Corona

"Nähe ist für manche hoch bedrohlich"

Die Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki im Interview zu zerstörerischen Paardynamiken und den Auswirkungen von Corona.

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profil: Wie hat sich die Pandemie auf Beziehungen ausgewirkt?
Wardetzki: Aus meiner Sicht ist es nicht zu mehr Trennungen gekommen als davor.

profil: Ist psychische Gewalt, die einigen Studien zufolge in den letzten Monaten zugenommen hat, Ihrer Berufserfahrung nach häufig eine Vorstufe von körperlichen Aggressionen?
Wardetzki: Das kann, muss aber nicht so sein. Meine Klienten klagen eher selten über physische Gewalt. Das beschränkt sich dann auf Szenarien, wo der Mann beispielsweise in der Tür steht und die Frau nicht aus dem Zimmer lässt und sie festhält. Die psychische Gewalt hat ja viele Gesichter.


profil: Welche Facetten treten da oft auf?
Wardetzki: Entwertung. Da fallen Sätze wie "Du hast ja keine Ahnung", es kommen Vorwürfe oder es werden schlichtweg auf Fragen keine Antworten gegeben, sondern es kommt eine Gegenfrage wie: "Was ist denn das jetzt für eine blöde Frage?"

profil: Jetzt ist aber Streit prinzipiell auch das Merkmal dafür, dass eine Beziehung noch lebendig ist. Der berühmte Paarforscher John Gottman, der 10.000 Paare untersuchte, ist jedenfalls dieser Überzeugung.
Wardetzki: Ja, wenn dem Streit noch immer gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung zugrunde liegt und es sich um Meinungsverschiedenheiten handelt. Aber es gibt natürlich Paare, die sich nur mehr gegenseitig anbrüllen und sich nur mehr in der Verletzung verständigen. Was ja auch immer ein Ausdruck von Hilflosigkeit ist.


profil: Liz Taylor und Richard Burton waren das Paradebeispiel für eine Konstellation, wo der Streit auch die erotische Funktion eines Vorspiels hatte.
Wardetzki: Es gibt natürlich solche, die Bindungsprobleme haben und nicht in der Lage sind, anders Intimität zu ertragen als in der Sexualität. Nähe ist für manche hoch bedrohlich. Aus Angst vor echter Nähe leben diese Menschen dann Intimität nur auf der Sexschiene aus.

profil: Dann gibt es natürlich auch Paare, die nur aus Harmonie und Symbiose bestehen. Ihre Kollegin Julia Onken nennt das "mumifizierte Partnerseelen".
Wardetzki: Wenn die Leute damit zufrieden sind, maße ich mir nicht an, darüber ein Urteil zu fällen. In einer Therapie müsste man dann vielleicht herausfinden, welche Funktion diese Form von Symbiose hat.

profil: Sie sind Spezialistin für Narzissmus und seine Auswirkungen in Partnerschaften. Kann man genderspezifische Merkmale im Narzissmus verorten?
Wardetzki: Natürlich gibt es von Narzissmus Tausende Varianten. Wir haben ja alle eine narzisstische Struktur. Das "Trump'sche" Element, also dieses Großspurige, Grandiose, sich arrogant in den Vordergrund zu schieben, das tritt weitaus häufiger bei Männern auf. Frauen neigen eher zum Komplementärnarzissmus, das heißt, sie wollen ein idealisiertes Selbst beim anderen entlehnen, den sie für grandios halten. Sie sind zwar auch narzisstisch strukturiert, fallen aber in dieser Eigenschaft nicht auf. Durch den tollen Partner stehen sie dann auch im Rampenlicht und bekommen von dessen Grandiosität ein Stückchen ab.


profil: Und werden dabei auch zu Hüllen ihrer selbst.
Wardetzki: Der Leidensdruck muss sehr groß sein, dass solche Frauen aus diesen Beziehungen auch irgendwann einmal wieder herausfinden. Oft ist ja ihr Selbstwert in solchen Konstellationen schwer angegriffen. Aber ihre Sehnsucht nach Nähe, der Wunsch, die Schönheit des Anfangs, wo der Narzisst alle seine Verführungskünste hatte spielen lassen, in den Alltag zu transponieren, hält sie lange dabei. Und natürlich auch gemeinsame Kinder, finanzielle Abhängigkeiten und die Angst, allein zu sein.

profil: Wie stark sind solche Partnerschaften durch frühe Kindheitsmuster geprägt?
Wardetzki: Um in solchen Beziehungen zu verharren, gehört schon eine Erfahrung dazu, dass Beziehung etwas mit Zurückweisung und nicht mit Zuwendung zu tun hat. Viele dieser Frauen kommen ja aus Familien, in denen eine narzisstische Thematik vorhanden ist.

profil: Was sind denn die ersten Anzeichen, dass man sich in einem toxischen Beziehungskonstrukt befindet?
Wardetzki: Dass man sich nicht wohlfühlt. Wenn ein Mann beispielsweise schon zu Beginn einer Beziehung übermäßig aggressiv reagiert, wenn etwas mal nicht nach Plan läuft, würde wahrscheinlich jede Frau mit einer guten Bindungsfähigkeit sagen: "Danke schön und auf Wiedersehen."


Bärbel Wardetzki, 69,

ist Psychologin, Psychotherapeutin und betreibt eine Praxis in München. Sie ist spezialisiert darauf, Frauen zu helfen, aus langjährigen zerstörerischen Beziehungen auszusteigen. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher("Und das soll Liebe sein?"), in denen sie sich u. a. mit destruktiven Beziehungsmodellen auseinandersetzt. Mitte Februar erscheint eine neue Bearbeitung ihres Bestsellers "Weiblicher Narzissmus-der Hunger nach Anerkennung" im Kösel Verlag.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort