Sprachstolpern

Autor Wolfram Lotz fordert ein "unmögliches Theater"

Bühne. Autor Wolfram Lotz fordert ein "unmögliches" Theater

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Ein gewisses Maß an Pragmatismus wird selbst in der Kunst geschätzt. Die Abgänger von Schreibschulen, an denen die dramatische Kunst gelehrt wird, wissen genau, was die Bühnen von ihnen fordern - und bedienen den Apparat: Stücke bleiben, ohne das Prinzip der Dienstleistung zu hinterfragen, allerdings oft stromlinienförmig. Jungen Autorinnen und Autoren fehlt die Hybris, der freche Wille zur Überforderung ihrer Auftraggeber. Wer will heute noch die Welt aus den Angeln heben - und sei es nur die Theaterwelt?

"Die meisten Theaterleute sind Arschgesichter"
Auf einen wie den deutschen Autor Wolfram Lotz, 1981 in Hamburg geboren, hat das Theater gewartet. In einer Rede, gemeinsam mit anderen Dramatikern verfasst, forderte er 2010 ein "unmögliches Theater“, das Regie und Dramaturgie zwinge, Entscheidungen zu treffen. "Die meisten Theaterleute sind (natürlich gibt es Ausnahmen) Arschgesichter“, verkündet das Manifest, ein absurder Frontalangriff auf ein Theater, das sich anmaßt, die Welt abzubilden. Warum, fragt der Text, soll auf der Bühne Zeit linear verlaufen? Wer sagt, dass Spucke nach unten fliegen muss? Dass Katzen nicht ewig leben? Wolfram Lotz gelingt es, mit seinen so angriffigen wie unterhaltsamen Thesen ernste Anliegen und Satire souverän zu vereinen.

Für Lotz ist die "konventionelle Form des Dramas“ ohnehin nicht mehr geeignet, "unsere Gegenwart abzubilden“. In klassischen Stücken laufe alles auf einen Konflikt hinaus, dabei sei unser wirkliches Leben viel diffuser und verwirrender. Mit seinen Texten beweist der Autor aber auch, wie absurd der verschwommene Begriff der "Werktreue“ ist: Lotz’ Stücke können gar nicht eins zu eins aufgeführt werden. Wie inszeniert man, was in der Regieanweisung zu seinem Debüt "Der große Marsch“ (2011) gefordert wird: "21 mongoloide Kinder“ mögen die Bühne stürmen, um das Theater zu verwüsten. "Die Regie muss sich frei entscheiden können, auch gegen meinen Text“, sagt Wolfram Lotz im profil-Gespräch: "Theoretisch wäre es sogar denkbar, dass es Inszenierungen meiner Stücke gibt, die ganz ohne Text auskommen.“

"Ich spüre körperlich, woraus Sprache gemacht ist"
Lotz ist ein ernster Gesprächspartner, der sich viele Gedanken darüber macht, was zeitgenössisches Theater leisten sollte; dass er stottert, merkt man nur durch ein leichtes Stocken im Redefluss. Ähnlich wie bei seinem 2011 verstorbenen Kollegen Einar Schleef ist die Sprachbehinderung zentral für Lotz’ Schreiben. "Die Silben und Wörter bleiben in meinem Mund hängen, ich spüre körperlich, woraus die Sprache gemacht ist“, sagt er. "Beim Schreiben geht es mir um dieses Stolpern. Ich möchte Sprache nicht als etwas Heiles und Selbstverständliches zeigen.“

In Wien ist Lotz kein Unbekannter. In der überbordenden Regie von Romero Nunes wurde sein Stück "Einige Nachrichten an das All“ zum Überraschungserfolg der vorvergangenen Burg-Saison. Der aberwitzige Text pendelt zwischen Melancholie und Kalauer, zwischen Nonsens und der Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält. Lotz’ jüngstes Stück, das dieser Tage vom tschechischen Regisseur Dušan David Parízek im Akademietheater uraufgeführt wird, war ursprünglich als Hörspiel geplant. "Die lächerliche Finsternis“ erzählt von einem somalischen Soldaten, der sich vor einem Hamburger Gericht verteidigen muss, und von Europäern, die sich auf einer abstrusen Expedition dem afrikanischen "Herz der Finsternis“ - eine literarische Anspielung auf Joseph Conrads berühmte Erzählung - nähern. Ständig steht Bedrohung im Raum, die sich meist in lächerliche Banalitäten auflöst. "Das Komische entsteht durch die Zusammenbrüche von Sinnsystemen“, sagt Lotz, der sich in "Die lächerliche Finsternis“ von seiner "Mutter“ vorwerfen lassen muss, in seinen Stücken kämen zu wenige Frauen vor. Nicht nur die anderen bekommen ihr Fett ab. Lotz macht sich in aller Konsequenz auch gern über sich selbst lustig.

Herz der Peinlichkeit

"Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz wird am 6. September im Akademietheater uraufgeführt. Regie führt der in Brünn, Tschechien, geborene Dušan David Parízek, der für seine bitterböse Uraufführung von Elfriede Jelineks "FaustIn and out“ am Züricher Schauspielhaus viel Lob erntete. Es spielen Catrin Striebeck, Stefanie Reinsperger, Dorothee Hartinger und Frida-Lovisa Hamann.

Karin   Cerny

Karin Cerny