Kino

Barbies Fluch: Ein Schönheitsideal und seine fatalen Folgen

Die halbe Welt sieht „hot pink“ und feiert, getriggert durch den Film „Barbie“, das Revival einer Puppe, deren Schönheitsideal auf Instagram und im echten Leben Millionen von Selbstoptimierungs-Jüngerinnen nach sich zog. Müssen wir das super finden?

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„Bitte, eine Barbie!“ In der Generation der Boomerinnen torpedierten viele die Mutter spätestens ab dem Vorschulalter mit dieser Forderung. Und selbst wenn die so gequälte Bezugspersongerade im Geist der swinging seventies Alice Schwarzers „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“, Simone de Beauvoir („Das andere Geschlecht“) und Germaine Greers „Der weibliche Eunuch“ inhaliert hatte, warf sie irgendwann das Handtuch. Zugunsten der eigenen Nervenschonung befreiten sich auch feministisch aufgeweckte Frauen von ihrem Vorsatz, ihre Töchter nicht mit weiblichen Geschlechtsstereotypen zu füttern, die (und das ist bis heute mit kleinen Abstrichen so geblieben) von einem völlig unrealistischen Körperbild geprägt sind. Denn auch die Susi/Michi/Karin im Kindergarten hatten den Plastikfetisch aus dem Hause Mattel.

Der Zwang solcher Peer-Gruppen ließ das Barbie-Universum im Lauf der Volksschuljahre immer größer werden: Hochzeits-Outfits, Ballkleider, Ehemann Ken, eine brünette Barbie mit der Job Description „beste Freundin für immer“, das Schiff, der Camper, die Pony-Kutsche, das putzige Haus mit Garten – alles in jenem hysterischen Farbton gehalten, der als „hot pink“ apostrophiert wird und eine Mischung aus Rosa, Fuchsia und Magenta darstellt. Und bei den Generationen danach lief es nicht viel anders. Farbenhandlungen kommen übrigens gegenwärtig kaum mit den Lieferungen des Zuckerltons Pantone 219 C nach, offensichtlich will der halbe Planet zurzeit seine vier Wände in jener Farbe streichen, die bei längerem Hinsehen eine Art optisches Sodbrennen bewirkt.

Der Hashtag „Barbiecore“ ufert inzwischen ohnehin auf TikTok (gegenwärtig über 300 Millionen Nennungen) und Instagram aus, wo die lebende Barbie-Sippe der Kardashians und Stars wie Selena Gomez, Florence Pugh oder Dua Lipa dem Glaubensgrundsatz von Donatella Versace – „Less is less“ – in knalliger Opulenz Rechnung tragen. Zwar wird gerade weltweit der Modetrend „quiet luxury“, also Understatement-Minimalismus, ausgerufen, aber die Verfechterinnen der Barbie-Sekte kümmern sich darum nicht: Je lauter, pinker und theatralischer, desto besser. Schließlich verbrachte man covidbedingt viel zu viel Zeit im Schlurflook. Modemarken wie Balmain, dessen hypersensibles Mastermind Olivier Rousteing eine Kooperation mit Mattel einging („Das ist alles sehr emotional!“), oder Valentino strapazieren den Hype so sehr , dass nichts 2024 so aus der Mode gekommen wirken wird wie ein Pantone-219-C-Fummel.

Vom Feminismus verteufelt

Erstaunlich, dass ein Objekt, das aus dem Spirit der Wirtschaftswunderjahre und der „Kultur des Ornaments“, wie die US-Feministin Susan Faludi den Drang zur optischen Selbstoptimierung bezeichnet, geboren wurde, im Zeitalter der Wokeness von Feuilleton, Popkultur und Mainstream mit dermaßen offenen Armen aufgenommen wird. Jetzt, wo so kritisch und sensibel, besonders innerhalb der Generationen Z und Y, mit Sexismus, Geschlechtsstereotypen und von alten weißen Männern festzementierten Klischees umgegangen wird, erhebt sich Barbie, jahrzehntelang das Ziel feministischer Verteufelung, unter Triumphgetöse aus den Trümmern der Kritik.

Es war ein genialer Schachzug des Konzerns Mattel, eine Schutzheilige des feministischen Independent-Kinos wie Greta Gerwig als Regisseurin und Co-Autorin (in Kooperation mit ihrem Mann Noah Baumbach) mit einem Barbie-Film zu beauftragen. Die Garantie, dass Gerwig den gängigen Klischees mit Ironie und Augenzwinkern (siehe auch Kritik S. 49) begegnen und keinen zweistündigen Mattel-Werbespot abliefern würde, war somit gegeben.

„Der Film ist eine überraschend gepfefferte Margarita“, erklärte Gerwig im Interview mit dem „New York Magazine“, sowie „ein Cocktail aus Metaphysik, Selbstermächtigung und feministischer Theorie“. Und das alles überzogen mit einer fetten Schicht Ironie und spielerischer Freude an der „Camp“-Ästhetik des bonbonfarbenen Heile-Welt-Universums. „Ist ein Produkt nicht mehr in Mode“, schreibt der Kulturtheoretiker Daniel Haas im Magazin „Cicero“ , „lässt es sich ironisch aufgeladen noch einmal einspeisen in den Warenkreislauf.“ Dass Margot Robbie, Hollywoods Bilderbuch-Blondine, diese Barbie neben Ryan „Ken“ Gosling spielt, reduziert den Ironie-Anspruch wieder. Wäre Amy Schumer, die die Rolle abgelehnt hatte, in die Retro-Puppe geschlüpft, hätte die Ironie auch Mut besessen.

Durch das Konzept ironischer Elektrifizierung lässt sich der irrwitzige kommerzielle Erfolg des „hot-pinken“ Blockbusters erklären, der die Pop- und Medienkultur erfasst hat: ein komplett dem woken Zeitgeist widersprechender Stoff wird so lange postmodern hochgejazzt, dass am Ende bildungsferne Suburbia- Teenager, die auf feministische Kulturtheorien pfeifen, aber das Pink super finden, mit der liberalen Mittelschicht traut vereint im Dunkel des Kinosaals sitzen.

Die kommerziellen Absatzeinbrüche, die sich vor allem in den Zehnerjahren dramatisch bemerkbar machten, hatte Barbie einer anderen dünnen Blonden zu verdanken: der Disney-Eisprinzessin Elsa. Im Jahr 2022 brachten die Puppen (die inzwischen auch in allen Hautschattierungen, in „curvy“ Varianten und mit Behinderungen produziert werden) es wieder zu einer Umsatzsumme von 1,35 Milliarden Euro.

Spielzeug und Porno-Utensil

Barbie reiste ursprünglich aus einem Softporno-Land in die Weltöffentlichkeit. Sie hieß in ihrer Urform „Lilli“ und war tatsächlich ein Werbeprodukt des „Titten und Tiere“-Blatts, wie ein Chefredakteur der „Bild“-Zeitung einmal das Erfolgsgeheimnis seines Massenmediums brutal-pragmatisch zusammenfasste. „Lillis“ Anfänge waren zweidimensional in einem seit der ersten Ausgabe anno 1952 bis 1961 regelmäßig in der „Bild“ erscheinenden Schwarz-Weiß-Comic des Karikaturisten Reinhard Beuthien. Schon in der ersten Folge konsultierte die surreal proportionierte, blonde Pferdeschwanzträgerin mit dem Schmollmund und den überdimensionalen Wimpern eine Wahrsagerin mit der Frage bezüglich eines Schwarms: „Können Sie mir nicht Namen und Adresse dieses gut aussehenden, reichen Manns sagen?“

Der Erfolg der „Lilli“-Comics führte zur Erzeugung einer solchen Puppe, die im Nachkriegsdeutschland neben einer Karriere als Spielzeug gerne als erotisches Accessoire für einsame Junggesellen zum Einsatz gebracht wurde. Auf einer Urlaubsreise nach Europa hatte Ruth Handler, die mit ihrem Mann Elliot den Spielzeugkonzern Mattel gegründet hatte, eine solche „Lilli“ in einem Schaufenster gesehen, die Rechte an der Puppe erworben, sie nach ihrer Tochter Barbara benannt, und so kam 1959 die erste Barbie (blond und brünett) in gestreiftem Badeanzug, der nach zusätzlichen Outfits nahezu schrie, auf den Markt.

Die Feminismus-Keulen eines unrealistischen Körperbilds, in dem laut Studien nicht einmal alle lebensnotwendigen Organe Platz hätten, federte die 2002 verstorbene Handler ab, indem sie perfekt gestylte Karriere-Barbies (Astronautin, Konzernchefin, Ärztin) auf den Markt brachte. Zuletzt gab es Barbie sogar als Erfinderin des Impfstoffs von AstraZeneca.

Absurde Selbstoptimierung

Das absurde Mattel-Schönheitsideal, das man Mädchen seit den 1960er-Jahren in den Industrieländern durch Barbiepuppen vermittelt hat, wurde lange vor dem Film durch Instagram und TikTok genährt. „Es ist meine Art von Feminismus gewesen“, sinniert Anna Wrey, besessene Influencerin und tragische Heldin des US-Romans „Aesthetica“ von Allie Rowbottom; „in der digitalen Realität hatte ich die Kontrolle über meinen Körper, meine Inhalte, meine Jugend“. Und sie entwickelte eine Sucht nach der Droge Anerkennung in Form von Followern und Likes, wie die Journalistin Nena Schink, die sich im Selbstversuch als Influencerin versuchte, ergänzend erzählt: „In wenigen Minuten kannst du mit diversen Apps dein Foto super pimpen. Mit dem Effekt, dass keiner mehr zu sich selbst steht. Und eine völlig schwache Generation von Frauen entsteht, die besessen sind von ihrem Äußeren.“

Die lebende Fortführung des Barbie-Schönheitsideals sind die Kardashians. Das Fundament für den sexuell offensiven Einheitslook setzte die Sippe mit ihrer 20 Staffeln langen Reality-Show „Keeping Up with the Kardashians“. Mit ihrem Exhibitionismus jeglicher Intimitäten, dem Bling-Bling-Lifestyle, aber vor allem einem in ständiger Verbesserungspathologie befindlichen Schönheitsideal prägten sie die Sehnsuchtsvorstellung von einem besseren Selbst von Millionen von Teenagern: Kylie (373 Millionen Follower), Kim (334 Millionen) und Kendall (264 Millionen). „Die Kardashian-Frauen waren die Prototypen für diesen gespenstischen Cyborg-Barbie-Look“, so die „New York Times“, „der sich in den sozialen Medien inzwischen vervielfacht hat. Sie existieren in einem Prozess ständiger technologischer Upgrades. Und scheinen ihrer Follower-Schar zuzurufen: „Tu was, denn du kannst noch besser aussehen!“ Die 101-jährige Iris Apfel, nach der ebenfalls eine Barbie modelliert wurde (sie war damit die älteste Vorlage in der Puppengeschichte), brüllte in einem profil-Interview auf die Frage, was sie vom Beautywahn junger Frauen und dem „Barbie“-Look halte, nur ins Telefon: „Die sehen ja alle gleich aus. Man kann diese Puppengesichter nicht mehr voneinander unterscheiden. Aber ich denke mir oft, wenn ich solche zurechtgemachten Einheits-Beauties sehe: Wie schade! Sie haben noch immer nicht herausgefunden, wer sie sind! Sonst müssten sie sich nicht solchen schrecklichen Prozeduren unterziehen.“

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort