Ernst Molden hat Sex mit Wien

Literatur. Der letzte Wien-Rhapsode: der Musiker und Autor Ernst Molden

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Ernst Molden teilt sein Büro mit den Toten. Oft macht sich Molden, mit dem Fahrrad oder zu Fuß, in langen, elastischen Schritten, auf nach St. Marx im dritten Wiener Gemeindebezirk, an der Südostperipherie der Stadt. Das Ziel ist der Friedhof St. Marx. Hier nimmt Molden auf einer Parkbank Platz, manchmal auch auf einem der verwitterten Grabsteine, und beginnt in sein Notizbuch zu schreiben. Wenn das Wetter zum Großstadtwandern einlädt, macht er sich auf ins Gräberfeld.

Für Ernst Molden bündelt sich Wien hier in einem Bild: Auf diesem Friedhof, dem weltweit letzten Biedermeier-Totenacker, der seit Jahrzehnten als Parkanlage dient und auf dem Mozart an unbekannter Stelle begraben liegt, kann man der Zeit beim Vergehen zusehen. Außerhalb der unverputzten Ziegelmauer erhebt sich ein Gemeindebau, eine Stein gewordene Bausünde in fahlen Farben, die langsam in Einfamilienhauseinöde übergeht, und da ist noch die Wüste trostlosen urbanen Lebens, die Südosttangente, die auf Stelzen geführte Stadtautobahn mit ihrem immer gleichen Brummen, Dröhnen, Kreischen. „Auf dem Friedhof ist alles tot. Supertot. Hier kann man sich selbst superlebendig fühlen“, sagt der Autor und Musiker. Der Tod und Wien? Klischee-Alarm. „Die Wiener Volkskunst – von den Schrammeln bis zur Band Ja, ­Panik – schließt den Tod in ihren Themenkanon ein, was viele andere Kulturen nicht machen“, beruhigt Molden. „Deswegen zu behaupten, der Wiener fürchte sich nicht vor dem Tod, er saufe sich lieber mit ihm an, stimmt nicht. Alle haben Angst vor dem Tod.“

Molden, 47, arbeitet sich seit 20 Jahren an seiner Heimatstadt ab, biografisch, publizistisch, musikalisch. Er denke ständig an Wien, sagt Molden, der Verlegersohn aus dem Nobelbezirk Döbling, der die Vorstadt liebt und die Innenstadt meidet. Molden war Polizeireporter und Lokalredakteur. Seinen ersten Roman, „Die Krokodilsdame“ (1997), widmete er einem legendären Bewohner: „Dem Andenken des Lieben Augustin, der ein Wiener Spielmann war, in die Pestgrube stürzte und zu singen begann.“ Sein Wien-Dienst-Jubiläum feiert Molden nun mit dem Neue-Volksmusik-Album „Ho Rugg“ und der Kolumnensammlung „Wien Mitte“, einer Art Zwischenbericht der profanen Wallfahrten in seinem Wohnbezirk Landstraße, die in den vergangenen Jahren in der „Kurier“-Beilage „Freizeit“ erschienen sind. „Stadt ist für mich Empirie“, schreibt er in „Wien Mitte“: „Die schönste Rechtfertigung für angewandte Herumtreiberei.“ Moldens Texte sind frei von kolumnistischem Ironiezwang, er kultiviert darin ein seltenes literarisches Doppel: Molden ist ein Mann mit Blick für das Detail. Seine Berichte, fortgesetzte städtische Mikroabenteuer, sollen für Emotionen sorgen – und für die Reflexionen gleich mit. Ungeniert schreibt er über „Glückstage“ und den Frühlingsregen, den er liebt.
Ernst Molden ist eine Art Landstraßer Dinosaurier, bei dem Listigkeit und Lässigkeit zusammengehen. Er weiß sich zu inszenieren, kennt seine Wirkung auf andere. Seine Zigaretten rollt er, Hut, Ringe und Sonnenbrille sind seine Accessoires, die fast ins Willie-Nelson-hafte spielen. Um Moldens Hals baumelt eine Plastikkette mit Voodoo-Schnitzerei aus New Orleans, eine blaue Feder am Fetisch, der für endlose Party sorgen soll. Er kann seine Sprechstimme wie Samt klingen lassen, unter Bescheidenheit leidet er nicht. Er ist ein Könner des geselligen Umgangs, der die Welt nicht in Freund und Feind sortiert.

Wien sei, sagt er oft, seine „Lebensstadt“. Ist sie ein reiner Wohlfühlort? „Nein. Es ist aber so, dass ich seit 47 Jahren guten Sex mit Wien habe. Wenn andere mit Wien schlechten Sex haben, tut mir das leid. In Wien herrscht die jahrhundertealte Kultur des In-Ruhe-Gelassenwerdens und des In-Ruhe-Lassens. Man findet hier noch Ecken, in denen man individuelle Lebensentwürfe anlegen und weiterverfolgen kann, selbst in Zeiten der Globalisierung. In vielen Situationen ist das Raue und Anti-Euphorische des Wienerischen eine perfekte seelische Schutzkleidung.“ In die Phalanx der klassischen Wien-Hasser will er sich nicht einreihen. „Thomas Bernhard war ein großer Dichter, zugleich aber immer ein G’scherter, ein Bundesländer-Mensch mit Wien-Verachtung.“

Wien ist aber auch die Welthauptstadt der Gehässigkeit. Böse Zungen behaupten, Molden sei weder als Gitarrist noch als Sänger sonderlich begabt – und als Musiker, der mit seiner Band 100 Konzerte pro Jahr gibt, überschätzt. „Leonard Cohen von Wien“ – so lautet eines der freundlichen Prädikate. „Poser“ eines der unfreundlicheren. „Ich bin sicher nicht der beste Sänger. Man lernt mit der Zeit, wo der Herr einem Grenzen gesteckt hat. Ich spiele aber eher leinwand Gitarre“, lacht Molden die Infamie einfach weg. „Solange die zu den Konzerten kommen, die unsere Art von Musik schätzen, sind mir die Nörgler egal. Mittlerweile herrscht ja schon fast Konsens darüber, meine Musik gut zu finden. Als ich anfing, Musik zu machen, 1995, dominierte die Wiener Elektronik. Ich stellte mich damals, eher manieriert, mit Reitstiefeln, Sportsakko und Westerngitarre auf die Bühne und spielte poetische deutschsprachige Lieder. Uncooler konnte man nicht sein. Zehn Jahre lang war ich mit heftigem Widerstand konfrontiert. Verglichen dazu, suhle ich mich heute geradezu in einem Bad des Wohlwollens. Dennoch: Ich pflege meine Gegner. Ist einer zu freundlich, äußere ich mich so, dass er sofort wieder denken muss: So ein Arschloch.“
Der Krise begegnet Ernst Molden übrigens schlawinerhaft. „Sollte die große Not ausbrechen, keine Zeitung mehr Texte einfordern, kein Konzertlokal mehr geöffnet sein, dann werde ich beim Wirten um die Ecke mit meinen drei Kindern auftreten.“ Vier Schnitzel für vier Musikanten. Gegen vier traurige Lieder.

Ernst Molden: Wien Mitte. Deuticke, 317 S., EUR 20,50
Ernst Molden, Willi Resetarits, Walther Soyka, Hannes Wirth: Ho Rugg. Monkey/Rough Trade

Foto: Sebastian Reich für profil


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Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.