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Die vergessenen Konflikte

Aller Augen richten sich auf den Krieg in der Ukraine - dabei vergessen wir, dass in vielen Nationen derzeit Krieg herrscht.

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Heute vor mittlerweile acht Wochen hat Russland die Ukraine angegriffen. Seit zwei Monaten gibt es also nach einer langen Friedensperiode wieder Krieg in Europa. Ich kann mich noch gut an die Ruhe vor dem Sturm erinnern: Die wochenlangen „Militärübungen“, bei denen Russland hunderttausende SoldatInnen an der Grenze zur Ukraine stationiert hatte.

Ein Tag folgte auf den anderen, und nie wusste man, ob oder wann es losgeht. Und als Russland schließlich einmarschierte, hatten die wenigsten vorhergesehen, welche Ausmaße der Konflikt annehmen würde. Der Krieg in der Ukraine ist nicht nur auf die Separatisten-Gebiete Donetsk and Luhansk beschränkt, die der russische Präsident Wladimir Putin im Vorhinein anerkannt hatte. Nein, Putin scheint bestrebt, die gesamte Ukraine einzunehmen.

Städte wie Mariupol und Butscha wurden zu Beispielen menschlicher Abscheulichkeit. Bilder davon werden uns wohl noch lange begleiten. Kein Wunder also, dass sich seit zwei Monaten ein Großteil der Auslandsberichterstattung auf den Krieg in der Ukraine fokussiert.

Während in der Ukraine gekämpft wird, herrscht auch in vielen anderen Ländern Krieg: Yemen, Myanmar, Afghanistan, Tigray - und die Liste lässt sich fortsetzen. Daten des „Armed Conflict Location & Event Data Project“ (ACLED) zeigen, dass es in Myanmar bisher 16.300 offiziell gemeldete Kriegsopfer über die letzten Jahre gab. Ähnlich wie in der Ukraine könnte die Dunkelziffer aber weit höher sein. Dort ortet das Projekt rund 5680 Opfer bisher. 2021 war Myanmar auch für DemonstrantInnen besonders gefährlich - laut ACLED geschahen 60 Prozent der Tötungen durch den Staat bei Demonstrationen weltweit allein in Myanmar.

Das Land ist aber nicht nur für Protestierende gefährlich, auch ÄrztInnen sind seit Beginn des militärischen Coups Anfang letzten Jahres nicht mehr sicher. Seit Februar 2021 wurden laut den "Physicians for human rights" über 280 GesundheitsarbeiterInnen verhaftet und mindestens 30 getötet. Das verstärkt die dortige Gesundheitskrise noch weiter und es hilft nicht, dass das Militär über ein Dutzend Kliniken, die kostenlose Behandlungen angeboten haben, geschlossen hat. Oder dass es an Ressourcen und ÄrztInnen mangelt.

Wir hören derzeit hauptsächlich Neuigkeiten aus der Ukraine. Kanzler Karl Nehammer reiste vor kurzem medienwirksam in die Ukraine, wenige Tage danach trat er einen umstrittenen Kurztrip nach Russland an. Aus Tigray, Myanmar oder Afghanisten hören wir derzeit wenig. Doch diese Konflikte sind auch wichtig. Damit möchte ich in keinster Weise den Krieg und das Leid der Bevölkerung in der Ukraine schmälern. 

Nun befinden wir uns in einer ähnlichen Situation, wie zu den schlimmsten Zeiten der Corona-Pandemie: Man hat plötzlich das Gefühl, dass es nur noch diese eine Krise gibt und wir alle zusammenhelfen müssen, um sie zu bewältigen. Allerdings schwelen knapp unter der Oberfläche noch viele weitere Krisen - andere Kriege, Corona, Klima und Wirtschaft - und warten nur darauf, bald wieder auszubrechen.

Einen schönen Donnerstag wünscht

David Ulrich