Marie Antoinette

„Diese elenden Gazetten“

Des Kanzlers „Burgergate“ reanimierte wieder einmal das Klischee von Marie Antoinette als weltfremdem Luxusluder. Dabei zeichnen Historikerinnen inzwischen ein differenziertes Bild der tragischen Tochter von Kaiserin Maria Theresia und späteren Königin von Frankreich.

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Die Geschichte ist nicht nett zu uns“, meint Emilia Schüle, Marie-Antoinette-Darstellerin in der neuen, französisch-britischen Serie, in der die Königin von Frankreich noch einmal in opulenter Dekadenz schwelgen darf. Wie die zweite Staffel ausgehen wird, ist hinlänglichbekannt: Die historische Titelheldin wurde nach einem Revolutionstribunal, in dem ihr von Inzest mit dem eigenen Sohn abwärts kaum ein Vergehen nicht vorgeworfen wurde, auf einem Holzkarren, gleich einer gewöhnlichen Kriminellen, am 16. Oktober 1793, also vor genau 230 Jahren, auf dem heutigen Place de la Concorde in Paris hingerichtet.

Obwohl die Authentizität des zitierten Satzes nicht belegt ist, entspricht er besonders im Fall der tragischen Königin, im Volk oftmals nur mit verächtlichem Unterton als „L’autrichienne“ (die Österreicherin) tituliert, doch der Wahrheit. Das ihr fälschlicherweise über Jahrhunderte zugeschriebene Zitat „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen“, das ihre Arroganz, Abgehobenheit und Naivität bloßstellen sollte, wurde in den vergangenen zwei Wochen im Zusammenhang mit Karl Nehammers Fettnäpfchen-Burger wieder einmal häufig strapaziert.

Memes-Festspiele

Zahlreiche Memes, in denen etwa das Kanzler-Konterfei in Marie-Antoinette-Porträts kopiert worden war, kursierten in den sozialen Medien, um dessen Sager vom McDonald’s-Burger, den sich in Österreich sinngemäß alle, auch noch so armutsgefährdete Eltern als warme Mahlzeit für ihre Kinder leisten könnten, satirische Empörung zu verleihen.

Marie Antoinette war keine Intellektuelle, aber sie verfügte durchaus über Intuition und Klugheit

Katrin Unterreiner

Die Historikerin sieht Marie Antoinettes schlechtes Image den Karikaturisten ihrer Zeit geschuldet.

Zum Handkuss kam, wie so oft, wenn Politiker:innen an Realitätsverlust und Volksferne laborieren, das 15. Kind der einzigen regierenden Habsburger-Kaiserin Maria Theresia, die ihre Tochter als Spielball für die eigene Bündnispolitik instrumentalisiert hatte. Zuletzt war das in dieser Vehemenz nach dem legendären Sager des damaligen Jungkanzlers Sebastian Kurz im Jahr 2017, der jungen Menschen zu „Eigentum als beste Maßnahme gegen Altersarmut“ riet, passiert. Bis heute erinnern sich Alt-Sozialdemokraten mit Schaudern an jene Bemerkung von Christine Vranitzky, Ehefrau des damaligen Kanzlers Franz, die 1994 in einem profil-Interview ihrer Überzeugung Ausdruck verlieh, dass „wenn Kinder nach dem Lernen auf den Golfplatz gehen, ihnen sicher keine Drogen in den Sinn kommen“. Als Sahnehäubchen der Ignoranz verurteilte sie dann noch jene Mütter, die „ihre Kinder um sieben Uhr früh abgeben, um dann vielleicht vier- oder fünftausend Schilling zu verdienen.“

Da mutet Johanna Mikl-Leitners vorjähriger Offensive-Vorschlag gegen die Klimabedrohung, dass „man nicht zehn, sondern nur drei Ballkleider brauche“ (sie entschuldigte sich danach dafür), vergleichsweise harmlos an.

Das Kuchen-Zitat, so Katrin Unterreiner, Habsburger-Spezialistin und Autorin zahlreicher Bücher über die Dynastie (zuletzt: „Sisi, das geheime Leben der Kaiserin“), stammt tatsächlich aus einem Band von Jean-Jacques Rousseaus „Bekenntnissen“, in denen der Philosoph sich an „eine große Prinzessin erinnerte, von der man sagte, die Bauern hätten kein Brot, und die darauf antwortete: Sie können doch Kuchen essen.“

Die deutsche Übersetzung ist insofern nicht korrekt, als es im Original „brioche“ heißt, was im Französischen einem Hefegebäck entspricht. Obwohl Marie Antoinette tatsächlich ungewöhnlich groß war, kann sie mit dem Rousseau’schen Seitenhieb nichts zu tun haben: Im Entstehungszeitraum des Buches war Marie Antoinette gerade einmal elf oder zwölf Jahre alt. Über die Jahrhunderte blieb der Ausspruch trotzdem an ihr kleben, passte er doch wie maßgemacht in das „blutrünstige“ Bild, das in Frankreich lange kultiviert wurde. „Es bleibt unangefochten in unserem historischen Bewusstsein, dass die Revolution die Basis unserer Republik ist“, so die Revolutionsspezialistin Annie Duprat, „aber der Königin wurde im Rückblick viel Unrecht angetan, das erst in den letzten Jahrzehnten angemessen reflektiert wird.“

Opfer der Satire

Das katastrophale Image der „reine“ rührte vor allem von einer Flut von Karikaturen, Schmähschriften und Satirezeitungen her, die bereits in den ersten sieben Jahren ihrer Ehe mit dem späteren König Ludwig XVI. die Zensur umschifften. „Diese elenden Gazetten“, klagte Marie Antoinette in einem frühen Brief an ihre Mutter. Im Umgang mit den Attacken vergoss sie anfangs „einerseits Tränen“, aber „andererseits sah sie über diese kalten Duschen mit einem Lachen, das ihre Verachtung ausdrücken sollte, hinweg“, so die britische Biografin Antonia Fraser, deren Buch „Marie Antoinette – die Reise“ als Vorlage für die gleichnamige Verfilmung von Sofia Coppola aus dem Jahr 2006 diente.

Der „sehr tölpelhafte König“, so Unterreiner, „der noch viel mehr in seiner Versailles-Blase lebte als seine Frau, völlig überfordert war und oftmals bei Versammlungen einfach einschlief oder vor sich hinstammelte“ und dabei „immer dicker und mehr und mehr dem Alkohol zugeneigt war“ (so die verstorbene Historikerin Brigitte Hamann in einem profil-Gespräch), war erst nach einer ernsten Beischlafberatung mit seinem Schwager, Joseph II., der extra nach Versailles angereist war, in der Lage, die Ehe überhaupt zu vollziehen. Die Gründe bleiben ein Mysterium: Manche Historiker halten an der Phimosetheorie fest; die royale Vorhautverengung soll mittels einer Operation behoben worden sein, dagegen spricht, dass es dafür keinen einzigen Eintrag in den medizinischen Protokollen gibt. Die britische Biografin Fraser spricht von einer „libidohemmenden Hormonschwäche“ als Nebenwirkung einer degenerierten Dynastie.

Lady Di des Rokoko

Das französische Volk stigmatisierte die Zugereiste, die noch dazu aus dem lange feindlich gesinnten Österreich stammte, jedoch mit Genuss als unfruchtbare Ursache für das Debakel. Der heiß ersehnte Thronfolger sollte erst nach der Geburt einer Tochter 1781 kränklich zur Welt kommen und im Revolutionsjahr 1789 an den Folgen einer Rückenmark-Tuberkulose sterben. Ihre Luxus- und Verschwendungssucht manifestierte sich in diesen Jahren, in denen sie ihrer Bestimmung als „Gebärmaschine“ nicht gerecht werden konnte, als „Eskapismus gegen die wachsende Verzweiflung in ihrer Ehe“ (Katrin Unterreiner) und „reine Ersatzbefriedigungen“ (Fraser). Aber tatsächlich stellte die Königin mit ihren 1,50 Meter hohen Perücken, ihrem Faible für Federn und Diamanten und den waghalsigen Kreationen ihrer Modistin Rose Bertin, verglichen zu ihrem nächsten Umfeld, keine markante Ausnahme dar, was die Pomp- und Prunklibido bei Hofe betraf. Im Vergleich zu Versailles, so Hamann, „wo der Hof völlig enthemmt Dekadenz und Eleganz frönte und sich regelrecht vor den elenden Verhältnissen verbarrikadierte, war die österreichische Monarchie geradezu fortschrittlich.“

Im Gegensatz zu den Bourbonen regte Maria Theresia, die sich immer wieder ihren Untertanen zeigte und sich sogar deren Bittschriften in die Kutsche werfen ließ, ihre 16 Kinder (von denen nur zehn das Erwachsenenalter erreichen sollten), schon früh zur Wohltätigkeit an. Trotz eines „nahezu nicht existierenden Gestaltungsspielraums“ (Unterreiner), denn Ludwig XVI. durfte nicht widersprochen werden, findet man in den Biografien einige Beispiele für (zumindest) den Versuch zur Volksnähe: Während ihrer ersten Schwangerschaft erbat Marie Antoinette sich 12.000 Francs, um damit Insassen aus dem Pariser Schuldnergefängnis auszulösen, die nicht in der Lage waren, „die Ammen ihrer Kinder zu bezahlen“, unterstützte vereinzelte Familien, deren Ernährer verletzt oder verunfallt waren, und erwies sich, im Gegensatz zu den realitätsresistenten Hofchargen in ihrem vergoldeten Autismus, als „warmherzig und gar nicht ignorant, was die Bedürfnisse anderer betraf“, so Fraser in einem profil-Interview. Aber die Revolution brauchte „ihre Zirkusattraktion“ und „ihren Sündenbock, als der sich die Königin bestens eignete“.

In einem Land, das von Hungersnöten, Missernten, einem riesigen Schuldenberg und brutalen Steuerlasten für das Proletariat und die Mittelschicht geprägt war (der Adel war steuerfrei), eskalierte der Hass gegen die Österreicherin immer mehr un gipfelte 1786 in der „Halsbandaffäre“, als der völlig unschuldigen Marie Antoinette in einem Betrugsskandal der Kauf eines Colliers mit 540 Diamanten untergejubelt wurde. Die Karikaturen machten inzwischen auch nicht mehr vor sexuellen Ausschweifungen in Form von königlichem Gruppensex halt. „Man kann alle Hoffnungen verlieren“, seufzte Marie Antoinette, „wenn es das Ziel der Perversitäten ist, mich mit allen Mittel zu verletzen.“

Fest steht, dass Marie Antoinette „ zwar keine Intellektuelle war, dafür war die Erziehung der Erzherzoginnen nicht gedacht“, so Katrin Unterreiner, „aber dass sie durchaus über Intuition und Klugheit verfügte.“ In jedem Fall sah sie das Unheil durchaus kommen, während der Gatte noch immer seinen Hobbys, der Jagd und der Fertigung von Türschlössern, nachkam.

Als beeindruckendes Kompendium von Zeitdokumenten erweist sich der beinahe 1000 Seiten dicke Briefwechsel „Marie Antoinette – Correspondance 1770–1793“. „In dieser Fülle“, so die Historikern Evelyne Lever, „existierte der Briefwechsel bis dato nicht. Er zeichnet ein beeindruckendes Bild vom Wandel und Wachsen der Königin. Von einer manipulativen und vergnügungssüchtigen Naiven hat sie sich zu einer würdevollen Frau entwickelt, die im Gegensatz zu ihrem Mann sehr wohl Versuche unternommen hat, die Monarchie zu retten.“ In der Stunde ihres Todes wusste die „Witwe Capet“ durchaus jene sensationslüsterne Menge zu beeindrucken, die sie bislang nur aus Schmähschriften kannte: „Sie ging souverän, gefasst und würdevoll ihrem Schicksal entgegen“, so Katrin Unterreiner, „das verlangte den Schaulustigen dann doch Respekt ab.“ Nachdem sie ihrem Henker beim Weg auf das Schafott versehentlich auf den Fuß gestiegen war, soll sie sich so entschuldigt haben: „Mein Herr, ich bitte um Verzeihung, ich tat es nicht mit Absicht.“ Und dieses Zitat besitzt sogar das historische Echtheitsgütesiegel.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort