Yo oder so

Die HipHop-Veteranen Texta: Yo oder so

Pop. 20 Jahre HipHop-Veteranen Texta: Ein Gespräch übers Weitermachen

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Zwei Viertel von Texta nehmen zwischen Othello und Bruce Willis Platz, was MC Flip – bürgerlich: Philipp Kroll, Producer und Rapper der Linzer HipHop-Band – eigentlich ganz passend findet, rein inhaltlich. Das Gespräch zum 20-jährigen Bandjubiläum findet im Wiener Büro ihrer Plattenfirma statt, an der Wand stehen Werbeaufsteller von Burgtheater-Editionen und Actionfilm-Soundtracks, am Besprechungstisch geht es bei eiskaltem Leitungswasser um Hoch- und Popkultur, um langsames Sterben (der Plattenindustrie) und ewige Klassiker (des Rap). Vor allem aber geht es um bemerkenswerte zwei Jahrzehnte, die im Probekeller einer ländlichen Tanz- und Unterhaltungsband begonnen haben: 1993, in Linz.

„Ein Wahnsinnsjahr war das“, erklärt MC Flip. Ansatzlos beginnt es aus ihm herauszusprudeln, er rappt geradezu, mit erkennbar oberösterreichischem Zungenschlag: „KRS-One: Return of the Boom Bap. A Tribe Called Quest: Midnight Marauders. Wu-Tang Clan: 36 Chambers. Snoop Dogg: Doggy Style. Souls of Mischief: 93 ´til Infinity. Del the Funky Homosapien: No Need for Alarm.“ Bald wird klar, dass er noch wesentlich länger so weitersprudeln könnte und dass ihm sein Bandkollege DJ Dan (Daniel Reisinger) noch dutzende weitere Stichworte dazwischensprudeln könnte, aber schon vorher wird deutlich, was sie damit (es handelt sich bei dem Namedropping übrigens, für Genrefremde, um einen kleinen, aber bedeutenden Teil der 1993er-Jahresproduktion im amerikanischen Rap) eigentlich sagen wollen: Vor 20 Jahren wurde HipHop endlich, was er heute ist, nämlich eine der dominanten, dabei immer wieder auch kreativsten, aufregendsten Popkulturen der westlichen Welt.

Das war anno 1993 auch in Linz zu spüren, wenn man es spüren wollte. Wobei die Szene, in der sich Flip, Dan und ihre Bandkollegen Huckey, Laima und Skero damals bewegten, also das Umfeld der Linzer Subkulturzentralen Kapu und Stadtwerkstatt, zunächst nicht sonderlich Rap-affin war. Flip: „Für die orthodoxe Hardcore-Fraktion in Linz war HipHop erst einmal natürlich ein Scheißdreck. Das hat sich zwar bald gebessert, und wir waren in der Szene ja trotzdem gut verwurzelt, aber bei den ersten Konzerten haben sich die Tontechniker schon spürbar ihren Teil gedacht, wenn wir da ohne Gitarrenkoffer oder Verstärker angekommen sind.“

Glück und Blödsinn
Die ersten Konzerte, von denen da die Rede ist, fanden Anfang 1994 statt. „Die Instrumentaltracks kamen damals noch alle vom DAT-Band“, erläutert Dan. „Dazu wurde gerappt – und gehofft, dass sich das Band nicht verspult.“ Flip: „Wir haben zum Glück schon früh begonnen, zwischen den Tracks ziemlich viel Blödsinn zu reden.“ Es wäre also genug Zeit dafür gewesen, im Notfall das Band wieder zurechtzuspulen.

Noch etwas wird schnell klar: Ein Gespräch mit Texta ist die Reise in eine Zeit, in der technisch und kulturell noch vieles anders funktionierte. Aber es funktionierte. „Ich möchte heute kein 20-Jähriger sein und als Rapper anfangen“, so Flip. „Ständig musst du im Internet hängen, dich selber promoten, Statusmeldungen und Videos fabrizieren, und alle paar Tage taucht ein neuer Hype auf. So etwas nagt auch an der Qualität. In den letzten 15 Jahren sind weniger wirkliche Rap-Klassiker veröffentlicht worden als zwischen 1993 und 1996.“ Dan, kopfnickend: „Wir hatten schlicht mehr Zeit, um die Dinge zu entwickeln. Und vor allem mehr Zeit, uns ernsthaft und ausführlich mit bestimmten Alben und Bands zu beschäftigen, die für uns wichtig waren.“

Dies waren, neben den erwähnten US-Klassikern, auch die ersten deutschsprachigen Rap-Gruppen aus Hamburg, Heidelberg und Stuttgart, Bands wie Advanced Chemistry, Blumentopf oder Beginner, die etwa zur selben Zeit aktiv wurden wie Texta und ihre innerösterreichischen Pendants in Wien (Schönheitsfehler) und Innsbruck (Total Chaos). Nur von den Fantastischen 4 ist im Gespräch mit Texta seltsamerweise nie die Rede, so viel Standesbewusstsein darf sein.

Vorspulen ins Jahr 1998: Texta haben – nach der Debüt-EP „Geschmeidig“ – gerade ihre erste LP „Gediegen“ veröffentlicht, MC Flip macht Zivildienst und sieht viel fern. „Auf ,Fett MTV’, das damals eine extrem einflussreiche Sendung war, ist ständig unser Video zu ‚Walkmania’ gelaufen. Zu der Zeit ist es mit dem Deutschrap-Boom so richtig losgegangen. Wir haben erstmals bemerkt, dass das auch ökonomisch richtig gut funktionieren könnte, waren Teil dieser ersten deutschsprachigen Old School, haben große Touren gespielt. Aber die dicken Vorschüsse wurden halt doch nur an deutsche Bands gezahlt, und unsere Marketingbudgets hatten auch nie im Leben deren Dimensionen. Musik-industriell waren die Grenzen nach Österreich immer schön dicht.“

Das sei übrigens bis heute so: „Österreicher, die in Deutschland funktionieren, müssen wie Deutsche klingen.“ Nicht, dass man deshalb frustriert wäre. „Es gab nie diese ganz großen Ups and Downs bei Texta. Wir kamen nie in die Verlegenheit, eine Popstar-Depression zu entwickeln.“ Stattdessen haben sie von Linz aus weitergemacht und wie Linzer geklungen, Album für Album, Hit für Hit. Zum 20-Jahr-Jubiläum erscheint nun ein gerade in dieser Hinsicht beeindruckendes Best-of: 20 Stücke, jedes einzelne ein Klassiker der österreichischen Popmusik und auch für halbherzige FM4-Hörer selbstverständlicher Teil des Kanons. Sowie, vor allem: Stücke, die bei aller produktionstechnischen Ernsthaftigkeit nie den Zug zur Ironie verlieren und zum gesellschaftspolitischen Bewusstsein, also zu dem, was deutschsprachigen HipHop der 1990er-Jahre ausmachte und was ihm seit den mittleren Nullerjahren mit dem Aufkommen des Berliner Böse-Buben-Rap (siehe Sido, Bushido, Fler) so tragisch abhandengekommen ist.

Auch Texta haben einen Verlust zu beklagen. Just zum Jubiläum erklärte Skero, das Wiener Fünftel der Linzer Truppe, seinen Ausstieg. Man hat sich ein bisschen auseinandergelebt, andere Interessen und Prioritäten entwickelt. 20 Jahre sind eben eine lange Zeit. „Ich kann das voll nachvollziehen“, sagt MC Flip. Dass die Band deshalb einsturzgefährdet wäre, verneint er allerdings emphatisch, im Gegenteil – beziehungsweise: Was weiß man schon Genaues? „Wir haben keinen großen Plan für die Zukunft. Aber wir merken doch, dass wir kreativ noch einiges derheben.“

Zwischen Othello und Bruce Willis ist ja wirklich noch jede Menge Platz.

Linzer Gruppe
DJ Dan, alias ­Daniel Reisinger, seit dem dritten Live-Gig Texta-Mitglied.
MC Huckey, alias Harald Renner, Gruppenältester; hat seine Wurzeln in der Linzer Punk- und Hardcore-Szene (Target of Demand).
MC Flip, alias ­Philipp Kroll, ­produziert einen Großteil der Texta-Instrumentaltracks.
Laima, alias Klaus Laimer, Kapu-­Veteran und ­unter anderem auch Mitglied des kurzlebigen Texta-Vorgängerprojekts ­Kapu Rap Squad 1
(KRS-One).
Skero, alias ­Martin Schlager, auch als Solokünstler („Kabinenparty“) erfolgreich; Wiener Außen­posten der Band, verkündete soeben seinen Ausstieg.

Texta: XX (Hoanzl)
Live am 5. Dezember
im WUK, Wien
www.wuk.at

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.