Die 2000er-Jahre erleben ein Revival. Aber Achtung: Es war nicht alles gut!
Sie rauchen wieder, sie tragen die bunten Riesenbrillen der 2000er-Jahre, sie feiern „Sex and the City“ und Lindsay Lohan. Und sie wissen genau, dass dieses Revival keine unschuldige Zeit wiederbelebt. Eine kurze Geschichte des Y2K-Trends.
Mit September 2007 führten die ÖBB ein striktes Rauchverbot in allen ihren Zügen ein, schon drei Jahre vorher hatte der Weltfußballverband FIFA das Rauchen auf der Trainerbank endgültig verboten (auf dem Rasen war es zu der Zeit schon unüblich geworden). Bis der Nichtraucherschutz auch in österreichischen Gasthäusern ankam, sollte es zwar noch ein paar Jahre dauern (nämlich tatsächlich bis kurz vor Corona), aber es zeichnete sich doch schon Anfang des Jahrtausends klar ab, dass die Ära Tschick zu Ende ging.
Bis sie es doch nicht tat.
Es wird wieder geraucht, durchaus unverschämt und an höchster Stelle. Dies ist keine Anspielung auf einen hohen Amtsträger in der Wiener Hofburg, sondern meint die gegenwärtige Ausweitung der Raucherzone in der internationalen Popkultur. Im Streaming-Hit „The Bear“ mag das Gequalme noch milieubedingt gewesen sein (die Serie spielt im Gastgewerbe), in romantischen Komödien kommt die Zigarette dagegen schon deutlich unvermittelter daher. Aber sie kommt. Ganz aktuell etwa in der Hand von Dakota Johnson als einigermaßen verzweifelte Paartherapeutin und hochgradig aktive Raucherin in dem programmierten Sommerhit „Was ist Liebe wert – Materialists“.
Die Pop-Brats Charli xcx und Dua Lipa inhalieren ihren Hedonismus schon länger mit einer gesunden Portion Todesverachtung, aber auch bravere Popstars greifen ohne erkennbaren Imageverlust wieder zur Zigarette: Addison Rae singt übers Rauchen, Sabrina Carpenter zeigt im Video zu „Manchild“ vor, wie man das macht, und sogar Beyoncé heizt sich in ihrem aktuellen Tourprogramm auf offener Bühne eine an.
Das will etwas heißen. Und gewiss auch etwas bedeuten. Einerseits wird offenbar gerade heftig an einem Gegenentwurf zur polierten Insta-Welt der Beauty- und Healthcare-Influencer gestrickt. Die Yoga-Bubble könnte, wenn das so weitergeht, bald platzen. Und andererseits ist der neue Qualm wohl nur eine Variante einer größeren Bewegung, nämlich dem Revival einer lauteren, bunteren, deutlich weniger achtsamen Ära, wir sprechen natürlich von den frühen Nullerjahren.
American-Apparel-Sujet aus den frühen 2000er-Jahren
Dieser Y2K-Trend, der als reines Fashion-Phänomen schon länger grassiert, aber nun zunehmend auch weitere Teile der Popkultur erfasst, hält sich auf den ersten Blick durchaus typisch an den handelsüblichen Retroschleifen-Zyklus: Es wird an der frühen Kindheit der aktuell trendrelevanten Zielgruppe angeknüpft, also jeweils etwa 20 bis 30 Jahre zurückgeblickt. Und damit landet man derzeit eben in den Jahren kurz nach der Jahrtausendwende.
Offensichtlich wird das Phänomen in der akuten Renaissance von Oversize-Jeans und -Trainingshosen, bunten Riesenbrillen und bauchfreien Tops, von Lipgloss und Scrunchies, im Extremfall auch in der Rückbesinnung auf einschlägige „Kult“-Marken wie Ed Hardy, Von Dutch oder Juicy Couture, alternativ auch in der aktualisierten Wiederaneignung durch Balenciaga oder das Recycling via Vintage-Läden.
Nicht ganz zufällig hieß die erste Single aus Charli xcxs stilprägendem „Brat“-Album „Von Dutch“, und auch das Pop-Phänomen des laufenden Sommers, Addison Rae, spukt sehr bewusst als Paris-Hilton-Klon durch TikTok (wo sie gut 89 Millionen Follower hat).
Charli XCX bei der diesjährigen GRAMMY Awards - Show
Stilistische Anleihen an Avril Lavigne in ihrer „Sk8ater Boi“-Era (2002) gehen anno 2025 als zeitgemäß durch, ja sogar verstaubte Zeitkapseln wie „Gilmore Girls“ oder „Sex and the City“ werden wieder gerne aufgemacht. Wobei gerade „Sex and the City“ für das laufende Y2K-Revival nicht ganz repräsentativ ist. Denn die gute alte Zeit, an die sich Retro-Phänomene üblicherweise nostalgisch anschmiegen, ist in dieser Serie ausnahmsweise tatsächlich vorhanden: Eine Gruppe Vollzeit arbeitender Frauen lebt relativ sorgenfrei, selbstbewusst und in erheblichem Wohlstand – und hat sogar noch genug Zeit, sich in schöner Solidarität um die wechselseitigen Freundschaften zu kümmern. Das wird man schwerlich kritisieren wollen. Bei vielen anderen der gerade wiederbelebten Phänomene fällt der Widerspruch wesentlich leichter.
Problematisierter Zeitgeist
Und es wird auch widersprochen. Denn dieses Y2K-Revival ist eben kein typisches. Die Retroschleife bekommt einen Knoten verpasst (übrigens kommen gerade auch Kopfhörerkabel wieder, wie der Instagram-Account @WiredItGirls an prominenten Beispielen dokumentiert). Man reanimiert einen Zeitgeist, den man gleichzeitig problematisiert. Man ist sich im Klaren, dass der Jahrtausendwechsel leider kein goldenes Zeitalter einläutete. Dieses Revival denkt sich eben nicht zurück in eine gute alte Zeit, sondern weiß ganz gut, dass diese Jahre auch ihre toxischen Seiten hatten.
Die Retroschleife bekommt einen Knoten verpasst. Man ist sich im Klaren, dass der Jahrtausendwechsel leider kein goldenes Zeitalter einläutete.
Denn vieles war damals zwar noch angenehm analog, aber einiges doch auch schon ungeheuer unangenehm. Die Welt, an der wir heute leiden, wurde in den Jahren 2000 bis 2010 errichtet, die uns den „Krieg gegen den Terror“ brachten (und zuvor natürlich auch den Terror), die Finanz- und die Schuldenkrise, den Aufstieg von Fast Fashion und Social Media. Facebook wurde 2004 gegründet, YouTube Anfang 2005, das iPhone gab uns dann ab 2007 den Rest (Trendsetter greifen heute gern zum wiederbelebten, herrlich unsmarten Nokia 3010). Die Nostalgie ist im Y2K-Fall nicht idyllisch besetzt, der Zeitgeist erscheint in diesem Zusammenhang auch als Spukgestalt. Die Second-Hand-Ästhetik wird mit Second Thoughts versehen, dabei rückt die Frage ins Zentrum: War wirklich alles gut? Und: Kriegen wir es besser hin?
Die emotional baggage, an der dieses Y2K-Revival trägt, wird von einer Generation, die ein solches Reflektieren gewohnt ist, zwangsläufig mitgedacht. Es herrscht deshalb ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass die Nullerjahre nicht nur Spaß und Hedonismus bedeuteten, nicht nur „O.C., California“ und „Malcolm mittendrin“ , sondern auch Reality-TV und Castingshows, Size-Zero-Wahn und Porno-Ästhetik, durchwegs geprägt von einem Sexismus, der einem – rückblickend betrachtet – den Atem raubt.
Die emotional baggage, an der dieses Y2K-Revival trägt, wird von einer Generation, die ein solches Reflektieren gewohnt ist, zwangsläufig mitgedacht.
Im Bewusstsein, dass Menschen, ihre Lebenskonzepte und Weltvorstellungen immer auch von ihren kulturellen Umständen geprägt werden, lesen die heute 20- bis 30-Jährigen diese alten Texte, Bilder, Videos, Kleidungsstücke und Songs noch einmal neu und befragen sie auf ihre prägende Wirkung hin.
Dahinter steckt auch die Idee, dass eine aufgeklärte Sicht und offene Thematisierung von möglicherweise unterbewussten, negativen Einflüssen mithilft, ebendiesen Einfluss zu kontrollieren. Das Lifestyle-Revival wird so auch zu einer Art anti-ideologischer Bewusstseinsarbeit. Dazu muss man unangenehme Wahrheiten auf den Tisch legen. Zum Beispiel: Die Nullerjahre waren in Teilen ziemlich schrecklich. Bauchfrei und gedankenlos.
Hypersexualisierte Kultur
Sehr eindrucksvoll wird diese Perspektive in dem neuen Buch „Girl on Girl“ der britischen Journalistin Sophie Gilbert ausgeleuchtet, das auf Deutsch „Girl vs. Girl“ heißt und damit auf eine zentrale Pointe Gilberts verzichtet, weil es den Porno-Bezug ignoriert, den die Autorin in ihrer feministischen Popkulturgeschichte der 2000er-Jahre ins Zentrum stellt. Gilbert beschreibt die hypersexualisierte Kultur der frühen Nullerjahre, in der viele feministische Errungenschaften überwunden – oder vielmehr: aufgegeben – wurden, weil nur zu gern davon ausgegangen wurde, dass zum Beispiel Britney Spears als damals 17-Jährige sehr gern in Unterwäsche auf dem „Rolling Stone“-Cover posierte und dies sogar als persönlich befreiend empfand (was sich seit Spears’ im Vorjahr veröffentlichter Autobiografie „The Woman in Me“ nicht mehr ganz so einfach annehmen lässt).
An Beispielen für ihre These fehlt es bei Gilbert nicht, sie reichen von den sexualisierten Werbekampagnen der damals außerordentlich beliebten Modemarken American Apparel und Abercrombie & Fitch über die menschenfeindliche Brutalität der zeitgenössischen Paparazzi-Kultur und die Size-Zero-Manie der „Victoria’s-Secret“-Unterwäsche-Shows bis zu den Promi-Sex-Tapes und Reality-Formaten, in denen das Bodyshaming ganz schamlos auf die Spitze getrieben wurde. Auf TikTok und YouTube häufen sich die Reaction-Videos, in denen Jugendliche des Jahres 2025 Clips aus dieser gar nicht so guten alten Zeit mit ungläubigem Schaudern quittieren.
GNTM / Staffel 3 - Finale - Photocall mit Lena Gercke, Heidi Klum, Barbara Meier
Es regierte ein Zeitgeist, den Gilbert als „Hobby-Frauenfeindlichkeit“ (recreational misogyny) bezeichnet und der unter anderem darauf beruhte, Frauen wie Männern einzureden, dass weibliche Selbstermächtigung auf Sexyness beruhe, auf Dünn- und Verfügbarsein. Tatsächlich konnte man sich in diesem Zusammenhang die Frage kaum vorstellen, ob es denn nun wirklich Demokratisierung und Empowerment bedeutet, wenn statt selbst- und statusbewusster Supermodels junge Mitarbeiterinnen in anrüchigen Posen für internationale Werbekampagnen abgelichtet werden.
En passant arbeitet Gilbert auch einen bemerkenswerten Zusammenhang zwischen Sexismus und Digitalisierung heraus, etwa wenn sie berichtet, dass das tief ausgeschnittene Versace-Dschungelprint-Kleid, das Jennifer Lopez 2000 zu den Grammy Awards trug, eine derartige Faszination (und so viele Google-Suchen) auslöste, dass Google dadurch zur Entwicklung seiner Bildersuchfunktion inspiriert wurde; oder dass die Entwicklung YouTube ursächlich auf Janet Jacksons „Wardrobe Malfunction“ (samt möglicherweise unfreiwillig entblößter Brust) bei der Super-Bowl-Halbzeitshow 2004 beruht.
Die Gnadenlosigkeit, mit der etwa die psychischen Krisen von Britney Spears, Lindsay Lohan oder Anna Nicole Smith dokumentiert und ausgeschlachtet wurden, erscheint heute tatsächlich unvorstellbar.
Die gesellschaftliche Polarisierung und der soziale Druck, unter denen heute viele Menschen und Gemeinschaften leiden, waren in den frühen 2000er-Jahren gewiss noch nicht annähernd so unversöhnlich. Aber sie wurden damals eben schon angelegt – und für eine ganze Reihe prominenter Frauen waren sie schon in jener Zeit nicht mehr zu bewältigen. Die Gnadenlosigkeit, mit der etwa die psychischen Krisen von Britney Spears, Lindsay Lohan oder Anna Nicole Smith dokumentiert und ausgeschlachtet wurden, erscheint heute tatsächlich unvorstellbar.
Der Wandel, der sich trotz aller Social-Media-Gereiztheit feststellen lässt, zeigt sich deutlich etwa an einem der großen Überlebenden jener Zeit, dem Castingshow-Dinosaurier „Germany’s Next Topmodel“. Die streng durchgesetzte Normschönheit der ersten Staffel des Jahres 2006, in der manche Kandidatinnen tatsächlich wegen „zu dick“ nach Hause geschickt wurden und die am Ende das Heidi-Klum-Lookalike Lena Gercke für sich entschied, ist passé, dafür werden Vielfalt und Achtsamkeit propagiert. Man darf aus der Geschichte ruhig lernen.
Bevor nun aber mit den angekündigten Neuauflagen von „Die nackte Kanone“ und „Spaceballs“ womöglich bald die doofen alten 1980er-Jahre wiederkehren, sei noch einmal an Britney Spears erinnert, die in ihrem 2003er-Hit „Toxic“ das Dilemma ihrer Ära sehr schön auf den Punkt brachte: „Don’t you know that you’re toxic? / And I love what you do.“