Was man Stocker zugutehalten muss:  Pilnaceks Aussageverhalten war widersprüchlich. Denn in weiterer Folge der Befragung wollte auch der ÖVP-Abgeordnete wissen, ob er Wahrnehmungen zu politischer Einflussnahme auf Staatsanwaltschaften habe. Pilnacek hielt fest, dass er nur bis zum August 2020 die Aufsicht über diese gehabt habe, und verneinte. Auf die Nachfrage Stockers, ob es andere Umstände gegeben habe, die die Ermittlungen behindert hätten, sagte Pilnacek: „Wenn Sie mich über konkrete Behinderungen fragen: Nein.“ Im U-Ausschuss zur Ibiza-Causa hatte er sich 2020 ganz ähnlich geäußert.

Fazit

Auch wenn Pilnacek an manchen Stellen politische Einflussnahme bestreitet, ist Stockers Aussage irreführend. Mehrmals, und das auch in Passagen, in denen es um Wolfgang Sobotka ging, zog es der Spitzenbeamte vor, die Aussage zu verweigern. Andernfalls, so führte er ins Treffen, habe er strafrechtliche Ermittlungen zu befürchten. Ein „Nein, niemand, nirgends“, wie von Stocker behauptet, ist das nicht.

Moritz Ablinger

Moritz Ablinger

ist seit Mai 2023 Redakteur im Österreich Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.