„Literatur ist eine Ersatzdroge“

10 Fragen an John Niven: „Literatur ist eine Ersatzdroge“

Interview. 10 Fragen an Bestsellerautor John Niven

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Interview: Philip Dulle

profil online: In Ihrem neuesten Roman „Straight White Male“ zeichnen Sie den Wahnsinn Hollywoods anhand eines Schriftstellers nach, der sich nach erfolgreichen Buch-Veröffentlichungen als Drehbuchschreiber und Script-Doktor verdingt, vor allem aber durch seine notorische Sexsucht und als Borderline-Alkoholiker auffällt. Woher nehmen Sie diese Anekdoten über die Auswüchse des Filmgeschäfts?
John Niven: Neben meinen Romanen arbeite ich auch für Filmproduktionen, lebe dafür einige Monate im Jahr in Los Angeles. Ich liebe diese Stadt, diesen Schmelztiegel, in dem fast alles möglich scheint. Aber es war durchaus erleichternd, sich den täglichen Filmgeschäfts-Wahnsinn von der Seele zu schreiben.

profil online: Vor allem gegen so genannte Script-Doktoren scheinen Sie einen Groll zu hegen.
Niven: Verstehen Sie mich nicht falsch, aber das sind die bestbezahlten Typen der ganzen Branche, obwohl Sie nur Änderungen vornehmen und oft noch nie ein eigenes Drehbuch verfasst haben. Dazu kommt der tägliche Kampf mit Produzenten, Studiobossen, Regisseuren und Darstellern. Da lobe ich mir die Schriftstellerei: man ist mit sich und seinen Ideen allein und kann tun, was immer man möchte.

profil online: In Ihrem letzten Bestseller „Gott bewahre“ machen Sie sich über Religionsfanatiker und Castingshows lustig. Einige Seiten, in denen der Prophet Mohammed vorkommt, mussten jedoch vom Verlag gekürzt werden. Ganz so frei sind auch Schriftsteller nicht.
Niven: Der Stoff wurde ursprünglich als Drehbuch konzipiert. Leider gab es keine Möglichkeit, die Geschichte an ein Filmstudio zu verkaufen. Religion ist immer ein heikles Thema. Und Fanatiker verstehen definitiv keinen Spaß.

profil online: Fanatiker auf der einen, anstrengende Businessmenschen auf der anderen Seite: Suchen Sie sich gerne Herausforderungen?
Niven: Ein Leben als Schriftsteller kann schon sehr einsam sein; du sitzt womöglich ein bis zwei Jahre vor deinem Buch und verlässt nur noch sporadisch das Haus. Da tut es immer ganz gut, ein paar Monate pro Jahr mit anderen Menschen zu arbeiten. Auch wenn die mitunter ziemlich verrückt sind.

profil online: Eine Geschichte über einen erfolgreichen Schriftsteller, der sich vor Alkohol und amourösen Abenteuern nicht wehren kann, ist ehrlich gesagt wenig originell; dennoch scheinen gerade diese Geschichten immer wieder ein breites Publikum zu finden.
Niven: Eine Erklärung dafür wäre, dass sich Menschen in ihrer Freizeit gerne mit Dingen beschäftigen, die Sie im Alltag nicht ausleben können. Literatur, TV–Serien, Videospiele können da schon als Ersatzdrogen dienen. Und die Hände macht man sich dabei auch nicht schmutzig.

profil online: Laufen Sie als Bestsellerautor und Drehbuchschreiber nicht auch Gefahr, eines Tages in einem Strudel aus Erfolg, Sex und Alkohol zu versinken?
Niven: Danke für die Blumen. Aber von dem Superstar-Status meines Protagonisten Kennedy Marr bin ich meilenweit entfernt. Außerdem – da müssen Sie mir jetzt rechtgeben – bin ich ja ganz umgänglich.

profil online: „Straight White Male“ beginnt als Medienpersiflage und endet in einer Tragödie, in der es um Familie, Heimat, das richtige Leben und den Tod geht. Was liegt Ihnen näher?
Niven: Die witzigen, durchaus schockierenden Szenen fallen mir einfacher. Das fließt nur so aus mir heraus. Bei den düsteren Themen tue ich mir schwerer – das ist zum Teil richtige Schwerstarbeit.

profil online: Erfährt Ihr Protagonist, nachdem er L.A. den Rücken gekehrt hat und mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird, so etwas wie Erlösung?
Niven: Erlösung gibt es nicht! David Chase, der Schöpfer der „Sopranos“ hat nach dem Ende seiner TV-Serie gesagt, dass der Mafiaboss eben ein Mafiaboss bleibt, die opportunistische Ehefrau eine opportunistische Ehefrau, die weiter brav über die kriminellen Machenschaften hinwegsehen wird. Als einzige Hoffnung bleiben die Kinder, die sich weiterentwickeln können; in meinem Roman ist das nicht anders.

profil online: In Ihrem Roman-Debüt „Kill Your Friends“ thematisierten Sie den Wahnsinn der Musikindustrie, den Sie jahrelang selbst miterlebt haben. Auch eine Abrechnung mit einem Lebensabschnitt?
Niven: Als Manager für eine große britische Plattenfirma durfte ich die ganze Dekadenz, den Zynismus ja noch hautnah miterleben. Angefangen hab ich aber als Musikfan, habe in den Achtzigern selbst in einer Indie-Band gespielt und nebenbei bei einem kleinen Label gearbeitet. Die Schere zwischen Liebhaberei und konsumorientiertem Business ist eben sehr groß – vor allem in der Musik.

profil online: Sie sind ein äußert aktiver Twitter-User, legen sich auch gern mit Prominenten an. Worin liegt der Reiz an 140 Zeichen?
Niven: Sie haben meine Fehde mit Paris Hilton verfolgt? Ich kann es nicht leiden, wenn dir ständig jemand was verkaufen möchte. Ich persönlich finde den direkten Austausch mit meinen Lesern spannend; man kann mir Fragen stellen, mich loben, aber auch beschimpfen und beleidigen. Das finde ich gut.

John Niven: Straight White Male. Heyne. 384 S., 17,50 EUR

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.