#brodnig: Unwürdiges Schauspiel

Wie widerwärtig einige Verschwörungstheorien sind, können wir aktuell beobachten.

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Auf den ersten Blick wirken Verschwörungstheorien oft unterhaltsam, z. B. die These, dass einige mächtige Personen (etwa die Queen oder Justin Bieber)"Reptiloiden" seien - also intelligente Echsen, die sich als Menschen tarnen. Solche Ideen wirken skurril. Doch beim Lachen über Verschwörungstheorien vergisst man leicht, dass manch krude These Hass befeuert. Die Geschichte zeigt dies deutlich. Im Nationalsozialismus diente Desinformation über eine zionistische Weltverschwörung als Brandbeschleuniger, um den Volkszorn (damals das "gesunde Volksempfinden" genannt) zu wecken und sogar die "Vernichtung" einer Menschengruppe zu legitimieren.

Auch heute erleben wir unbehagliche Thesen, wie jene der "Crisis actors". Nach Anschlägen oder Amokläufen wird Augenzeugen unterstellt, sie wären "Krisenschauspieler", die ein dunkles politisches Ziel verfolgen würden. Zuletzt wurde das über Überlebende des Schulmassakers in Parkland (Florida) behauptet, die sich für härtere Waffengesetze aussprachen. Ihnen wurde nachgesagt, nur Schauspieler zu sein. Statt Augenzeugen furchtbarer Taten zuzuhören, wird ihre Meinung somit herabgewertet und diskreditiert.

Nicht nur in den USA passiert das: Der deutsche Journalist Richard Gutjahr war Augenzeuge des LKW-Terroranschlags in Nizza, bei dem 86 Menschen getötet wurden. Er lebt in München und hat als Reporter etwas später auch vom Amoklauf im Olympia-Einkaufszentrum berichtet. Dass Gutjahr bei zwei Extremereignissen vor Ort war, brachte ihn und seine Familie ins Visier von Verschwörungstheoretikern. Hinzu kommt, dass seine Frau Jüdin ist, was Antisemiten anstachelte. Gutjahr wird online als "zionistischer Nazi-Dreckssack" beschimpft, seine Familie wird bedroht. Ein User schreibt etwa, dass seiner Tochter "auch mal etwas passieren könnte". Gerade auf sozialen Medien und YouTube scheinen solche Thesen zu florieren - oft führt erst ein öffentlicher Aufschrei dazu, dass Plattformen einzelne Beiträge löschen.

Es tut mir leid, dass meine Kolumne diesmal nicht lustig ist, aber solange solch menschenfeindliche Thesen online stark sichtbar sind, müssen wir über die unlustige Seite von Verschwörungstheorien sprechen.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.