David Lama im Jahr 2013

Tod von David Lama: "Mut ist ein Scheißwort"

Mit drei Jahren war der Innsbrucker David Lama zum ersten Mal am Himalaja, mit 15 war er der jüngste Kletter-Weltcupsieger. Jetzt wird er nach einem Lawinenabgang in Kanada vermisst.

Drucken

Schriftgröße

Ein frühes Treffen mit David Lama aus profil 1/2011 vom 3. Jänner 2011.

Sein Händedruck ist kräftig, hinterlässt aber seltsamerweise keine Spuren. Seine Fingerspitzen haben ihre Abdrücke verloren, statt geschwungener Linien ist da nur glatt geschliffene Hornhaut zu sehen, poliert von der täglichen, jahrelangen Arbeit am Fels. Echte Klettererhände eben: David Lama aus Götzens bei Innsbruck ist erst seit ein paar Monaten kein Teenager mehr, lebt aber schon seit gut 15 Jahren am Fels und seit ungefähr fünf Jahren vom Klettern.

Bis vor Kurzem rangierte er in den Rubriken Phänomen und Wunderkind, jetzt ist David Lama Profisportler, ziemlich erwachsen und bereit für Höheres: die Erstbesteigung des Cerro Torre im freien Kletterstil, also ohne technische Hilfsmittel. Das grenzt an Wahnsinn, nicht nur im alpinistischen Sinn: Der Cerro Torre heißt nicht umsonst "Turm-Berg", ragt kerzengerade aus den patagonischen Ausläufern der Anden, 3100 Meter Granit, die meisten davon stur senkrecht, vereist und von tückischen Stürmen umtost - ein alpinistischer Mythos, ein Zauberberg, dem der deutsche Mythenprofi Werner Herzog seinen Film "Schrei aus Stein" widmete und den David Lama in seiner Biografie "High" als "Denkmal der Senkrechten" bezeichnet. Im Interview nennt er ihn anders, nämlich einen "Sauhund". Aber gerade das reizt ihn ja so an diesem Berg.

Zwei Tage nach Weihnachten, David Lama sitzt in einer Gasthofstube am Rand von Innsbruck beim Frühstück und schmiert Marmelade auf sein Kipferl. Den Kaffee trinkt er schwarz, Wurst und Käse lässt er stehen. In aller Seelenruhe und druckreifem Tirolerisch spricht der Sohn eines nepalesischen Bergführers und einer Innsbrucker Kinderkrankenschwester von der Gefahr, vom Risiko und vom Mut, den man nicht nur zum Risiko, sondern auch zum Vernünftigsein braucht. In knapp drei Wochen wird er nach Argentinien fliegen; falls er jetzt schon nervös ist, dann zeigt er es nicht. Auch die Tatsache, dass er in letzter Zeit ziemlich viel Stress hat, bleibt hinter einem breiten Lausbubengrinsen und burschikoser Wurschtigkeit verborgen. Gerade erst kommt er aus Bern, wo er für seinen Ausrüster ein Werbevideo gedreht hat, am Nachmittag wird er nach Chamonix weiterfahren, um sich in den Felswänden des Aguille du Dru für sein südamerikanisches Wahnsinnsprojekt vorzubereiten. So gut das eben geht.

Dann fängt die eigentliche Schinderei erst an

"Die Dimensionen, die du in Patagonien hast, sind in Europa nicht trainierbar. Was dort nur der Zustieg zur Wand ist, wäre in den Alpen schon eine eigene Tour." Allein der Zustieg zum Cerro Torre dauert, summa summarum, zwanzig Stunden. Die erste Etappe: 25 Kilometer durch unwegsames Gelände, 1000 Höhenmeter bergan. Und dann fängt die eigentliche Schinderei erst an. Damit man sich zumindest ansatzweise vorstellen kann, was er da eigentlich vorhat, fischt Lama seinen Laptop aus der Tasche. Darauf hat er neben ein paar Folgen der TV-Serie "Mein cooler Onkel Charly" auch Hunderte Fotos von seinen Expeditionen und Wettkämpfen gespeichert, darunter Bilder aus dem letzten Winter, als er zum ersten Mal in Patagonien war und die eiskalte Schulter des Cerro Torre präsentiert bekam. Nach drei Monaten im Basislager und etlichen gescheiterten Anläufen müssen er und sein Team einsehen, dass sie das Unmögliche nicht schaffen werden. Kurz vor der Abreise erlebt Lama noch - um drei Uhr nachts, auf halber Höhe in der Felswand des Torre -, wie gefährlich sein Projekt wirklich ist: Er rutscht auf dem nassen Fels ab, fällt und wird nur mit Glück von einer Klemmsicherung gehalten. Es war ihm eine Lehre: Die Selbstverständlichkeit, mit der er auf europäische Wände klettert, kann in den Anden schnell vergehen. "Wir hatten einfach zu wenig Erfahrung. Und außerdem echt Scheißbedingungen." Wobei es sich in diesem Fall freilich um den Normalfall handelt. Der Cerro Torre wehrt sich mit allen Mitteln gegen das Bestiegenwerden: mit Stürmen und Schlechtwetter und - bei Schönwetter - herabstürzenden Eisbrocken.

Einen "Grenzgang" nennt Reinhold Messner, der gerade selbst ein Buch über den Torre veröffentlicht hat, Lamas Projekt. Selbst mit schweren technischen Hilfsmitteln bleibt der "Schrei aus Stein" bis heute eine gewaltige alpinistische Herausforderung. Schon die Erstbesteigung hat das Zeug zum Spielfilm: Im Jänner 1959 erreichte der Trentiner Cesare Maestri zusammen mit dem Tiroler Toni Egger das ewige Eis des Torre-Gipfels. Den Beweis blieb er allerdings schuldig: Egger kam beim Abstieg in einer Lawine ums Leben, mit ihm ist auch das Gipfelfoto verschollen, dessen Existenz Maestri gegen alle Widersprüche behauptete. Maestri selbst ließ die Kontroverse um seine Lebensleistung keine Ruhe, sodass er 1970 einen erneuten Versuch am Torre unternahm - und sich mithilfe eines Kompressors und rund 350 Bohrhaken bis knapp unter den Gipfel hochschraubte. Alpinistischer Sportsgeist wird gemeinhin anders definiert, aber immerhin etablierte Maestri mit seiner "Kompressorroute" den heutigen Standardweg auf den unmöglichen Berg. Auch David Lama und sein Lienzer Kletterpartner Peter Ortner wollen ihr Freikletter-Experiment nach Maestris Route angehen, sehr viel genauer kann man es mangels Erfahrungswerten aber beim besten Willen nicht sagen: "Ich kann nur grob vermuten, aber wir gehen davon aus, dass sich die Route im neunten oder unteren zehnten Schwierigkeitsgrad bewegt." Zu den technischen Schwierigkeiten kommen logistische: Die Schönwetterfenster, in denen eine Besteigung überhaupt erst möglich wird, sind dort so selten wie schmal. "Der Torre ist ein Berg, auf dem du schnell sein musst", sagt Lama und erklärt, wie das geht: "Du musst Gewicht sparen. Ich hab mir zum Beispiel das Innenfutter aus meiner Goretexhose herausgeschnitten, das macht 300 Gramm und entspricht drei Packerl Essen. Das reicht für fast zwei Tage." Leichtigkeit ist im Klettern aber nicht in erster Linie eine Frage der Ausrüstung, sondern vor allem des Talents. Und das liegt bei ihm sozusagen in der Familie.

David Lama kam am 4. August 1990 in Innsbruck zur Welt. Auf einer Hochgebirgstour in Nepal hatte seine Mutter Claudia den Bergführer Rinzi Lama kennen gelernt. Mit drei Jahren war David zum ersten Mal bei seinen Verwandten in Phaplu, einem winzigen Bauerndorf am Mount Everest. Die Berge des Himalajamassivs bilden seine erste Erinnerung (von Achttausender-Gipfelstürmerei à la Christian Stangl hält er trotzdem nicht sehr viel: "Höhe allein spielt für mich keine besondere Rolle"). Bei einem Jugendkletterlager in den Zillertaler Alpen erkannte der Bergsteiger Peter Habeler schließlich das Talent des damals Fünfjährigen. Irgendwie schien der Junge ein besonderes Verhältnis zur Schwerkraft zu haben; schon mit acht Jahren kletterte er seine erste Route im achten Schwierigkeitsgrad - eher zufällig, wie er heute meint. Dann ging es rasant nach oben: erster österreichischer Juniorencupsieg 1999, Jugendweltmeister mit 14, mit 15 erster Weltcupsieg bei den Erwachsenen.

Du fliegst nach China, wohnst in irgendeinem nichtssagenden Hotel in irgendeinem Millionenkaff, machst den Wettkampf und fliegst zurück. Da erlebst du nichts. Ich will aber was erleben.

Schon in seiner ersten Saison in der allgemeinen Klasse kratzte Lama knapp am Gesamtweltcupsieg und hätte ihn wohl auch geholt, wenn ihm seine tirolerische Sturschädeligkeit nicht andere Prioritäten vorgeschrieben hätte. Lama ließ mehrere Wettkämpfe aus, weil er lieber mit einem Kumpel zu den Felswänden des Yosemite-Nationalparks fuhr. Seine Sponsoren waren nicht besonders amused, aber David Lama hat halt seinen eigenen Zugang zum Thema Professionalität. Gerade hat er - gegen die Pläne seiner Geldgeber - beschlossen, seine Karriere im Sportklettern buchstäblich auf Eis zu legen: "Sport- und alpines Klettern lassen sich halt nicht sinnvoll verbinden. Wenn du eine g'scheite Tour im Gelände machst, bist du hinterher tagelang zu fertig, um richtig zu trainieren. Aber um im Weltcup vorn dabei zu sein, musst du mindestens fünf Tage pro Woche im Training voll angasen." Wenn David Lama vom Wettkampfklettern spricht, klingt er älter, als er ist. Er spricht dann von den Jungen im Weltcup, die den Sport mit einem Ehrgeiz betreiben, den er nicht mehr recht aufbringen kann. Nicht für so etwas: "Du fliegst nach China, wohnst in irgendeinem nichtssagenden Hotel in irgendeinem Millionenkaff, machst den Wettkampf und fliegst zurück. Da erlebst du nichts. Ich will aber was erleben. Das heißt nicht, dass ich mir jetzt nur noch Projekte in Kuba ausdenke." Sprich: Ein Strand neben der Wand ist ganz angenehm, aber auch nicht unbedingt notwendig.

Boom-Effekte

Seit vier, fünf Jahren mausert sich Klettern vom Nischenhobby zum Massenphänomen. Der Sport boomt, jedes Jahr eröffnen neue, größere Kletterhallen und -gärten, bei den Wettkämpfen herrscht Stadionatmosphäre. Der Extremsport avanciert zum professionellen Geschäft, was natürlich viele gute Seiten hat, aber auch ein paar negative. David Lama, der selbst fanatischer Skifahrer ist (nur abseits der markierten Piste, klar), vergleicht das mit der Entwicklung im Snowboarden. Dessen ursprünglicher Freigeist will ja auch nicht so recht mit den Interessen von Verbänden, Veranstaltern und Sponsoren zusammenpassen. Lama sieht sich eher auf der Freigeistseite. Er kann es sich leisten. "Klar habe ich auch meinen Sponsoren gegenüber Verpflichtungen, und ich bin ja auch dankbar, dass ich vom Klettern leben kann. Das ist ein Geben und Nehmen. Aber mir bleiben zum Glück auch genug Freiräume, damit ich meine Projekte verwirklichen kann."

David Lama spricht nicht nur druckreif, sondern auch wie ein Vollblutprofi und verdutzt damit hin und wieder auch langjährige Begleiter wie seinen Manager Peter Reinthaler. "Was der David macht, macht er konsequent. Gerade hat er sich eine Angelrute gekauft. Ich wette, dass der in ein, zwei Jahren hochseefischen geht." Für David Lama besteht kein Widerspruch darin, professionell und konsequent zu bleiben und dabei seinen Spaß zu haben.

Aber worauf kommt es nun wirklich an? Was braucht man, um den Cerro Torre ohne Aufstiegshilfen zu bezwingen? Furchtlosigkeit? Nein, weil: "Du brauchst Respekt vorm Berg." Mut? Ja, aber: "Mut ist ein Scheißwort. Weil du Mut sowieso für alles brauchst: fürs Weitergehen, aber auch fürs Vernünftigsein und Umdrehen, wenn es nicht mehr weitergeht."

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.