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Altfront: Warum zeigen Wiens Institutionen kaum junge Kreative?

Kunst. Warum zeigen Wiens Institutionen kaum junge Kreative?

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Wien-Besucher, die durch die heurigen Programme der großen Ausstellungshäuser blättern, erhalten einen durchaus verfälschten Eindruck von der hiesigen Gegenwartskunst. Denn wenn die zugkräftigen Institutionen überhaupt Werke von in Österreich lebenden Kunstschaffenden präsentieren, dann stehen diese kurz vor ihrem Sechziger – oder haben ihn längst überschritten. Nahezu jedes Haus präsentiert Zeitgenössisches, sogar das Kunsthistorische Museum. Doch Einzelausstellungen von hier ansässigen Künstlern, gar Künstlerinnen, unter 50? Nur in Ausnahmefällen.

So präsentiert die Albertina in diesem Jahr – neben der dritten Werkschau des US-Amerikaners Alex Katz seit 2005 – eine Retrospektive von Arnulf Rainer, der im Dezember seinen 85. Geburtstag feiern wird. Im 21er-Haus ist eine – großartige – Schau des Österreichers Franz Graf, der dieses Jahr 60 wird, sowie eine Werkschau von Peter Weibel (70). Das mumok widmet sich im Frühsommer den Arbeiten von Josef Dabernig, Ende 50. Das Kunstforum stellt die Gemälde des 61-jährigen Siegfried Anzinger aus. Die Kunsthalle hat ein belgisches Künstlerduo, zwei Themenausstellungen sowie die deutsche Bildhauerin Isa Genzken, 65, im Programm. Die Secession zeigt in ihrem Hauptraum Lisl Ponger, derzeit Heinrich Dunst – spannende Künstler um die 60.

Doch während Schriftsteller wie Vea Kaiser oder Clemens Setz, die in den 1980er-Jahren geboren wurden, auch jenseits des Literaturbetriebs reüssieren, während man selbst am Burgtheater Regisseure in ihren frühen bis mittleren Dreißigern engagiert (David Bösch, Antú Romero Nunes, Anna Bergmann), sind bildende Künstler selbst mittleren Alters in der öffentlichen Wahrnehmung kaum präsent – österreichische schon gar nicht. Dabei waren auch in der Kunst die großen Spielflächen nicht immer schon der Generation 60 plus vorbehalten: So stellte die Secession 1997 in ihrem Hauptraum die damals erst 27-jährige Elke Krystufek aus; der 2010 abgetretene Edelbert Köb zeigte im museum moderner kunst große Ausstellungen von Künstlern in ihren Vierzigern. Und in den 1980er-Jahren reüssierten die blutjungen Maler der „Neuen Wilden“, angetrieben unter anderem von einer Schau im Zwanzger-Haus, damals das Museum Moderner Kunst – wo bereits 1970 die Künstlergruppe der „Haus-Rucker-Co“ Furore machte, drei Männer um die 30.

Viele Brancheninsider sehen darin ein massives Problem. Drastisch drückt es der Künstler Matthias Herrmann, kürzlich 50 Jahre alt geworden, aus: „Eigentlich ist es am besten, wenn man tot ist.“ Eine Überblicksschau seiner Fotoarbeiten in Wien ist längst ausständig, auch wenn seine Galeristin Silvia Steinek sie immer wieder zeigt. Herrmann: „Wo ist eine Institution in Wien, die ein größeres Projekt mit mir, aber auch mit Kolleginnen wie Dorit Margreiter oder Constanze Ruhm machen würde? Das ist die Generation, die jetzt dran wäre, durchaus mit retrospektiven Ausstellungen.“

Erst 2011 wurde mit dem 21er-Haus, das nun zum Belvedere gehört, eine Spielstätte wiedereröffnet, die eben jene junge bis mittlere Generation verstärkt präsentieren sollte – was teilweise auch geschah. Allerdings beklagte die zuständige Direktorin Agnes Husslein umgehend die schwachen Besucherzahlen – kein gutes Signal für künftige Experimente. Dass gleich zwei Großkonzerne ihre Wiener Kunsträume einsparten (2012 wurde die Bawag Foundation geschlossen, demnächst zieht die Generali Foundation von Wien nach Salzburg), hob die Stimmung nicht unbedingt.
Unter den großen Häusern sind vor allem die Kunsthalle Wien und das mumok für die lokale Szene zuständig. Doch vielen Beobachtern zufolge mangelt es dort an entsprechendem Bewusstsein. Eva Maria Stadler, Kuratorin und Professorin an der Universität für Angewandte Kunst, findet etwa: „Die Kunsthalle könnte sich mehr um die hiesigen Kunstschaffenden kümmern. Die Generation der hier lebenden Künstler zwischen 30 und 50 könnte dort gezeigt und gezielt kuratorisch betreut werden.“ Kuratorin Kathrin Rhomberg – sie leitet die Kunstsammlung der Erste Bank – meint: „Es wäre eine ganz wichtige Aufgabe für die Kunsthalle, die junge Szene verstärkt einzubinden und sich gleichzeitig transnational und kosmopolitisch zu positionieren.“ Galerist Emanuel Layr, der mit seinem ambitionierten Programm viele Künstler zwischen 30 und 40 vertritt, meint: „Ich denke schon, dass jüngere Positionen ihren Platz in großen Institutionen haben sollten.“ Im mumok finde er diese zwar vereinzelt vor; allerdings könnte das Haus „die Auseinandersetzung ausbauen, etwa mit noch mehr Ressourcen für diesen Bereich“. Und Herrmann kritisiert: „Was in der Kunsthalle passieren soll, ist derzeit unklar – ebenso wie die Frage, welche Institution eigentlich welches Ziel verfolgt.“ Vom mumok fordert er mehr Personalen zeitgenössischer Künstler ein. „Ich sehe mir lieber eine gut gemachte monografische Ausstellung an als eine Gruppenshow wie ‚and material and money and crisis’ im mumok, die aussieht wie aus einem schlechten deutschen Kunstverein.“

Die Chefs der beiden angesprochenen Häuser wehren sich gegen solche Kritik. Nicolaus Schafhausen, seit 2012 Leiter der Kunsthalle Wien, fragt: „Ist es nicht wichtiger, Peergroups zu bilden, um die Wiener Szene international zu verankern, als Einzelausstellungen der lokalen Künstler zu zeigen? Nach meinen Erfahrungen ist es für Künstler wesentlich wichtiger und spannender, in thematischen und essayistischen Ausstellungen kontextualisiert zu werden.“ Er schließe „niemanden aus, nur weil er hier lebt. Aber eine Ausstellung muss Sinn ergeben. Und es ist die Frage, ob man manche junge Künstler mit einer 1000 Quadratmeter großen Halle nicht überfordert.“ Schafhausens Vorgänger Gerald Matt hatte die Kunsthalle als international ausgerichtetes Ausstellungshaus positioniert – Soloshows von Österreichern gab es hier schon vorher kaum. Schafhausen nennt einen weiteren Grund dafür: „Mit Gruppenausstellungen erzielt man wesentlich höhere Besucherzahlen – eine unserer jüngsten Schauen ‚Salon der Angst’ hatte etwa 27.000 Gäste. Wenn ich ein Jahr lang zehn lokale Künstler in Personalen präsentieren würde, hätte ich weit geringeren Zuspruch.“ Die stets umstrittene, aber durchaus probate Szeneschau „Lebt und arbeitet in Wien“, die hier im Fünf-Jahres-Rhythmus abgehalten wird, möchte Schafhausen – unter anderem Namen allerdings – immerhin beibehalten.

Seine Kollegin Karola Kraus (Foto), Direktorin des mumok, beteuert, dass sie das mumok selbstverständlich auch als ein Haus für jüngere hiesige Künstler und Künstlerinnen sehe. Allerdings: „Die Profile der österreichischen Bundesmuseen für Kunst sind – was ihre Aufgabenteilung betrifft – eher verwaschen.“ Dennoch verweist sie auf einige Ankäufe mitteljunger Künstler, auf die Kinoschiene, in der man mit den Kunstuniversitäten kooperiere – und auf eine Ausstellung von Verena Dengler im Vorjahr. Die Künstlerin, Anfang 30, stellte im Untergeschoss des Hauses aus. Dorthin verbannen große Häuser gerne jüngere bis mittlere Generationen.
Kein gutes Zeichen, wie Kuratorin Eva Maria Stadler findet. Ihrer Diagnose zufolge beginnen die Probleme jedoch schon vorher: „Ich vermisse im institutionellen Bereich den Mittelbau. Junge Kunstschaffende brauchen die Möglichkeit, ihre Arbeiten zu entwickeln. In den kleineren Häusern wird wenig produziert. Bevor jemand seine Arbeiten in den oft sehr großen Museumsräumen zeigen kann, muss er erst in experimentelleren Zusammenhängen ausstellen. Ansonsten sind Künstler und Museum gleichermaßen überfordert.“ Und Rhomberg meint: „Derzeit fehlt den Kunstschaffenden eine langfristige theoretische und institutionelle Begleitung. Für die jüngere Generation ist das ein Problem“. Daraus folgt: „Der Schritt von der Off-Szene in die etablierten Häuser findet derzeit nicht statt.“

Wer in den großen Räumen der Hauptstadt also Kunst der mittleren Generation vermisst, tut nicht nur gut daran, in den Galerien Nachschau zu halten, sondern sollte sich bisweilen auch in andere österreichische Städte begeben. „In den Bundesländern ist manchmal fast mehr los als in Wien. Die Kunsthalle Krems etwa hat mittlerweile ein überaus interessantes Programm“, stellt Matthias Herrmann fest. Auch Rhomberg meint: „In den Bundesländern scheint es mehr Freiraum zu geben. In Krems, Graz und Linz tut sich für eine jüngere Generation mehr als in Wien.“ So zeigte der Salzburger Kunstverein jüngst die feinen Skulpturen von Anne Schneider, die Kunsthalle Krems die erste große österreichische Soloshow der Videokünstlerin Anna Jermolaewa, das Kunsthaus Graz Personalen von Sofie Thorsen oder Werner Reiterer, das ebendort erst kürzlich eröffnete Künstlerhaus präsentiert erfrischende Gruppenshows, das Innsbrucker Taxispalais Caroline Heider. Und das Linzer Kunstmuseum Lentos scheint bei der Generation unter 50 überhaupt bundesweit eine Vorreiterrolle übernommen zu haben, etwa mit Ausstellungen von Ralo Mayer, Luisa Kasalicky, Anne Schneider und Ursula Mayer.

Stella Rollig leitet das Haus am Linzer Donauufer. Sie sagt: „Die Institutionen in den Bundesländern füllen manche Lücken. Allerdings kommen internationale Kuratoren nach Wien, wo in den großen Institutionen kaum zeitgenössische österreichische Künstler und Künstlerinnen zu sehen sind – auch wenn sich durch das 21er-Haus etwas verändert hat.“ Schon die Frage nach dem Standing der heimischen Kunstszene gilt bisweilen als provinziell und auch wenig schick. Und tatsächlich schadet einem Standort nichts mehr als ein kompletter Rückzug auf die lokale Kunst. Doch umgekehrt wird über der Globalisierung des Kunstbetriebs die Produktion vor Ort auch vernachlässigt. So berichtet Rollig: „Wenn ich im Kunstbetrieb von der geplanten Ausstellung mit der französisch-marokkanischen Künstlerin Latifa Echakhch erzähle, ist die Begeisterung groß. Kündige ich aber die Schau einer österreichischen Künstlerin an, so sind die Reaktionen eher verhalten. Sich um die ,heimische’ Kunst zu bemühen hat leider deutlich weniger Sex-Appeal.“ Kuratorin Rhomberg weist darauf hin, dass ein Ort nur dann stark sei, wenn die Kunst ebenjenes Schauplatzes unterstützt und im internationalen Kontext verankert werde. „Ansonsten ist er austauschbar.“

Zufall oder nicht, international scheint in den vergangenen Jahren die Bedeutung der heimischen Künstlerschaft jedenfalls gesunken zu sein: Auf den großen Festivals – documenta, Biennale und Manifesta – waren Österreichs Kunstschaffende kaum präsent. „Hier lebende Künstler und Künstlerinnen sind international schlecht platziert“, findet auch Rollig. Und Schafhausen, der zuvor in Frankfurt und in Rotterdam gearbeitet hat, sagt: „Österreichische Gegenwartskunst ist kaum international zu sehen.“
Fehlt es etwa an Kunstschaffenden, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten? Dies bestreiten freilich alle, die man dazu befragt. So scheint paradoxerweise gerade die internationale Ausrichtung vieler Häuser dazu zu führen, dass nur wenige österreichische Künstler der jüngeren und mittleren Generation jenseits der Landesgrenzen reüssieren. Matthias Herrmann formuliert es kämpferisch: „Niemanden unter 50 zu zeigen, der hier lebt: Das ist letztlich die totale Provinz!“

„Die Profile der österreichischen Bundesmuseen für Kunst sind – was ihre Aufgabenverteilung betrifft – eher verwaschen.“
Karola Kraus (Foto), Direktorin des museums moderner kunst (mumok)

„Wenn ich ein Jahr lang zehn lokale Künstler in Einzelaustellungen präsentieren würde, hätte ich viel geringere Besucherzahlen.“
Nicolaus Schafhausen, Leiter der Kunsthalle Wien

„Sich um die ,heimische‘ Kunst zu bemühen, hat leider deutlich weniger Sex-Appeal.“ Stella Rollig, Direktorin Lentos Kunstmuseum Linz

+++ Lesen Sie hier: Die heimische Szene besitzt ein hohes Potenzial an Kunstschaffenden, die zwischen 30 und 50 Jahre alt sind. Eine streng subjektive Auswahl +++

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer