Ferhat Döner: Das Geheimnis des Döner-Alchemisten
Von Sebastian Hofer und Clara Peterlik
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„Wenn Sie mich verstehen wollen, müssen Sie mein Joghurt probieren“, sagt Ferhat Yildirim sanft, aber bestimmt, und entschuldigt sich kurz. „Fühlen Sie sich wie zu Hause“, fügt er noch hinzu, lässt türkischen Tee bringen und huscht in den Supermarkt gegenüber. Zwei Minuten später kehrt er zurück, vier verschiedene Joghurts in der Hand, zu Vergleichszwecken. „Aber zuerst kosten Sie meines. Großzügig, bitte!“ Man tut wie empfohlen, schließlich will man Herrn Yildirim verstehen. Das Joghurt, von dem er schwärmt, ist sein aktuelles Herzensprojekt: hausgemacht, aus steirischer Schafmilch, das Ergebnis jahrelanger Tüftelei. „So, und jetzt schmecken Sie den Unterschied!“ Man schmeckt ihn tatsächlich, aber man könnte es nie so schön formulieren wie Yildirim: „Dieses Joghurt hat eine Seele.“ Die Konkurrenz aus dem Supermarkt dagegen: „ohne Leidenschaft, ohne Herz, ohne Gefühl. Verstehen Sie jetzt?“
Man versteht. Ferhat Yildirim, 44, Betreiber des überregional legendären Imbiss-Lokals „Ferhat Döner“, ist nicht mit vergorener Schafmilch berühmt geworden, aber tatsächlich zeigt das Joghurtdetail deutlich, worauf sein Erfolg gebaut ist: einen Qualitätsfanatismus, der an japanische Sushi-Meister erinnert, verbunden mit einer emotionalen Grundierung, die aus Herkunft, Familie und einfachen Freuden angerührt ist: Das perfekte Joghurt schmeckt erstens sehr gut und zweitens nach Heimat.
Ein Montagmittag im April, halb 12 Uhr, kurz nach Servicebeginn. Routinierte Handgriffe beim Personal, hinter vier mächtigen Dönerspießen lodern Holzfeuer, im Eingangsbereich bahnt sich ein Publikumsstau an. Ferhat Yildirim könnte jetzt auch gestresst sein, aber er nimmt sich die Zeit, serviert Joghurts, spricht mit sanfter Stimme, die Konsonanten weichgeschliffen, der Blick fest. Das Geschäft brummt, die Freude am Erfolg ist dem Unternehmer ins Gesicht geschrieben, ohne dass er damit protzen würde. Aber das Selbstbewusstsein ist doch vorhanden: „Österreich hat den besten Döner der Welt.“ Er meint natürlich: seinen Döner.
Die Antithese
Vor der Favoritenstraße 94 bildet sich, wie jeden Tag um diese Zeit, eine rasch anschwellende Warteschlange, die Leute sind teils von weit hergekommen, um einer Ikone die Aufwartung zu machen: Bei „Ferhat Döner“ gibt es nicht nur einen sehr, sehr guten Döner, sondern auch einen stilprägenden: So, wie hier das Grillfleisch vom Drehspieß zubereitet, vermarktet und verkauft wird, hat das noch niemand in vergleichbarer Konsequenz betrieben.
Ferhat Yildirims Businessmodell ist eine Antithese zur klassischen Dönerindustrie. Denn diese ist tatsächlich genau das: eine Industrie. In Deutschland machen Dönerlokale sieben Milliarden Euro Umsatz pro Jahr, das ist mehr als die größten zehn Fastfood-Ketten, also McDonald‘s, Burger King, Nordsee und Co., zusammen. Dabei wird durchwegs auf billige Massenware gesetzt: Tiefgekühlte, fertig präparierte Dönerspieße mit Faschiertem, Paniermehl und Stärke sind die Norm. Bis zu sechzig Prozent Faschiertes darf in einem solchen Industriespieß enthalten sein, und wenn das Sandwich als „nach-Döner-Kebap-Art“ deklariert wird, sogar noch mehr. Das Fleisch auf vielen Wiener Spießen kommt aus Polen, über den Umschlagplatz Deutschland werden die Spieße quer durch Europa verteilt. In Wien fährt dann der LKW von Stand zu Stand und liefert eisgekühlte Fertigspieße aus.
Ferhat Yildirim hat in seinen ersten Jahren in Österreich in einer Fastfood-Kette gearbeitet und schnell gesehen, wie die Dönerbranche hier funktioniert. Es war kein schöner Anblick. „Mein Gedanke war: Jeder Mensch, der in so ein Lokal geht, wird reingelegt. Das war für mich traurig. Die Leute haben mir leidgetan. Sie haben Hunger und werden deshalb voll ausgenützt. Warum macht man sowas?“
Er beschloss, es anders zu machen. Im Grunde ist es ganz einfach: Es gibt bei „Ferhat Döner“ genau eine Sorte Döner, im Sandwichbrot oder als gerolltes Dürüm, jeweils in drei Gewichtsklassen, sowie Döner-Teller mit Beilagen, für Restaurantgäste zusätzlich Linsensuppe und Iskender-Kebap. Basta. So überschaubar das Sortiment, so hoch das Qualitätsniveau: Das Fleisch stammt von heimischen Rindern, wird täglich frisch auf die Spieße geschichtet und ausschließlich mit Salz gewürzt. Gebraten wird es über Holzfeuer, serviert möglichst puristisch nur mit Tomate, Petersilie und Zwiebel, in laufend frisch gebackenem Sandwich-Brot. Wer unbedingt „mit alles“ will, kriegt auch Salat, Joghurt und „scharf“, der Chef empfiehlt es nicht: „Mein Ziel war: Der Döner sollte so schmecken, wie ich es aus meiner Kindheit kenne. Ich bin immer nach diesem Geschmack gegangen, wie er in meiner Erinnerung gespeichert war. Mir war klar: Wenn ich diesen Geschmack aus meinem Dorf hinbekomme, dann wird das gut ankommen. Das ist Döner, wie er vor 100 Jahren zubereitet wurde – Rindfleisch, Salz, offenes Feuer.“
Auf der Mittelmeerroute
Ferhat Yildirims Suche nach dem verlorenen Geschmack hat ihre Wurzeln in Zentralanatolien, er stammt aus Cöpler Köyü, einem kleinen Dorf in der Provinz Konya, südlich von Ankara. „Sie müssen sich vorstellen, in unserem Dorf gab es keine Geschäfte, alles war selbst gemacht, das höchste der Gewürze war Pfeffer. Und trotzdem schmeckte es tausendmal besser als anderswo, weil es so schmeckte, wie es schmecken soll.“ Yildirim formuliert hier mit wenigen Worten die Alchemie des Döners.
Nach der Grundschule begann er schon mit zwölf zu arbeiten, ging nach Ankara und fand einen Job als Commis. „Das sind in der Küche die, die alles machen, was die anderen anschaffen. Abwasch, Wegräumen, Putzen. Ich bin zufällig in einem Dönerlokal gelandet. Und das war immer voll. Irgendwann habe ich den Koch gefragt, wieso ist hier so viel los? Er hat geantwortet: Weil wir den besten Döner in Ankara machen. Aber ich wusste: Was wir im Dorf gekocht haben, schmeckt viel besser als das! Wenn ich das mache, mache ich es besser – das war der Gedanke. Als ich nach Österreich gekommen bin und gesehen habe, wie die Döner-Industrie hier arbeitet, ist dieser Gedanke dann stärker geworden.“
Wie Ferhat Yildirim nach Österreich kam, ist eine eigene Geschichte, sie spielt im Jahr 1997: „Ich war 17 und kam als Flüchtling über die Mittelmeerroute, so wie man das heute noch in den Nachrichten sieht. Ein kleines Boot brachte uns aufs Meer hinaus, dann mussten wir in der Dunkelheit auf ein größeres Boot hinüberspringen. Auf dem Boot waren 800 Menschen, aus Iran, Syrien. Es war kalt und komplett dunkel.“ Die Flucht hatte keine politischen Gründe, Yildirim kam als klassischer Arbeitsmigrant nach Österreich. Er hatte festgestellt, wie viel mehr seine Verwandten, die nach Deutschland gegangen waren, dort mit ihrer Arbeit verdienten. „Da hab’ ich mir gedacht, ich gehe jetzt auch Geld verdienen.“ Ein Visum bekam er freilich nicht, „aber ich habe einen Schlepper kennengelernt, der diese Überfahrt organisiert hat. Ich habe ihn gefragt: Wie schaut dein Schiff aus? Ich hatte mir das wie eine Fähre vorgestellt, mit einer Lounge, wo man einen Kaffee trinken kann. Und er hat mir gesagt: Jaja, genau so ist das. Als wir dann im Dunkeln auf diesem Boot saßen, war das für mich schon eine Überraschung.“
Ich habe einen Schlepper kennengelernt, der diese Überfahrt organisiert hat. Ich habe ihn gefragt: Wie schaut dein Schiff aus? Ich hatte mir das wie eine Fähre vorgestellt, mit einer Lounge, wo man einen Kaffee trinken kann.
In Wien begann er bald wieder in der Gastronomie zu arbeiten, zunächst bei einer Fastfood-Kette, dann im Imbiss seines Bruders im 20. Bezirk. 2015 eröffnete er in der Taborstraße im zweiten Bezirk sein erstes eigenes Geschäft, den „Sen Grill“. Er hat es bewusst nicht „Ferhat“ genannt, „weil ich noch nicht wusste, ob ich meinen Döner so hinbekomme, wie er sein soll.“ In den Jahren danach feilte er, probierte, entwickelte, verwarf und entwickelte weiter, bis sein Döner so war, wie sein Döner sein sollte. Und aus dem „Sen Grill“ wurde „Ferhat Döner“.
Kurz darauf: Übersiedlung nach Favoriten. Es ging nicht ganz ohne Bauchweh. „Als ich dieses Lokal hier gefunden habe, hat mir jeder gesagt, ich würde hier kein Geschäft machen. Es gibt hier im Bezirk 120 Dönerlokale, und damals haben sie Döner um zwei Euro inklusive Getränk verkauft. Jeder hat zu mir gesagt, der 10. Bezirk ist kein gutes Pflaster, auch mein Bruder und meine Frau. Ich hab mir gedacht, ich tu mein Bestes und es kommt, wie es kommen soll. Bei uns sagt man Kismet, Schicksal.“
Das Schicksal – und die rasch einsetzende Mundpropaganda – meinten es gut mit Ferhat Yildirim. Am Eröffnungstag von „Ferhat Döner“ im September 2021 war der Ansturm noch durch eine Gratis-Kebap-Aktion erklärbar, aber er blieb auch danach bestehen, die Nachfrage erwies sich als hartnäckig. An Spitzentagen reicht die Schlange vor „Ferhat Döner“ fünfzig Meter zurück, an weniger guten kaum weniger weit. Im vergangenen Dezember eröffnete Yildirim deshalb an derselben Adresse ein deutlich größeres Lokal. Seine Kapazitäten haben sich mehr als verdoppelt, der Nachfrage kommt er deswegen aber immer noch nicht hinterher. „Das ist unsere große Schwachstelle“, sagt der Unternehmer: „Dass die Leute warten müssen.“ Aber es geht nicht schneller, das gehört zum Konzept: Das Fladenbrot wird Stück für Stück frisch gebacken, die Spieße drehen sich nicht per Motor, sondern werden händisch weiterbewegt und besäbelt. Elektro-Kebapspießrasierer haben bei „Ferhat Döner“ Hausverbot. Zudem hat eine lange Schlange vor der Tür noch keinem Gastro-Phänomen wirklich geschadet, man frage nach bei Familie Figlmüller oder bei Berliner Wartezeit-Legenden wie „Mustafas Gemüsedöner“ oder „Berghain", wo das Anstehen nicht nur in Kauf genommen, sondern zum Gesamterlebnis addiert wird.
Online-Fame und Polit-Faktor
Tatsächlich strahlt „Ferhat Döner“ weit über die Stadtgrenzen hinaus. Influencer loben ihn, Politikerinnen lieben ihn, im Ferhat-Insta-Feed tummeln sich Bürgermeister (Michael Ludwig) neben Gangsta-Rappern (GZUZ), Food-Youtubern (Lukas Galgenmüller, DJ Mosaken), Fitness-Influencern (Julian Franklin) oder Streamern (Trymacs alias Maximilian Stemmler). Der Wiener Döner-Meister hat Street Credibility und ein Millionenpublikum und vermittelt eine vorbildliche Integrationsgeschichte. Das macht ihn auch zu einem politischen Faktor. Wobei: Nachdem Ministerin Karoline Edtstadler im Oktober 2022 einmal sehr öffentlich den Dönerstag bei Ferhat begangen hatte, musste sie sich aus der Wiener Balkan-Community einige Kritik anhören, weshalb sie bei einem folgenden Arbeitsbesuch in Sarajewo, ebenfalls stark social-media-mäßig aufbereitet, Cevape verkostete (und einen Würstelstand in Wien dann sicherheitshalber auch gleich).
Ferhat Yildirim seinerseits möchte nicht über Politik reden, er habe damit „nichts zu tun“, und außerdem weiß er wohl, dass er damit nur verlieren kann. Er ist nämlich in erster Linie Geschäftsmann. Er beschäftigt inzwischen knapp 30 Mitarbeiterinnen, die wie viele Gäste bewirten? „Sehr viele“. Im Gründungsjahr 2021 war er noch mit 27.000 Euro im Minus, 2022 bilanziert er schon mit über 200.000 Euro Gewinn, im Vorjahr investierte er dann kräftig in den Ausbau seines Lokals. Ständig kriege er Angebote, seinen Namen herzugeben, eine Partnerschaft oder ein Franchise zu machen, aber er mag nicht, er will ja eben keine Döner-Industrie betreiben. Sein Einfluss ist trotzdem erheblich, gerade auch in Deutschland, wo der Döner längst zu einer inoffiziellen Nationalspeise avanciert ist. Aber nicht nur dort. Stolz zeigt er am Handy einen Zeitungsartikel aus Clermont-Ferrand, in dem ein neuer Döner-Laden als Gourmet-Eldorado gefeiert wird – und der Inhaber sein großes Vorbild zitiert: „Ferhat de Vienne“.
Und was hält er von den Epigonen in der unmittelbaren Nachbarschaft? Ärgert ihn die Konkurrenz? „Am Anfang, als ich gesehen habe, dass sie mich eins zu eins kopieren, hat es mir schon weh getan. Weil ich jahrelang Mühe und Arbeit investiert habe, mit viel Emotion und Gefühl, und die anderen kommen von heute auf morgen und kopieren das. Das ist eigentlich unfair.“ Aber dann sprach er mit einem älteren Freund, der selbst Unternehmer ist und ihm einen weisen Rat mitgab: „Er hat mir gesagt: Um jemanden zu kopieren, muss man wissen, wie jemand fühlt, welche Emotionen dahinterstecken, welche Visionen der hat, und was er denkt. Aber das kann man unmöglich kopieren. Und dann funktioniert das auch nicht auf die gleiche Weise. Seit diesem Gespräch bin ich beruhigt.“
Sebastian Hofer
schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.
Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.