Jonathan Safran Foer
Autor Safran Foer: "Wir müssen ein bisschen Scheinheiligkeit riskieren"

Jonathan Safran Foer: "Wir müssen ein bisschen Scheinheiligkeit riskieren"

Das Klima und der Holocaust, Al Gore und Greta Thunberg, Microsoft und die Hoffnung – oder warum es bei der Rettung der Welt nie um alles oder nichts gehen sollte: Jonathan Safran Foer im profil-Gespräch.

Drucken

Schriftgröße

Hamburg, Hotel Atlantic, fünf Sterne mit Alsterblick. Jonathan Safran Foer, 42, Autor hochgelobter Romane („Alles ist erleuchtet“, „Extrem laut und unglaublich nah“) und irrwitzig erfolgreicher Sachbücher („Tiere essen“, „Wir sind das Klima“), thront auf einem Plüschfauteuil, während der Geist von Udo Lindenberg durchs Gebälk tigert. Der Rocksänger residiert seit Menschengedenken in dem noblen Hause, noch ist es allerdings zu früh für eine Erscheinung an der Hotelbar: später Nachmittag, schütterer Tiefnebel, gedämpfte Gespräche zwischen Aperitif, Business und blauem Samt. Nichts scheint in diesem Moment weiter entfernt als die Welt der jugendlichen Klimastreikenden und deren Sitzblockaden for future. Dies hier ist die Welt der Bosse, die aber, andererseits, seit Kurzem eigentlich ganz ähnliche Ansichten pflegen. Die Welt wird neuerdings auch in Luxushotellobbys gerettet, man fühlt sich selbst in Davos für den Klimaschutz zuständig. Foer, ein ruhiger, extrem höflicher und dabei sehr bestimmter Gesprächspartner, warnt vor voreiliger Hoffnung.

INTERVIEW: SEBASTIAN HOFER

profil: Haben Sie das Weltwirtschaftsforum in Davos verfolgt? Foer: Nicht im Detail. Ich habe die Artikel in der „New York Times“ darüber gelesen.

profil: Der Klimawandel war dort in diesem Jahr das dominante Thema. Foer: Angeblich, ja.

profil: Alle – außer einem – Teilnehmer haben betont, dass sie dem Klimawandel effektiv begegnen wollen. Glauben Sie ihnen denn nicht? Foer: Es gibt tatsächlich eine Dynamik, die in diese Richtung weist, aber vieles bleibt leider Behauptung. Donald Trump hat das Pariser Klimaabkommen aufgekündigt, aber in Wahrheit erfüllt kein einziges Land in Europa sein Plansoll. Es ist gefährlich, sich bei dem Thema zu gut zu fühlen. Es ist gefährlich, jemand anderem die Schuld für die Klimakrise zu geben. Wir sind alle schuldig. Trump ist schrecklich, bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Aber wir sind alle schrecklich.

profil: Warum tritt Al Gore, der seit 15 Jahren vor den Folgen des Klimawandels warnt, eigentlich nicht beim WEF auf? Foer: Warum kandidiert Al Gore nicht als US-Präsident? Ich weiß es nicht. Ich glaube, er würde gewinnen. Er könnte die Wahl zu einem Referendum über die Umwelt machen. Vielleicht hat er das Gefühl, Greta Thunberg hat seine Stelle übernommen.

profil: Ist Greta Thunberg die Rosa Parks des Klimaschutzes? Eine ikonische Figur, die einen gesellschaftlichen Wandel auslöst wie die schwarze Bürgerrechtlerin, die 1955 ihren Platz im Bus nicht für einen Weißen aufgeben wollte? Foer: Man darf nicht vergessen, dass die amerikanische Bürgerrechtsbewegung viele Helden hatte, von denen viele unsichtbar blieben. Auch der Klimawandel wird viele verschiedene Botschafter brauchen. Thunberg ist eine wundervolle Galionsfigur. Sie ist jung, sie ist unglaublich charismatisch, die Leute glauben ihr. Aber es kann nicht nur sie sein. Ich halte die Reaktion vieler Leute für gefährlich, die sich wegen Greta Thunberg in Optimismus wiegen, dass sich alles zum Guten wendet – sich dabei aber selber nicht bessern.

profil: Greta Thunberg sagt: „Fürchtet euch, euer Haus steht in Flammen.“ Ist Panik denn eine angemessene Emotion auf die Klimakrise? Foer: Die Wissenschaft belegt eindeutig, dass wir in einer dramatischen Notlage stecken. Aber es gibt verschiedene Arten, einer Notlage zu begegnen. Panik kann konstruktiv sein. Manchmal ist sie es nicht. Um Thunbergs Metapher zu verwenden: Wenn Sie in einem brennenden Haus stehen, sollten sie besser nicht in Panik geraten. Sie sollten das Haus verlassen oder den Brand löschen. In unserem Fall können wir das Haus nicht verlassen. Wir sollten uns also darauf konzentrieren, den Brand zu löschen.

profil: Panik wäre immerhin irgendein Gefühl. Warum lassen uns Nachrichten von brennenden Regenwäldern und steigenden Meeresspiegeln eigentlich so kalt? Foer: Die Nachrichten lassen uns nicht kalt. Aber sobald sie keine Nachrichten mehr sind, wird uns das Problem egal. Man hat leicht eine starke Reaktion, wenn man einen Sturm auf die Küste treffen sieht. Das Problem ist, wie wir danach weitermachen. Wie behalten wir uns diese Dringlichkeit? Der Klimawandel macht es uns nicht einfach. Er ist ein ungemein komplexes Thema, das für die meisten Menschen immer noch weit weg ist – geografisch und zeitlich. Ich hab mich sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt, ich habe ein Buch darüber geschrieben, ich gebe Interviews darüber, und selbst mir fällt es schwer, mich im Alltag daran zu erinnern, in welcher Krise wir uns befinden.

Das Buch, das Foer geschrieben hat, heißt „Wir sind das Wetter“ und ist brillant. Der Autor verwebt sein Anliegen in einen auch emotional funkelnden Essay, in dem landwirtschaftliche CO2-Bilanzen mit Meditationen über persönliche Vergänglichkeit verbunden sind, Anekdoten aus der bemannten Raumfahrt mit dem alten Ägypten, der menschlichen Lust auf Cheeseburger und dem Weltuntergang. Es treten auf, unter vielen anderen: Franklin D. Roosevelt, Rosa Parks, der amerikanische Astronom Percival Lowell, ein antiker Selbstmörder, selbstlose Blutspender und Foers Großmutter, die 1941 aus ihrem polnischen Dorf floh, um den Nazis zu entkommen. Sie ging allein; ihre Familie hatte nicht glauben können, dass es so schlimm kommen würde, wie es schließlich kam: Die Nazis ermordeten alle, die geblieben waren. Foers Großmutter war die einzige, die erkannt hatte, dass man etwas tun musste – und sei es, die eigene Heimat zu verlassen.

profil: Der Mitbegründer der radikalen Klimaschutz-Bewegung Extinction Rebellion, Roger Hallam, hat kürzlich mit Kommentaren zum Holocaust für Aufregung gesorgt. Foer: Was hat er gesagt?

profil: Er hat den Holocaust „nur einen weiteren Scheiß in der Menschheitsgeschichte“ genannt und erklärt, der Klimawandel sei ein Genozid der Mächtigen an den Schwachen. Foer: Die Mächtigen wollen Geld verdienen und kümmern sich nicht um die Folgen. Es geht nicht um einen Genozid, es geht ums Geschäft. Ohne den Kontext zu kennen, in dem er das gesagt hat, meine ich, dass es durchaus Sinn ergeben kann, sich auf die Geschichte zu beziehen – wenn wir daraus etwas für die Gegenwart lernen: Was passiert, wenn wir nicht reagieren? Ich bin im Bewusstsein des „Niemals vergessen!“ aufgewachsen. Es ging dabei aber nie nur um Antisemitismus: Es ging um alle Arten von Unmenschlichkeit und Vernichtung. Vergiss nie, dass es deine Aufgabe ist, die Katastrophe zu verhindern! Die Katastrophe des Klimawandels ist eine völlig andere als die des Holocaust. Aber unsere Verantwortung ist eine ähnliche.

Foers Vorschlag zur Bewältigung der Klimakrise klingt simpel: Verzichten wir – nur bis zum Abendessen – auf tierische Nahrungsmittel. Wenn sehr viele Menschen diese Entscheidung treffen, auch weil ihnen diese Entscheidung durch politische und ökonomische Anreize oder auch durch die Überzeugungskraft ihrer klimastreikenden Kindern leicht gemacht wird; wenn es also zu einer massenhaften Veränderung der westlichen Ernährungsgewohnheiten kommt, kann – so Foer – der weltweite Treibhausgas-Ausstoß dramatisch reduziert werden. Denn bis zu 51 Prozent der weltweiten Emissionen seien – sofern man die für die Produktion tierischer Lebensmittel gerodeten Wälder und deren verlorene CO2-Absorption einrechnet – direkt oder indirekt von der Lebensmittelindustrie verursacht. Individuelle Ernährungsentscheidungen wären demnach ein entscheidender Hebel in der Bekämpfung der Klimakrise. Der Beitrag der Nutztierhaltung zu den Treibhausgas-Emissionen ist freilich umstritten: Es gibt auch Studien, die auf einen niedrig zweistelligen Beitrag kommen.

profil: Vor 20 Jahren hat man in Flugzeugen und Kinderzimmern noch ganz selbstverständlich geraucht, heute würde man nicht im Traum darauf kommen. Können sich unsere Ernährungsgewohnheiten ähnlich rasant ändern? Foer: Beim Rauchen haben Gesetze eine entscheidende Rolle gespielt. Man weiß seit 60 Jahren, dass Rauchen ungesund ist. Die Industrie war aber sehr geschickt darin, diese Tatsache zu verschleiern – so wie die Fleischindustrie verschleiert, wie sehr sie die Welt verschmutzt. Es wird keine Gesetze geben, die Fleisch illegal machen. Aber es gibt jetzt schon genügend Gesetze, die die Fleischindustrie regulieren. Sie werden nur kaum exekutiert, und die Strafen sind vernachlässigbar im Vergleich zum Profit. Wenn wir die Regeln durchsetzen würden, die bereits existieren, und wenn wir außerdem die Subventionen für die Fleischindustrie streichen würden, wäre schon viel gewonnen. Fleisch ist künstlich billig. Wenn wir den wahren Preis für Fleisch zahlen würden, würde es uns sehr viel leichter fallen, uns für den Veganismus zu entscheiden.

profil: Warum werden die Regeln nicht durchgesetzt? Weil es Jobs kosten würde, den Unternehmen zu schaden? Foer: Die Fleischindustrie hat eine sehr, sehr starke Lobby. Genauso wichtig ist aber, dass Fleisch in unserem kulturellen Selbstverständnis eine zentrale Rolle spielt. Noch. Denn diese Geschichte ändert sich gerade fundamental.

Es gibt kein Nahrungsmittel, das man ohne negative Effekte für sieben Milliarden Menschen produzieren könnte.

profil: In den USA? Der Burger-Nation schlechthin? Foer: Pflanzenbasierte Burger wie Beyond Burger oder Impossible Burger haben die Art, wie die Menschen über Fleisch denken, wesentlich verändert. Es gibt diese Produkte heute bei jedem Burger King – zum gleichen Preis wie Rindfleisch-Burger.

profil: Aber auch die Rohstoffe für pflanzliche Burger müssen irgendwo wachsen. Treiben wir den Teufel mit dem Beelzebub aus? Foer: Wir werden weiterhin eine industrielle Landwirtschaft brauchen. Es gibt kein Nahrungsmittel, das man ohne negative Effekte für sieben Milliarden Menschen produzieren könnte. Aber es gibt Nahrungsmittel und Methoden, die nachhaltiger sind als die Massentierhaltung.

profil: Wissen Sie, wie viele Menschen nach der Lektüre Ihres Buches „Tiere essen“ zu Veganern wurden? Foer: Wie soll man das messen? Es ist sehr einfach, jemanden dazu zu inspirieren, Vegetarier zu werden. Und es ist sehr schwierig, Vegetarier zu bleiben. Ich bin in meinem Leben vielleicht zehn oder 15 Mal Vegetarier geworden. Es geht heute aber immer weniger um eine Frage der persönlichen Identität – bin ich Vegetarier oder nicht? – und mehr um die schlichte Erkenntnis, dass wir weniger Tiere essen müssen. Und dass wir dabei nicht zu streng sein dürfen. Isst jemand gar kein Fleisch: großartig! Ein Mal pro Woche? Großartig. Jeden Tag, außer Samstag und Sonntag? Auch großartig. Nicht genauso großartig, aber doch.

profil: Wenig ist mehr als nichts? Foer: Früher haben wir den Abstand zur Perfektion gemessen. Jetzt messen wir den Abstand zum Stillstand. Das ist eine wesentlich produktivere Haltung. Alles-oder-nichts-Entscheidungen entmutigen die Menschen. Sie werden lieber gar nicht vegan, als sich selbst inkonsequent oder scheinheilig zu fühlen. Wir müssen ein bisschen Scheinheiligkeit riskieren. Sie erlaubt uns, kleine Schritte in die richtige Richtung zu machen.

profil: Greta Thunberg würde jetzt vermutlich widersprechen. Sie ist tendenziell sehr streng. Foer: Und selbst sie könnte mehr für den Klimaschutz tun, als sie es tut. Ich gehe davon aus, dass sie hin und wieder in einem Auto mitfährt. Und sie soll ruhig ein Auto verwenden. Es wäre auch vollkommen in Ordnung, wenn sie hin und wieder fliegt. Es geht nicht darum, perfekt zu sein. Es geht darum, in einer komplizierten Welt richtige Entscheidungen zu treffen. Wenn Greta Thunberg in ein Flugzeug steigen müsste, um zu einem Vortrag vor 200.000 Menschen zu fliegen, dann hoffe ich, dass sie in dieses Flugzeug steigt.

Die Zukunft wird weniger angenehm sein als die Gegenwart.

profil: In den vergangenen paar Monaten haben Australien, Kalifornien und der Amazonas gebrannt, die Ozeane haben sich deutlich schneller aufgeheizt als angenommen, Venedig stand mehrfach unter Wasser. Haben wir den ökologischen Kipp-Punkt vielleicht schon erreicht? Foer: Es gibt nicht den einen großen Wendepunkt. Es gibt eine Bandbreite an Verlusten. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir die Korallenriffe noch retten werden. Es ist unwahrscheinlich, dass wir Küstenstädte wie Miami oder Venedig retten können. Arten werden aussterben, die Polkappen werden schmelzen. Wie stark die Verluste werden, wird aber von unserem Handeln abhängen.

profil: Sie schreiben: Auch wenn die Ziele des Pariser Abkommens erreicht werden sollten – was nicht zu erwarten ist – wird es zu apokalyptischen Szenarien kommen. Foer: Die Zukunft wird weniger angenehm sein als die Gegenwart. Es gibt genügend Gründe, sich Sorgen zu machen.

profil: Aber vielleicht retten uns ja neue Technologien? Foer: Wir sollten nicht darauf hoffen. Das heißt nicht, dass es nicht passieren wird. Aber es wäre gefährlich, darauf zu warten. Ich finde es übrigens höchst bemerkenswert, dass jene, die sich auf technische Fortschritte berufen, in der Regel keine zusätzlichen Mittel für die Wissenschaft fordern. Sie glauben offenbar, das Wunder wird von allein passieren. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Wir wären nie am Mond gelandet, wenn die Regierung nicht das Ziel und die Frist ausgegeben und Hunderte Millionen Dollar investiert hätte. Davon abgesehen habe ich ziemliche Angst vor den unerwünschten Folgen, die technische Klima-Manipulationen auslösen könnten.

profil: Die neue EU-Kommission hat ein Ziel und eine Frist ausgegeben: Europa soll bis 2050 CO2-neutral sein. In Österreich sind die Grünen auch aufgrund der Klimaschutz-Bewegung in die Regierung gekommen. Haben wir einen politischen Wendepunkt erreicht? Foer: Nicht überall, und jedenfalls nicht in Amerika. Aber wir nähern uns, und zwar rasend schnell. Als ich begonnen habe, mein Buch zu schreiben, konnte ich kaum einen Artikel zum Zusammenhang zwischen Ernährung und dem Klimawandel auftreiben. Vor zwei Wochen gab es bei den Golden Globes ein veganes Galamenü. Moralische Revolutionen brauchen manchmal sehr, sehr lang, aber wenn sie passieren, verändern sie unsere Lebensweise rasant. Schon in naher Zukunft werden wir nicht fassen können, wie wir noch 2019 gelebt haben. Allerdings sollte diese Zukunft besser bald da sein. Wir haben keine fünf Jahre mehr. Aber es tut sich etwas. Haben Sie gelesen, dass Microsoft bis 2030 eine negative CO2-Bilanz darstellen möchte?

profil: Ja, allein der Glaube fehlt. Foer: Warum sollten sie es nicht tun? Sie können jetzt nicht mehr zurück. Bill Gates ist ein Kapitalist, aber genau das ist Kapitalismus: Man kann sehr viel Geld damit verdienen, grün zu wirtschaften. Und sobald Microsoft diesen Schritt macht, können Facebook und Google nicht zurückbleiben. Sie werden etwas tun müssen. Der Druck steigt. Ich finde das aufregend.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.