Laut EU-Drogenbericht haben 29 Prozent der Bevölkerung Erfahrung mit illegalen Drogen (überwiegend mit Cannabis).
Gesellschaft

Drogen und Jugendliche: Drei Tage waaach

Kokain boomt nachhaltig, Ecstasy wird immer stärker, und Cannabis ist auch nicht mehr, was es einmal war. Von welchen Partydrogen Eltern noch nichts wissen.

Drucken

Schriftgröße

Mitte April, es sind mysteriöse Tage. Warum rufen LSD-Fans für den 19. April zum Fahrradausflug auf? Weshalb feiern Kiffer ausgerechnet am Hitlergeburtstag Welthaschtag? Und wohin genau steuert die deutsche Bundesregierung mit ihrer Cannabis-Legalisierung „light“? Immerhin, die ersten beiden Geheimnisse sind schnell aufgeklärt: Am 19. April jährt es sich zum 80. Mal, dass der Schweizer Chemiker Albert Hoffmann nach einem Selbstversuch mit einer neu synthetisierten Chemikalie auf sein Fahrrad stieg und einen ziemlich psychedelischen Trip erlebte. Er hatte zufällig LSD entdeckt. Der 20. April wiederum hat sich über die Jahre als internationaler Feiertag der Cannabis-Fans etabliert, weil sich eine Gruppe kalifornische Kiffer irgendwann in den 1970er-Jahren einmal um 4.20 Uhr verabredet haben soll, um eine Grasplantage auszuspionieren (lange Geschichte, klassischer Kifferhumor).

Zusatzfrage: Welche Drogen nehmen eigentlich Ihre Kinder? Dass sie welche nehmen, ist übrigens gar nicht so unwahrscheinlich. Dass sie genau wissen, was sie da tun, leider schon.

Ecstasy/MDMA

Der Wirkstoff von Ecstasy, MDMA, ist ein Amphetaminderivat, das stimulierend und euphorisierend wirkt und  Gefühle von Nähe und Verbundenheit erzeugt. MDMA wird auch in Form von Pulvern oder Kristallen vertrieben. Es bewirkt eine vermehrte Freisetzung  des Neurotransmitters Serotonin; Körpertemperatur und Blutdruck steigen an; beim Abklingen der Wirkung, aber auch bei längerem, wiederholtem Konsum können depressive Verstimmungen auftreten. 

Die Tabletten haben lustige Namen und gut wiedererkennbare Formen. Sie heißen Punisher (blaues Fünfeck mit Totenkopf-Logo), Pharaoh (weißer Tut-enchamun-Schädel) oder Kenzo (roter Löwenkopf) und enthalten, im besten Fall, MDMA (Methylendioxymethylamphetamin), das für euphorische Zustände und sehr zugewandte Stimmung sorgen kann. Tatsächlich wurden in den vermeintlichen Ecstasy-

Pillen aber auch schon ganz andere Substanzen gefunden. Seltsames Zeug wie das – je nach Dosierung – stark psychedelisch wirkende Alpha-Methyltryptamin (AMT) oder das ebenfalls halluzinogene 5-MeO-MiPT (Moxy). Das klingt nicht nur verwirrend, sondern kann auch ziemlich verstörend werden, wenn man nicht weiß, was man da nimmt.

Laut dem Europäischen Drogenbericht haben 29 Prozent der Bevölkerung Erfahrung mit illegalen Drogen (vor allem mit Cannabis). Im Wiener Suchtgiftmonitoring wurde eine Lebenszeit-Prävalenz (also zumindest einmaliger Konsum) verschiedener Drogen erhoben: 27 Prozent der Bevölkerung ab 15 haben Erfahrung mit Cannabis, je sechs Prozent mit Ecstasy und Kokain, fünf Prozent mit Amphetaminen. Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) geht davon aus, dass zwischen 30 und 40 Prozent der 15- bis 24-Jährigen schon mindestens einmal Cannabis konsumiert haben. Die Verbreitung von Kokain, Ecstasy und Amphetaminen ist in dieser Alterskohorte zuletzt leicht gestiegen.

Kein Wunder. Jugendliche sind heute mit einer Popkultur konfrontiert, die man durchaus als drogenaffin beschreiben kann. Musikvideos, in denen mit Koksbergen und Hustensaft-Orgien geprahlt wird, TikToks, in denen Trips simuliert werden, WhatsApp-Gruppen, in denen prominenten Role Models nachgeeifert wird. Dazu kommen verstärkende Effekte technischer Natur: Langeweile ist auf TikTok verboten, Extreme werden im Social-Media-Leben belohnt, und was könnte extremer sein, als sich am Montagmorgen statt eines Schulbesuchs im Park wegzuschießen oder sich wenigstens so aufzuführen wie Yung Hurn. Der bekannte Wiener Musiker hat in seinen Insta-Reels oft eine ziemlich taube Zunge, seine Augen strahlen Unsinn aus, er redet seltsames Zeug und wackelt manisch mit dem Handy. Vielleicht spielt er den Zugedröhnten auch nur, aber das Publikum feiert ihn so oder so, er schlurft auf dem Zeitgeist.

Natürlich ist das keine ganz neue Entwicklung. Drogen haben die Jugendkultur schon immer begleitet, oft auch geprägt, von den psychedelischen Erfahrungen der 1960er-Jahre bis zu den chemischen Paradiesen der Ravekultur. Die Verherrlichung und die Dämonisierung von THC, MDMA oder LSD haben eine lange Tradition.

Ganz real sind, anno 2023, aber leider auch immer mehr 13- oder 14-Jährige, die viel zu viel Ecstasy einschmeißen oder Beruhigungsmittel missbrauchen – mit Ergebnissen, die manchmal eher „Breaking Bad“ sind als Loveparade. Am 8. Februar starben in Heidenreichstein zwei Mädchen (14 und 17 Jahre alt) an einer Überdosis. Im November wurden eine Elf- und eine 14-Jährige während eines Ecstasy-Deals in Wien vergewaltigt; der Fall erinnerte an den Tod der 13-jährigen Leonie im Juni 2021, die von drei Männern mit Missbrauchsabsicht acht Ecstasy-Tabletten verabreicht bekam und daran starb.

Kokain

wird meistens geschnupft und erzeugt durch eine Veränderung des Dopaminhaushalts euphorische Gefühle.  Regelmäßiger Konsum kann rasch zu einer ausgeprägten psychischen Abhängigkeit führen; gängige Streckmittel wie Levimasol oder Lidocain können zusätzlich starke körperliche Beschwerden (bis hin zu einer Veränderung des Blutbilds mit erhöhter Infektionsgefahr) auslösen.  

In Wien ist es eine als „Stadtparkkinder“ bekannt gewordene, lose Gruppe von knapp 100 Jugendlichen, die zuletzt durch ihr hochriskantes Konsumverhalten auffällig wurde. Regelmäßig landen diese Teenager auf den psychiatrischen Notfallstationen, immer wieder kommt es in diesem Umfeld auch zu gefährlichen Überdosierungen. Viele, die hier abhängen, haben traumatisierende Erfahrungen hinter sich, manche kommen aber auch aus stabilen Verhältnissen und haben ihren eigenen Weg zum Nihilismus gefunden.

Eine ähnliche Szene macht derzeit auch Gerhard Jäger Sorgen. Der Sozialarbeiter leitet die Einrichtung „Drogenarbeit Z6“ in Innsbruck: „Wir haben ab 2021 mitbekommen, dass Jugendliche verstärkt Benzodiazepine konsumieren. Da schrillen bei uns sofort die Alarmglocken. Das sind keine Substanzen, die man zum Spaß konsumiert, das ist nichts zum Feiern.“ Im vergangenen Sommer sei eine Gruppe von Teenagern – überwiegend Mädchen – durch ihren besonders riskanten Benzodiazepin-Konsum auffällig geworden. „Die waren dann auch wiederholt auf der Notaufnahme der Kinderklinik. Und recht schnell hat der harte Kern dieser Gruppe angefangen, intravenös Opioide zu konsumieren.“ Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter von Z6 verstärkten ihre Beratungs- und Betreuungsbemühungen.

Schon seit dem Jahr 1999 besucht das Team der Mobilen Drogenarbeit Clubs und Veranstaltungen; seit 2021 fährt es auch einschlägige Orte im öffentlichen Raum an, um mit jugendlichen Drogenkonsumenten ins Gespräch zu kommen. Jäger: „Es gibt neben jenen Jugendlichen, die gut informiert und für ihr Alter sehr reflektiert sind und die versuchen, sämtliche Risiken beim Substanzkonsum zu minimieren, auch jene, die keine Ahnung haben, was sie da nehmen. Bei den sehr riskant konsumierenden Jugendlichen kann das auch ein Glück sein – weil die zum Teil ja gerade die Grenzen ausreizen wollen. Manche von ihnen würden auch ihren Tod in Kauf nehmen. Aber man kriegt bei Partys auch mit, dass Jugendliche sehr naiv irgendwas konsumiert haben und uns dann erzählen: ‚Das war so ein weißes Pulver, was könnte das gewesen sein?‘“

Cannabis

In den Blüten der Hanfpflanze kommen zahlreiche sogenannte Cannabinoide vor; THC wirkt psychoaktiv (und unterliegt dem Suchtmittelgesetz), CBD  beruhigend (und ist legal). Neuere, synthetische Cannabinoide sind kaum erforscht und können starke unerwünschte Wirkungen haben. Cannabis kann geraucht oder oral konsumiert werden. Es ist die am weitesten verbreitete illegale Droge; bis zu 30 Prozent der Bevölkerung haben schon gekifft. 

Aus dem Party-Alltag berichten die Drogenberater von einem auch über die Lockdowns hinweg stabilen Trend zum Kokain – die Droge ist heute leichter verfügbar denn je, zudem reiner und relativ inflationsresistent, was sie für immer größere Konsumentenkreise attraktiv macht. Aber auch Ecstasy hat wieder Saison. Um das Risiko von gestreckten, hoch dosierten oder sonst wie verfälschten Drogen zu minimieren, sollen anonyme Testangebote wie jenes der Innsbrucker Z6 Drogenarbeit oder von Checkit! in Wien helfen. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 1336 Proben bei Checkit! abgegeben, von denen 59 Prozent ausschließlich den erwarteten Wirkstoff enthielten. Bei 14 Prozent gaben die Tester eine explizite Warnung wegen gesundheitlich bedenklicher Zusammensetzungen oder extrem hoher Wirkstoffkonzentrationen aus. Dabei wurde immer wieder auch „neue psychoaktive Substanzen“ festgestellt; synthetische Drogen, deren Effekte weitgehend unerforscht sind, zum Beispiel synthetische Cannabinoide, also Moleküle, die die Wirkung von THC simulieren sollen – dabei aber oft völlig unkontrollierte Effekte haben.

Gerade die weitverbreiteten, weil legalen, nicht psychoaktiven CBD-Hanfblüten werden für den Schwarzmarkthandel häufig mit synthetischen Cannabinoiden versetzt, die oft um ein Vielfaches stärker wirken als natürliches THC. Damit kann es schnell zu unbeherrschbaren Rauschzuständen, Herz-Kreislauf-Problemen und in Einzelfällen auch schweren Vergiftungen kommen. Das Gras ist nicht mehr, was es einmal war. Gerhard Jäger von der Innsbrucker Z6 Drogenarbeit warnt: „Ich kann mich leider nicht darauf verlassen, dass alles in Ordnung ist, wenn meine Kinder nur kiffen.“

Bei Ecstasy betrafen die Warnungen von Checkit! vor allem deren hohe Wirkstoffkonzentration. Tatsächlich sind die neueren Pillen stärker gepresst und enthalten pro Stück oft mehr als 150 Milligramm, teils bis zu 200 Milligramm des Wirkstoffs MDMA, was deutlich über der einigermaßen sicheren Dosis liegt. Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, bereitet das doch einige Sorgen: „Es ist davon auszugehen, dass manche Konsumenten Ecstasy erwarten und von diesen zusätzlichen, eher psychedelischen Wirkungen überrascht werden, die für die Psyche sehr belastend sein können, während die hohe MDMA-Konzentration gleichzeitig zu extrem hohen Pulsraten und auch Herzrhythmusstörungen führen kann.“

Im Großen und Ganzen rät Lochner dennoch zur Entspannung. Der im März veröffentlichte „Epidemiologiebericht Sucht 2022“ der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) gibt ihm recht. Dieser geht bei den illegalen Drogen von einer weitgehend stabilen Situation aus. Für den Umgang mit dem möglichen Konsum der eigenen Kinder rät der Wiener Drogenkoordinator (und selbst Vater eines 16-Jährigen): „Die Grundlage ist, dass man mit allen Kräften versucht, ein offenes, ehrliches Verhältnis zu bewahren. Wenn das nicht gegeben ist, wird man einfach nicht mehr erfahren, was passiert. Man sollte unbedingt versuchen, sich zu informieren, sich dabei auch ein breites Bild zu verschaffen und wegzukommen von diesem nur abstinenzorientierten, auch stigmatisierenden Ansatz. Nein, unsere Kinder werden, wenn sie einmal Cannabis konsumieren, deshalb nicht gleich drogensüchtig werden. Cannabis ist auch keine Einstiegsdroge, weil man beim Kauf mit Kriminellen in Kontakt käme. Das war in den 1980er- oder 1990er-Jahren vielleicht noch so. Der Kauf von Substanzen funktioniert heute aber anders.“

Das ist leider nicht nur eine gute Nachricht. Die meisten Drogen werden heute im Bekanntenkreis verteilt oder verkauft, der Austausch über Substanzen und Konsumgelegenheiten passiert in Social-Media-Chats. Zu diesen haben aber auch immer jüngere Jugendliche Zugang. Gleichzeitig kommen Buben und – vor allem – Mädchen heute immer früher, schon mit elf, zwölf Jahren in die Pubertät, und damit in eine Entwicklungsphase, die ein riskantes Verhalten – in Bezug auf andere Menschen, neue Erfahrungen, angesagte Drogen – begünstigt. Das eröffne laut dem Innsbrucker Sozialarbeiter Gerhard Jäger auch Raum für Fehleinschätzungen: „Eltern glauben oft, ihr Kind ist sicher mit dem Handy im Kinderzimmer. Aber in den sozialen Medien sind sie in allen möglichen Foren unterwegs, wo sie sich Substanzen beschaffen können oder wo sie sich auch teils sehr intensiv mit Suizidalität befassen. Da ist elterliche Kontrolle bis zu einem gewissen Alter schon wichtig.“

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.