Microdosing

LSD zum Frühstück: Der Durchbruch gegen Depressionen?

LSD zum Frühstück, Magic Mushrooms per Post? Das „Microdosing“ von Psychedelika verheißt Hilfe bei Depressionen.

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Die 28-jährige Freiberuflerin Emma* litt immer wieder an depressiven Verstimmungen, die verschriebenen Psychopharmaka versprachen nicht die erhoffte Linderung. Der Hinweis einer „ansonst völlig drogenresistenten“ Freundin, die an ähnlichen Tiefs litt und die durch die regelmäßige Einnahme von Psilocybin, dem Wirkstoff von Magic Mushrooms, wieder „Ordnung in ihr Ich“ bringen konnte, waren ausschlaggebend für einen Selbstversuch: „Ich habe mir die Mushrooms bei einem Online-Shop in den Niederlanden bestellt, Kostenpunkt circa 30 Euro. Natürlich hatte ich anfangs Angst, aber die Anweisungen, die mit der Packung kamen, waren beruhigend klar.“ Über einige Monate hinweg kaute Emma in Abständen von ein paar Tagen die Substanz: „Am Beginn fühlte es sich morgens an, als ob ich einen kleinen Schwips hätte, aber zunehmend empfand ich es wie Aufräumarbeiten in meinem inneren Chaos. Ich wurde klarer, konzentrierter, und hatte das Gefühl, Kontrolle über meine Emotionen zu haben.“ Inzwischen hat Emma mit dem Microdosing – also der Einnahme von sehr kleinen Dosen psychoaktiver Substanzen – wieder aufgehört: „Irgendwann stoppte ich, aus dem banalen Grund, weil die Packung einfach zu Ende war. Entzugserscheinungen hatte ich überhaupt keine. Heute geht es mir gut, auch ohne Antidepressiva.“

Verharmlosung ist dennoch nicht angebracht. Dass der Konsum etwa von LSD in Eigenregie brandgefährlich sein kann, zeigt nicht nur der tödliche Klippensturz des 15-jährigen Arthur Cave, Sohn des australischen Sängers Nick Cave, bei dessen Obduktion Spuren eines LSD-Trips festgestellt wurden. Bei Menschen, die an Psychosen leiden oder bereits traumatisiert sind, kann LSD die psychischen Probleme auch verschlimmern sowie zu Desorientierung, Belastungsstörungen und schweren Unfällen führen.

Klarheit statt Rausch

Im Gegensatz zu den exzessobsessiven 68ern scheinen die auf Individualismus und Selbsterfahrung gebürsteten Microdosing-Millennials beim Konsum von Drogen weniger auf Rausch und Zudröhnung zu setzen als auf einen verschärften Zugang zum eigenen Ich und den Abbau von Ängsten und Stimmungstiefs. „Wenn ich so in meinen Freundeskreis schaue“, erklärt Emma, „sind Depressionen die Krankheit meiner Generation.“

Vor einem Do-it-yourself-Microdosing warnt die Wiener Psychiaterin und Leiterin der Suchtforschung an der MedUni Wien, Gabriele Fischer, die kürzlich an einem Kongress in Nizza teilnahm, auf dem die Zulassung psychedelischer Substanzen in der psychiatrischen Behandlung durch die EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur) diskutiert wurde: „Ich rate bei all diesen Behandlungsmethoden zu einem klinischen Setting. Retreats sind kein idealer Ort für solche Versuche. In Österreich sind wir noch weit davon entfernt, dass psychedelische Substanzen als Medikation eingesetzt werden dürfen. Aber beim Einsatz von Ketamin, zum Beispiel in Form von Nasenspray, haben wir bei therapieresistenten Depressionen gute Erfolge beobachten können.“

Lifestyledroge aus dem Silicon Valley

Weltweit nehmen immer mehr Menschen winzige Mengen an LSD oder Psilocybin zu sich. Der Trend des „Microdosing“ schwappte vor etwa einem Jahrzehnt aus dem Silicon Valley nach Europa. Vor allem in der Start-up-Szene war die Praxis zur Steigerung von Kreativität und Leistungsfähigkeit beliebt geworden.

Im Berliner Hipsterbezirk Friedrichshain zeigt Daniel Becker, Start-up-Gründer von Cofana, sehr zum Ärger der Politik, wie man durch die geringfügige Veränderung eines Lysergsäurediethylamid-Moleküls (kurz: LSD) aus einer illegalen Substanz ein legales Derivat zaubert. Auf den Flyern, die seine sieben Mitarbeiter zu den bunten Substanzen in die Versandumschläge packen, steht „LSD-legal“. Offiziell bietet Becker das Derivat 1D-LSD „zu Forschungszwecken“ an. Auf seiner Website sichert er sich ab, indem er schreibt, dass dieses „nicht für den menschlichen Konsum“ geeignet sei. Seine Hauptzielgruppe: Kreative unter Leistungsdruck oder auf Selbsterkundungstrip.

Doch nicht nur die Leistungsfähigkeit werde gesteigert, auch von starken Verbesserungen psychischer Störungen wird (etwa in einschlägigen Reddit-Foren) berichtet. Federführend in der Forschung zum Einsatz psychedelischer Substanzen gegen therapieresistente Depressionen in Europa ist die Schweiz. Der an der Baseler Universität forschende Psychiater Peter Gasser erklärt im „Spektrum der Wissenschaft“, dass „LSD in der Psychotherapie ein wertvoller Türöffner sein kann“. Allerdings arbeitet Gasser, von der Gesundheitsbehörde genehmigt, mit seinen Patientinnen und Patienten nicht mit „Kleinstmengen“. So käme man sehr viel schneller zum „entscheidenden Punkt“. Inwieweit das Microdosing von LSD auch Placebo-Effekte beinhaltet, ist noch nicht sicher geklärt, zu dürftig ist bis dato das Studienmaterial.

FESTSCHRIFT

Im Schweizer Verlag Nachtschatten erschien ein Magazin, das dem LSD-Erfinder Albert Hofmann gewidmet ist. Die Substanz feierte kürzlich ihr 80jähriges Bestehen.

Auch die Langzeiteffekte von kontinuierlichem Microdosing von LSD oder Psilocybin sind noch nicht ausreichend erforscht. In jedem Fall erfährt LSD gegenwärtig einen Imagewandel. In das einstige „Sorgenkind“ seines 2008 verstorbenen Erfinders Albert Hofmann setzt die Wissenschaft heute große Hoffnungen. In Deutschland unterstützt die Regierung eine große Studie zu der Wechselwirkung von Psilocybin und Depression mit Millionensummen. In den USA läuft eine Untersuchung an Kriegsveteranen und den Heilungschancen von posttraumatischen Belastungsstörungen durch Psychedelika. Ab kommendem Sommer dürfen Psychiater in Australien erstmals Psilocybin verschreiben. Die Hippie-Drogen von früher könnten den Durchbruch bei der Depressionsbekämpfung bringen, wo klassische Antidepressiva sich als Sackgasse erwiesen oder durch ihre Nebenwirkungen teilweise die Lebensqualität vermindert haben. Dass die Pharmakonzerne noch zögerlich agieren, ist auch mit der Kostspieligkeit und Langwierigkeit der erforderlichen Studien verbunden; bis Ketamin eingesetzt wurde, dauerte es 15 Jahre.

Wie selbst üble Trips zur Legende werden können, erzählt der Gitarrist Carlos Santana in seinen Memoiren. Das schlechteste Konzert seiner Karriere sei ausgerechnet jenes in Woodstock gewesen: „Wir mussten raus, als das LSD noch voll wirkte. Es war ziemlich gruselig, vor einer halben Million Menschen in einem Zustand zu spielen, der mir wie ein Ozean an Farben und Amöben vorkam.“

* Name geändert

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort