APA4805832-2 - 03082011 - ST POELTEN - ÖSTERREICH: Ein Arbeiter eines Installationsbetriebes stütz sich auf einen Kernbohrer aufgenommen am Dienstag 26. Februar 2008, auf einer Baustelle in Niederösterreich. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
profil-Morgenpost

"Du g’schissene Schlampe, ich rede mit dir!"

Guten Morgen!

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Meine Kollegin CHRISTA ZÖCHLING bewies Pioniergeist, was in profil die Aufdeckung von Sexismus in seiner niedrigsten Form im Hohen Haus betrifft. Vor mehr als einem Vierteljahrhundert trat dort die grüne Abgeordnete Therezija Stoisits ans Podium und ein Mikrofon, das nicht auf Anhieb funktionierte. Der damalige ÖVP-Abgeordnete Paul Burgstaller sprang mit einem dröhnenden Zwischenruf zu Hilfe: "Lutschen! In den Mund nehmen und fest dran lutschen". Stoisits' Replik ging in von Schenkelklopfen begleitetem Gelächter unter. Wenig später erschien Zöchlings profil-Covergeschichte mit dem Titel "Hasenjagd", in der Zöchling das Unsittenbild der österreichischen Politik offen legte und u. a. die "Grabsch-Affäre" eines SPÖ-Sozialministers enthüllt, der den Vorfall jedoch im Kabinett Vranitzky unbeschadet überstand.

Und heute? "Ich habe manchmal gar nicht so sehr das Gefühl, dass wir uns in einem Backlash befinden, sondern dass sich seit den 1950er-Jahren gar nicht so viel geändert hat", so die Parteichefin der Neos BEATE MEINL-REISINGER, eine von sieben Politikerinnen (darunter auch drei Männer), die in der aktuellen profil-Geschichte spannende, überraschende, aber auch schockierende Antworten auf die Frage "Wie viel Sexismus ist in unserer Gesellschaft, in unseren Institutionen, in unseren Köpfen verankert?" geben. Wobei wir die Definition von Seximus nicht nur auf sexuelle und verbale Übergriffe (wie zum Beispiel, dass der SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner "eine aufgelegt gehört", so der ÖVP-Mann Andreas Khol) beschränken, sondern auf jede Form von geschlechtsbedingter Benachteiligung. Da ist die mit 19,3 Prozent bemessene Lohnschere, die mit inkludierter Teilzeitquote 37 Prozent beträgt, nur die Spitze des Eisbergs.
 

"Wir haben in Österreich ein massives Problem mit strukturellem Sexismus, der zurückgeht auf eine tief in die Gesellschaft greifende Misogynie. Sehr viele Diskriminierungen erfolgen in Österreich rein auf Basis des Geschlechts, was in der Politik, den Medien und der Werbung ganz deutlich festzumachen ist", so die Frauensprecherin der Grünen, MERI DISOSKI.

Auch für das französische Gesetz, Pfiffe und obszöne Nachrufe auf der Straße mit Geldstrafen zu sanktionieren, empfiehlt Disoski dringenden Nachahmungsbedarf: "Erst unlängst ist mir das selbst passiert. Ein Bauarbeiter rief mir hinter her: 'Komm' her! Mein Kollege findet dich toll und will dich kennen lernen!' Als ich das ignorierte, kam sofort ein 'Du g'schissene Schlampe, ich rede mit dir!' Dass alles, was mit Gewaltverharmlosung und Herabwürdigung zu tun hat, nicht mehr toleriert wird und Konsequenzen hat, ist ein wichtiges Signal für die nächsten Generationen."

In dem sehr empfehlenswerten Gespräch, das CHRISTA ZÖCHLING mit der gebürtigen Wienerin ERIKA FREEMAN, 93, führte, zitierte die weltbekannte US-Psychoanalytikerin den Atheisten SIGMUND FREUD mit dem Satz: "Die Wege Gottes sind immer unergründlich und meist unerfreulich."

In diesem Sinne: Legen wir so dem unergründlichen wie unerfreulichen Sexismus gemeinsam eine auf!

Dafür haben wir auch genug Zeit, genauer 217 Jahre, denn solange wird es laut Forschern dauern, bis die Gleichberechtigung der Geschlechter kein Thema mehr ist.

Lassen Sie sich deswegen bitte nicht den Tag verderben.

Ihre

Angelika Hager  

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort