Interview

Bildenden-Rektor Hartle über Nahost-Debatten: „Hier herrscht kein Harmonismus“

Der Rektor der Akademie der bildenden Künste Wien, Johan Frederik Hartle, spricht über propalästinensische Studierende an seiner Uni, die komplizierte Frage, wie mit Israelkritik umzugehen ist, welche Konflikte er aushalten möchte – und welche nicht.

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Johan Frederik Hartle leitet seit Oktober 2019 als Rektor die Akademie der bildenden Künste Wien. Mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Militäreinsatz Israels im Gazastreifen ist seine Aufgabe nicht einfacher geworden. Vor allem an Universitäten, insbesondere an Kunsthochschulen, gehen bei diesem Thema die Wogen hoch. Gerade unter progressiven Studierenden wird der Konflikt hochideologisch ausgetragen. Bei der Solidarisierung mit der palästinensischen Bevölkerung wird die Grenze zur antisemitischen Aktion bisweilen überschritten; mit den Werkzeugen der postkolonialen Theorie wird Israel als Besatzungsstaat und Kolonialmacht kritisiert, von „ethnischer Säuberung“ und „Völkermord“ berichtet.

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg forderte „Free Palestine“, einige Black-Lives-Matter-Gruppen in den USA zeigten gar Sympathie für die Hamas; die inzwischen wegen Plagiatsvorwürfen zurückgetretene Harvard-Präsidentin Claudine Gay wollte sich bei einer Anhörung vor einem Kongressausschuss nicht festlegen, ob ein Aufruf zum Völkermord an Juden gegen die Mobbing-Richtlinien ihrer Uni verstoße. An der Wiener Universität für angewandte Kunst sorgte eine Rednerin bei einer Protestveranstaltung der „Students of the Palestinian Cause“ für Aufregung, weil sie den Hamas-Terror schlichtweg leugnete. Auch an der Akademie der bildenden Künste Wien gab es israelkritische Protestkundgebungen. Im Gespräch mit profil äußert sich der Rektor der Kunstuniversität, Johan Frederik Hartle, erstmals ausführlich öffentlich zu dieser Situation und seinem Umgang damit.

Im Oktober veröffentlichten Sie als Rektor im Namen der Akademie der bildenden Künste Wien ein Statement zum Hamas-Angriff und dessen Folgen. Es trug den Titel „Stop The Violence“, war recht knapp und nicht unumstritten. Warum?
Johan Hartle
Wir haben in der ersten Woche nach dem 7. Oktober ein Statement veröffentlicht, in dem wir sehr klar für die Opfer dieses Massakers Partei ergriffen haben.
Worauf sich intern offenbar Protest regte.
Johan Hartle
Wenig später haben wir ein zweites Statement herausgegeben, in dem wir auf eine sich verändernde Situation reagiert haben und auch dem wachsenden Unbehagen im eigenen Haus an der humanitären Katastrophe im Gazastreifen Ausdruck verliehen haben. Wir formulieren solche Statements mit Bezug auf die Kernaufgaben, die wir als Universität haben. Wir reagieren auf gesellschaftliche Spannungen, die sich auch bei uns im Haus abbilden. Es geht letztlich darum, die Akademie stabil und dialogfähig zu halten – auch international.
Gibt es eine einfache Erklärung dafür, warum gerade dieser Konflikt an Universitäten und Kunstakademien so kontrovers ausfällt?
Johan Hartle
Nein, eine einfache Erklärung gibt es nicht. Wir sind eine relativ politisierte Institution mit sehr vielen internationalen Perspektiven. Man muss bedenken, dass über 50 Prozent unserer Studierenden nicht aus Österreich kommen und ganz unterschiedliche Erfahrungen und Lebensrealitäten mitbringen. Diese Perspektiven sind im Moment einfach nicht sehr harmonisch. Darüber hinaus gibt es im Kunstsystem und im Universitätssystem insgesamt eine Tendenz, gesellschaftliche Konflikte in symbolischer Weise, gewissermaßen ausgleichend, zu behandeln. Zudem gibt es an Kunstuniversitäten wohl auch eine gewisse Tendenz zum Aktivismus und zur Dissidenz. Dagegen spricht nichts. Aber bei ungesichertem Urteilsvermögen kann das natürlich auch eine ungünstige Mischung sein.
Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur