Essen auf Reden
Powerlunch

Ein Gang mit … Matthias Strolz

Matthias Strolz, der vielleicht auffälligste und definitiv verhaltensoriginellste Politiker der vergangenen Jahrzehnte, wird demnächst 50 Jahre. Höchste Zeit für ein Gespräch über die Frage aller Fragen: Wie wird man in Würde alt? Das Lokal seiner Wahl: das In-Dish in Wien.

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Matthias Strolz kann etwas, das nur wenige Menschen können. Er kann den Löffel randvoll mit Curry füllen, reden, den Löffel anheben, noch immer reden, mit dem Löffel kreisrunde Bewegungen machen und dabei einfach weiterreden, weiter, weiter, weiter, so lange, bis er vergessen hat, dass er in der rechten Hand einen vollen Löffel hat. Dann kann er ihn wieder in sein Curry tauchen und feststellen „Oha, da war ja noch was drauf.“ Wir sitzen im In-Dish, einem Restaurant in der Wiener Innenstadt, das laut Website „Ultimate Sophistication“ bietet als „das erste progressive indische Restaurant“. Das Lokal gehört einem Pakistani, der davor in Zell am See eine Pizzeria geführt hat, und ist ein klassisches Mittagslokal für Marketingexperten und Influencerinnen. Genauso schmeckt das Essen auch: kreativ. Strolz hatte das Lokal ausgewählt und damit große Erwartungen geweckt, schließlich hat ihn Indien schon oft beflügelt – zuletzt Anfang Jänner, als er drei Wochen dort war und dann auf Facebook live ging. Er habe gerade einen „Deep Dive“ hingelegt, erzählte er damals mit einem untertassengroßen Amulett vor der Brust und Club-Sounds im Hintergrund, deswegen sei er jetzt nach Goa gefahren, sich „in die Welt zurückschütteln, total kreativ, all doors broken open“. Das war vielleicht nicht für alle verständlich, vor allem nicht für die, die sich noch nie auf Goa geschüttelt haben, aber mit dem Verstehen ist es sowieso so eine Sache. Wer glaubt, dass er alles verstanden hat, der beweist nur, dass er nichts versteht, zumindest nicht Matthias Strolz.

Aber dazu später.

Heute hat er sich jedenfalls ordentlich verspätet, weil er aber trotzdem pünktlich wegmuss, macht er Tempo. Er scannt die Speisekarte und bestellt „Navratan Korma“: ein bisschen Gemüse und ein bisschen Käse in nicht nur einem bisschen gelber Kokos-Cashew-Curry-Sauce. Das ist prinzipiell schon eine mutige Bestellung, ganz besonders mutig wird sie aber, wenn man sehr viel mit dem Löffel redet, einen dunklen Anzug trägt und 20 Minuten Delay aufholen will. Also schnell: Worüber wollen wir reden?

Vielleicht darüber, wie man in Würde älter wird?

„Go with all your heart“, sagt Matthias Strolz, „alles andere ist unwürdig. Altern ist auch eine Form des spirituellen Reifens.“ Er streckt dabei den Löffel so weit von sich, dass man glaubt, das kleine Stückchen in gelber Sauce wäre eine Reliquie oder der Bissen der Weisen. Aber nein, sagt Strolz: „Ich bin im Alter weniger missionarisch geworden. Ich bin nur noch ein einfacher Heartivist.“ Was auch immer das genau ist, fest steht jedenfalls: Dieser Heartivist hat eine erstaunlich ruhige Hand.

 

Ich sage ja nicht, dass ich Musik machen kann, ich sage nur, dass ich es mache. Ich bin ein Lehrling der Musik.

Matthias Strolz

Vor fünf Jahren stieg Matthias Strolz aus der Politik aus, seitdem hat er viele verschiedene Dinge gemacht. Er arbeitet als Keynote Speaker, gibt Seminare, schreibt Bücher, berät den Wiener Bildungsstadtrat. Außerdem hat er gerade ein Album aufgenommen, dessen erste Single-Auskopplung so klingt, als hätten Rammstein eine Fieberfantasie von Marko Arnautović vertont, allerdings aus dessen frühen Floridsdorfer Tagen, und was das dazugehörige Video soll, das weiß wohl nicht mal Philipp Hochmair, dabei spielt er darin die Hauptrolle. „Back to Earth“ heißt das Album, und wie immer bei Matthias Strolz weiß man nicht genau: Meint er das jetzt ironisch oder doch todernst, die Grenze zwischen Exzentrik und Esoterik, zwischen Genialität und Midlife-Crisis ist nicht ganz einfach auszumachen. Es ist ein bisschen wie bei Fusion-Food, bei dem man sich ja auch oft fragt: Ist das jetzt eine Geschmacksrevolution oder einfach einmal Kühlschrank mit Sauce?

Das Album ist auf Goa entstanden, sagt Strolz. „Wenn ich Urlaub mache, runterkomme, wenn ich alles hinter mir lasse, öffnen sich die Schleusen der Kreativität. Ich kann mich dem nicht entziehen.“ Dass er von Musik nicht mehr Ahnung hat als ein Rammstein-Fan, ändert daran nichts: „Ich sage ja nicht, dass ich Musik machen kann, ich sage nur, dass ich es mache. Ich bin ein Lehrling der Musik.“ Kunst, Musik, Literatur, für Strolz sind das alles ganz natürliche Ausdrucksformen, demnächst wird er nach „Gespräche mit einem Baum“ und „Sei Pilot deines Lebens“ ein drittes Buch schreiben. Worüber, das weiß er noch nicht genau, was er aber weiß, ist, dass er es auf Englisch schreiben wird: „Ein Buch ist ein Download aus einer anderen Sphäre. Lyrics und Musik fließen durch mich durch, und ich stelle mich zur Verfügung.“ Matthias Strolz genau verstehen, das war schon immer eine Aufgabe für Profis, selbst einige seiner besten Freunde scheiterten wiederholt daran, am Ende sogar die von ihm gegründete Partei. Es kann immer passieren, dass man mit ihm sitzt und er dann unvermittelt Sätze sagt wie diesen: „Wir sind außerweltliche, nicht physische Wesen, die sich einen menschlichen Avatar gewählt haben.“

Für Atheisten ist das schon ein bisschen Denksport, und zwar ganz unabhängig vom Offensichtlichen: Wenn wir aussuchen können, wer wir sein wollen, warum laufen wir dann nicht alle als George Clooney herum oder als Idris Elba oder vielleicht sogar als Matt Berninger? Und was war eigentlich bei dem außerweltlichen Wesen los, das alles sein konnte, aber dann sagte: „Pfeif drauf, ich mach den Karner Gerhard aus Texing!“ Strolz ist unglaublich schnell im Kopf, so schnell, dass man das Gefühl hat, seine Gedanken würden ihn oft beim Sprechen überholen. Immer weiter wirft er mit Sätzen um sich, jeder für sich ungeheuer kraftvoll, auch wenn ihnen manchmal der Zusammenhalt fehlt. „Ich will von einem Ort der Liebe ausgehen“, sagt er zum Beispiel. Oder: „Wer seine Talente nicht lebt, der lebt ein ungelebtes Leben.“ Ein ungelebtes Leben leben?

Und irgendwann, das Essen ist schon fast zu Ende, verstehe ich. Matthias Strolz redet eigentlich nicht. Er rezitiert Lyrics: die Zeilen, die er für sein Album namens Leben verfasst hat. „Back to Earth“. Ungefähr so müssen sich Interviews mit Falco angefühlt haben, allerdings eher in der „Dance Mephisto“- oder der „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“-Phase. Aber auch von diesen Interviews erzählen Kollegen heute noch ihren Enkeln, ein Gesamtkunstwerk bleibt ein Gesamtkunstwerk.

Der Löffel voll mit Curry biegt mittlerweile in die nächste Kurve, es ist die letzte. Wirklich beeindruckend, mit Physik allein kann man das nicht mehr erklären. Matthias Strolz ist nun mit seinem Mittagessen fertig. Er ist wahrscheinlich der einzige Mensch, der für eine Hauptspeise 60 Minuten braucht.

Markus  Huber

Markus Huber

ist im Hauptberuf Herausgeber des Magazins „Fleisch“ und schreibt für profil alle zwei Wochen die Kolumne „Powerlunch“.