#brodnig: Vermessene Menschen

Chinas Pläne zeigen, wie weit Überwachung in Zeiten sozialer Medien gehen kann.

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Ich beschäftige mich mit vielen dunklen Seiten des Internets - mit Hasskommentaren, mit Fake News. Aber nichts finde ich so beunruhigend wie Chinas digitale Strategie. Die Volksrepublik arbeitet an einem Programm, das jede bisher existente Überwachung in den Schatten stellt.

China entwickelt ein "Social Credit System": Möglichst viele Aktionen der Bürger werden überwacht und dafür Punkte verteilt. Wer sich so verhält, wie es der Staat gut findet, kriegt Punkte -wer etwas Unerwünschtes macht, dem werden sie wieder abgezogen. Ein paar Beispiele: Wer seine Rechnungen pünktlich zahlt, wer die eigene Stadt mit freiwilliger Arbeit unterstützt, wer die chinesische Regierung auf sozialen Medien lobt, sammelt Punkte. Wer hingegen viele Videospiele kauft, wer die Stromrechnung nicht rechtzeitig begleicht, wer zu schnell Auto fährt, dem werden Punkte abgezogen. Die Punktanzahl hat reale Konsequenzen: Mit vielen Punkten kriegt man leichter ein Visum für Europa oder einen Kredit von der Bank. Die Dating-Plattform Baihe zeigt sogar die Profile jener Bürger prominenter her, die viele Punkte haben - wer brav mitspielt, hat selbst bei der Partnersuche bessere Karten, beschreibt die Autorin Rachel Botsman.

China zeigt, wie totalitär die Überwachung dank moderner Tools werden kann.

Wer hingegen wenig Punkte sammelt, hat Nachteile. Man kriegt nicht so leicht einen Kredit und darf kein Flugzeug betreten. Sogar soziale Ächtung ist einprogrammiert: Es wirkt sich negativ auf den eigenen Punktestand aus, wenn man online mit Bürgern befreundet ist, die einen niedrigen Score haben. Noch ist das System freiwillig, aber ab 2020 soll es verpflichtend für alle 1,4 Milliarden Chinesen sein.

Immer wieder kommt der Einwand: Ist die Situation in China überhaupt so sehr anders als bei uns? Immerhin sammeln hier Konzerne auch immens viele Daten - von unserem Fitness-Status bis hin zur Freundesliste. Ich halte diesen Vergleich aber für falsch. Bei uns gibt es keine staatlichen Bestrebungen, all diese Daten zusammenzuführen und für ein verpflichtendes Bewertungssystem aller Bürger zu nutzen. In Europa sind Bürgerrechte etwas wert. China hingegen zeigt, wie totalitär die Überwachung dank moderner Tools werden kann. Es zeigt die dunkelste Seite des Netzes.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.